| # taz.de -- Integration im Fußballstadion: Gemeinsam auf der richtigen Seite | |
| > Im Stadion kann ich mich endlich als vollwertiges Mitglied der deutschen | |
| > Gesellschaft fühlen. Von den Nazis neben mir lasse ich mir das nicht | |
| > versauen. | |
| Bild: Integration und Ausgrenzung dicht nebeneinander: Fans im Fußballstadion,… | |
| [1][Fußball], das ist dieses lustige Spiel, bei dem 22 erwachsene Menschen | |
| wie Kinder hinter einem einzigen Ball herlaufen, so pflegte sich seinerzeit | |
| meine Oma spöttisch auszudrücken. Aber meine Oma hatte auch nie so eine | |
| leckere [2][Stadionwurst] gegessen wie ich. Oder auch zwei, oder auch drei. | |
| Deshalb mache mich auf den Weg. Während ich im Stadion einen Stehplatz | |
| suche, werde ich von den Fans fast erdrückt. Wegen der zwei Meter großen | |
| Gorillas direkt vor mir bekomme ich vom Spiel überhaupt nichts mit. Aber | |
| das ist zweitrangig, dabei sein ist alles. Man gönnt sich ja sonst nichts! | |
| Plötzlich: ein Erdbeben, das das Stadion erzittern lässt. Ein Tor! Alle | |
| Menschen um mich herum umarmen und küssen sich. Ob alt oder jung, ob Mann | |
| oder Frau, ja, selbst ob Deutscher oder Ausländer! | |
| Nach all den Jahren der Einsamkeit umarmt mich wieder jemand! Es ist sogar | |
| ein Deutscher. Mit blonden Haaren, blauen Augen, Bierbauch und einer | |
| Stadionwurst in der Hand. Oh, wie gut das tut! Oh, Allah, ich danke dir, | |
| dass du mir einen Deutschen geschickt hast, um mich zu umarmen! | |
| Im Überschwang der Gefühle umklammere ich beim nächsten Tor den Dicken, der | |
| mich vorhin herzhaft umarmt hatte, und brülle ihm ins Ohr: „Toooorrrrrr! | |
| Toooorrrrrrr!“ | |
| ## Voller Freude küsse ich den Glatzkopf neben mir | |
| „Lass mich los, du Blödmann! Siehst du nicht, was unsere Abwehr für ’nen | |
| Mist spielt?“, schreit er mich an. | |
| Ich verschweige ihm, dass mich das Spiel eigentlich nicht mehr | |
| interessiert. Ich bin überglücklich, dass ich nach all den Jahren endlich | |
| ein vollwertiges Mitglied der deutschen Gesellschaft geworden bin. | |
| Bei uns im Dorf haben die Menschen gebetet, damit es regnet. Hier bete ich, | |
| damit ein Tor fällt. Vielleicht liegt es daran, dass ich im Freien bete, | |
| jedenfalls erhört mich Allah sofort. Das nächste Tor ist gefallen, auch | |
| noch auf der richtigen Seite. Voller Freude küsse ich den Glatzkopf neben | |
| mir und brülle voller Inbrunst: „Tooooorrrrr, Tooooorrrrr! So ein Tag, so | |
| wunderschöön wie heuuuteeeee!“ | |
| Danach denke ich mir: Ich habe doch immer gesagt, dass man sich als | |
| Ausländer nicht abkapseln soll. Währenddessen klatschen die deutschen | |
| Jugendlichen um mich herum rhythmisch in die Hände, stampfen mit den | |
| Stiefeln und brüllen: „Aus-Länder Raaaauusss!“ | |
| Oh, was ist denn jetzt los?! Also nicht, dass man jetzt meinen sollte, | |
| diese Jugendlichen seien Ausländerfeinde. Das geht doch gar nicht. | |
| Schließlich haben sie mich gerade noch herzlich umarmt und leidenschaftlich | |
| geküsst. | |
| „Aus-Länder Raaaauuuuuuuss!“, schallt es wieder durchs Stadion. | |
| Ööööhm, aber das sind doch gute Menschen. Das sehe ich sofort. Alles | |
| Sportler, die haben keine Vorurteile. Nein, das sind keine Ausländerfeinde! | |
| „Aus-Länder Raaaaauuuss!“ Ähmm, vielleicht sind die sauer, weil ein | |
| ausländischer Spieler das Tor geschossen hat? | |
| Naja, okay, ein bisschen Nazis sind sie vielleicht auch. Aber ich werde nie | |
| vergessen, wie diese Menschen mich gerade noch derart herzlich umarmt und | |
| geküsst haben. Wie sagt man so schön: Die richtige [3][Integration] | |
| funktioniert nur durch gegenseitige Annäherung. Ich klatsche deshalb mit | |
| meinen neuen Kumpels mit und brülle zusammen mit denen im Chor: „Aus-Länder | |
| Raaaaaauusss! Aus-Länder Raaaaaauusss!“ | |
| 21 Feb 2024 | |
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| Osman Engin | |
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