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# taz.de -- Migrantisches Fußballteam in Brandenburg: Mit Löwen spielt man ni…
> Der Afghane Murtaza Alizada unternimmt alles, um mit den Forster Löwen
> Teil des deutschen Fußballs zu werden. Doch die Widerstände vor Ort sind
> groß.
Bild: Die Forster Löwen beim Integrationsturnier ohne deutsche Beteiligung in …
„Eisen, Eisen“, skandieren einige Zuschauer frenetisch in der Inselhalle
von Eisenhüttenstadt, während sie in schnellem Rhythmus in die Hände
klatschen. Sie sind noch nicht lange in Deutschland. Sie kommen [1][von der
Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt], spielen für das Team „EAE
Eisenhüttenstadt 2“ selbst bei dem Hallenfußballturnier mit und feuern ihr
erstes Team an, das gerade das Finale bestreitet. Zusammengesetzt sind die
beiden Mannschaften dieses Mal mit Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern,
die es zuerst einmal in die erste sozialistische Planstadt der einstigen
DDR verschlagen hat.
[2][Integrationsliga-Ost] nennt sich die Hallenturnierserie, an der sie
teilnehmen. Neun Teams haben sich an diesem Samstag Mitte April in
Eisenhüttenstadt angemeldet. „Weltweit 1“ und „Weltweit 2“ sind dabei …
auch der FC Albanien. Ein deutsches Team oder zumindest deutsche Spieler
sind nicht vor Ort. Betreuer vom Deutschen Roten Kreuz schauen zu. Die
Turnierleitung und die Verpflegung ist in brandenburgischer Hand. Es gibt
wahlweise Bockwurst oder Wiener Würstchen mit ungetoastetem Toast sowie
Kuchen und Kaffee.
Wohlwollend kann man von Integration auf bescheidenem Niveau sprechen.
Realistischer betrachtet gleicht das Ganze eher einer Netzwerkveranstaltung
für eine Betroffenengruppe. Wie schwierig es für ein migrantisches Team in
Brandenburg ist, der deutschen Fußballgemeinde zu begegnen, kann wohl kaum
einer so kenntnisreich erzählen wie Murtaza Alizada, der mit zwei Teams
der Forster Löwen dabei ist.
Der 35-Jährige ist, salopp gesagt, ein Integrationsstreber. Was er in
Deutschland seit 2016 meist zu hören bekommt, ist der Satz: „So schnell
geht es aber auch wieder nicht.“ Alizada stammt aus der zweitgrößten
afghanischen Stadt Herat und verbrachte früher mit seiner Familie die
Sommermonate im grenznahen Iran, wo es sich besser Geld verdienen ließ. In
dieser Region, berichtet er, habe er für Exil-Afghanen eine eigene
Fußballliga aufgebaut. Mittlerweile gebe es solche Ligen im ganzen Iran. Er
zeigt abfotografierte Urkunden, die er für sein Engagement erhalten hat,
auf dem Handy. Als sein Vater, der bei der Armee war, von den Taliban
erschossen wurde, flüchtete er mit seiner Familie nach Deutschland.
## Gute Erfahrung in Herzberg
Seither versucht er sich hierzulande, vornehmlich über den Sport
einzubringen. Bei seiner Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt kümmerte er sich
schon um das dortige Fußballteam. An seinem ersten Wohnort trat er sogleich
in Herzberg bei Neuruppin in den Fußballverein ein. „Eine gute Erfahrung“,
berichtet Alizada. „Gute Menschen waren dort, die sehr geholfen haben.“
Doch die Einsamkeit seiner Frau bewog die Familie 2017 nach Forst nahe
Cottbus zu ziehen, wo bereits ihre Schwester mit Familie wohnte.
Dort, beim SV Lausitz Forst, berichtet Alizada, habe man ihm gleich
erklärt, dass für ihn kein Platz in der Mannschaftskabine sei. Er solle
sich doch in einem gesonderten Raum umziehen. Auf Nachfrage der taz erklärt
ein Mitglied des Vereins, alle 20 Kabinenplätze seien schon belegt gewesen,
weshalb Alizada gebeten worden sei, in den Raum der zweiten Mannschaft zu
gehen, die zeitgleich trainiert habe. Murtaza Alizada bestreitet die
Darstellung. Deutsche, die neu zum Verein gekommen wären, hätten sofort
einen Platz in der Kabine bekommen, die häufiger auch nicht voll besetzt
gewesen sei.
Alizada wechselte zum TV 1861 Forst und gründete parallel 2018 mit
Unterstützung seiner Frau die Spielgemeinschaft Forster Löwen, ein
Migrantenteam mit Fußballern aus acht Nationen, die vom TV 1861 einen
Trainingsplatz zur Verfügung gestellt bekamen. Nur die Umkleidekabinen
durften sie nicht benutzen. Aus Angst vor Diebstahl, erzählt Alizada. Sie
bekamen einen Raum ohne Toilette und Duschen zugewiesen.
Bei den Forster Löwen wurden Jungsteams aufgebaut und ein Mädchenteam, bei
dem wegen des spärlichen Angebots in Forst auch einige Deutsche mitmachen.
Die Kinder bei den Forster Löwen erhalten Deutschkurse und Nachhilfe. Für
geflüchtete Frauen gibt es ein Schwimmkursangebot. Nebenbei machte Alizada
den Trainer- und Schiedsrichterschein und brachte jeweils weitere Anwärter
aus seinem Verein zu den Kursen.
## Einsames Leuchtturmprojekt
„Einen Tausendsassa“ nennt ihn Uwe Koch, der das [3][bundesweite Programm
„Integration durch Sport“] des Deutschen Olympischen Sportbunds in
Brandenburg betreut. „Aber er ist kein Einzelkämpfer“, betont Koch. „Er …
mich und mein Team als Freund und Verbündete.“ Die Forster Löwen würden
überdurchschnittlich mit Fördergeldern unterstützt werden.
Alizada ist beim Projekt „Integration durch Sport“ auf Minijobbasis
angestellt. Koch sagt: „Er ist das Kompetenzzentrum.“ Es ist nicht leicht
auszumachen, wer denn wen mehr braucht. Die Forster Löwen sind für den
organisierten Sport in Brandenburg ein einsames Leuchtturmprojekt.
Außenministerin Annalena Baerbock [4][hat sich schon als Kanzlerkandidatin
das gelbe Trikot des Vereins übergezogen.] Brandenburgs
Integrationsministerin Ursula Nonnemacher hat mit Alizada in ihrem
Ministerium gesprochen.
Jenseits der Scheinwerferveranstaltungen sind die Widerstände jedoch so
immens, dass Murtaza Alizada im Februar der taz schrieb: „Ich möchte diese
Stadt verlassen, damit der Hass, den sie in mein Herz gelegt haben,
ausgelöscht wird.“ Sein Frau, erzählt er nun im April, sei von Menschen aus
Forst gewarnt worden.
Wenn ihr Mann so weitermache, könne der Familie etwas Schreckliches
passieren. Sie wollte, dass er mit seinem Engagement für die Forster Löwen
aufhört. Bei der letzten Landtagswahl 2019 lag der Stimmenanteil der AfD in
der Kleinstadt an der Oder mit 32,7 Prozent weit über dem Durchschnitt von
Brandenburg (23,5). Der letzte Verfassungsschutzbericht weist die Region
als rechtsextremistische Hochburg aus.
## Keine Einladungen zu den Turnieren
Die Vereine in Forst, berichtet Alizada, sind besonders reserviert ihm
gegenüber, seitdem er mit den Forster Löwen sein eigenes Projekt
vorantreibt. Offenbar wird er als Konkurrenz im Kampf um Ressourcen wie
Plätze und Förderungen gesehen. „Zu Hallenturnieren in der Stadt wird mein
Team nicht eingeladen, und wenn ich eines veranstalte, kommen die anderen
Vereine trotz Einladung nicht.“ [5][Von der Stadt Forst] fühlt sich
Alizada nur unzureichend unterstützt. Aktuell ist wegen einer
Stadionsanierung unklar, wo die Forster Löwen im Sommer spielen sollen. Der
für ihn zuständige Sachbearbeiter Sport ist zugleich auch Vorstandsmitglied
des SV Lausitz Forst.
Zugleich sind die bürokratischen Hürden so hoch, dass selbst die Helfer
Murtaza Alizadas aus dem organisierten Sport mitunter daran scheitern.
Ein langer Weg musste zurückgelegt werden von der losen Sportgemeinschaft
2018 bis zur Vereinsgründung im Dezember 2022. Weil dann aber wegen eines
Satzungsfehlers die Behörden die fehlende Gemeinnützigkeit monierte, konnte
vergangenen Sommer das große Ziel, der Einstieg in den Brandenburger
Amateurspielbetrieb, nicht umgesetzt werden. Beim Stadtsportbund Cottbus,
der die Forster Löwen berät, räumt man ein, einen Fehler gemacht zu haben.
Gegen diesen Schritt gibt es ohnehin bei etlichen Vereinen in Forst und
Umgebung Vorbehalte. Die Erinnerung an den ersten zugelassenen
Migrantenfußballverein Brandenburgs, den FC Union Cottbus, sind noch recht
frisch. Einige Spieler dieses Klubs, davon zeugen einige Spielabbrüche und
Sportgerichtsurteile, hatten ihre Emotionen nicht unter Kontrolle.
Unbestritten sind aber auch die Feindseligkeiten, die dem Verein auf und
neben dem Platz begegneten (Hakenkreuzschmierereien auf dem
Vereinsgelände). Letztlich wurde der Verein 2022 schon nach seiner zweiten
Saison für zwei Jahre (ein Jahr davon auf Bewährung) vom Spielbetrieb
ausgeschlossen. Die Verantwortlichen von Union gaben das Projekt auf und
nehmen nun in Dresden einen neuen Anlauf. Während es bundesweit im
deutschen Amateurfußball über 700 migrantische Teams gibt, gibt es in
Brandenburg nicht eines. „Man hat sie allein gelassen und dann
abgestempelt“, sagt Klaus-Dieter Stenzel, [6][einst Schiedsrichter in der
DDR-Oberliga]. In Forst arbeitet er im Wahlkreisbüro von Brandenburgs
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD).
## Strafe für den Schiedsrichter?
Stenzel zählt zu den Unterstützern von Murtaza Alizada. Auch er beklagt die
fehlende Hilfe der Stadt für die Forster Löwen. Gerade versucht er
Alizada in einer Auseinandersetzung mit dem Fußball-Landesverband
Brandenburg (FLB) zur Seite zu stehen. Alizada erzählt, ihm sei vom
Sportgericht beschieden worden, seine Schiedsrichterprüfung erneut ablegen
zu müssen, weil er eine Partie zwischen der TSV Hertha Hornow und der SPG
Schmorgow/Guhrow unberechtigterweise abgebrochen habe.
Er selbst berichtet von körperlichen Bedrohungen sowie rassistischen
Beschimpfungen durch Spieler und Zuschauer und einer Flucht mit seinem
Auto. Stenzel sagt in aller Vorsicht zum Vorgehen des Verbandes: „Ich gehe
davon aus, dass ein deutscher Schiedsrichter anders behandelt worden wäre.“
Der FLB antwortet auf Anfrage der taz, man habe Alizada „zur
Bedrohungseinschätzung“ Hilfestellung durch den Schiedsrichterobmann des
Fußballkreises Niederlausitz angeboten. Falsch sei die Behauptung, ihm wäre
der Schiedsrichterschein entzogen worden. Alizada erzählt, mitunter habe er
früher an Wochenenden drei Spiele gepfiffen. Seit diesem Vorfall
vergangenen August sei er nicht mehr eingesetzt worden.
Der Alltag abseits des Fußballs ist für Murtaza Alizada ebenso voller
Zumutungen. Einen Tag nach dem Hallenturnier in Eisenhüttenstadt, berichtet
er, habe ihn ein Mann in Forst, den er vom Sehen kennt, auf der Straße
herangewunken. Alizada sagt, er sei hingegangen, weil er glaubte, dieser
benötige seine Hilfe. Dann habe der Mann ihm in Gesicht geschlagen und zu
Boden geschleudert. Sein Handy sei bei dem Angriff kaputtgegangen. Die Frau
und Tochter des Angreifers hätten ihn Stunden später darum gebeten, doch
von einer Anzeige abzusehen. Alizada sagt: „Vielleicht ist es besser so,
sonst wird nur alles schlimmer.“
29 Apr 2024
## LINKS
[1] /Erstaufnahmeeinrichtung-Eisenhuettenstadt/!5959279
[2] https://www.facebook.com/JugendGegenGewalt/?locale=de_DE
[3] https://integration.dosb.de/
[4] https://www.tagesspiegel.de/potsdam/landeshauptstadt/baerbock-tritt-in-pots…
[5] https://www.forst-lausitz.de/
[6] /Geschichte-des-BFC-Dynamo/!5214731
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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Integration
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Brandenburg
Kolumne Alles getürkt
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