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# taz.de -- Bürgermeisterin verlässt die Linke: Sie will zu Wagenknecht
> Katja Wolf trat in die Linkspartei ein, als sie 16 Jahre alt war. Jetzt
> wechselt die Oberbürgermeisterin von Eisenach zum BSW. Warum?
Bild: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow bot Katja Wolf sogar einen Pl…
Eisenach taz | Katja Wolf lächelt: „Der Mitgliedsausweis liegt in meinem
Kinderzimmer, unterschrieben von Gregor Gysi.“ In ihrer Stimme schwingt
Stolz mit. 1992 ist sie mit 16 Jahren in die PDS, die spätere Linkspartei,
eingetreten, bekam sieben Jahre später ein Landtagsmandat und wurde weitere
13 Jahre später die erste Frau im Amt der Oberbürgermeisterin von Eisenach.
„Mein Ausweis ist mir schon heilig. Zum Glück muss man den nicht abgeben“,
sagt sie verschmitzt. Dass sie nun, an diesem Donnerstag Anfang Februar, in
ihrem Eisenacher Büro über ihre Mitgliedschaft spricht, liegt daran, dass
sie die Partei und das Amt wechseln möchte: von der Linken zum Bündnis
Sahra Wagenknecht (BSW), von der Oberbürgermeisterin zurück in den Landtag.
Ihr Plan schmerzt die Linke in Thüringen und vor allem in Eisenach. Zum
einen, weil Wolf den [1][Wechsel so unerwartet am 19. Januar verkündet]
hat, zuvor sogar bestritten hatte, zum BSW zu wollen. Zum anderen ist die
erfahrene Politikerin in diesem Amt ein Verlust. Das wurde auch auf dem
Neujahrsempfang in Eisenach deutlich.
Dorthin war auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke)
eingeladen, der Wolf seit Jahren kennt. 1999 stand Ramelow drei Plätze vor
ihr auf der Landesliste. Hatte er sich zuvor enttäuscht von Wolfs
Entscheidung gezeigt, bot er ihr auf dem Empfang zum Ende seiner Rede
überraschend an: „Wenn du möchtest, kannst du zu mir ins Kabinett kommen.“
Also nach der Wahl. Doch Wolf hält am Wechsel fest, obwohl das Angebot sie
ehre.
## Eigentlich ist sie eine Öko-Feministin
Hört man sich unter Linken in Thüringen um, zeigen sich einige skeptisch,
ob Wolf zur politischen Ausrichtung des BSW passt. Sie gilt als „überzeugte
Feministin“, steht für Umwelt- und Klimathemen ein, die sich bei
Wagenknecht nicht ganz oben auf der Agenda finden. Warum will Wolf trotzdem
in deren Partei? Sie nennt mehrere Gründe, sagt aber auch: „Würde ich nicht
in Thüringen wohnen, wäre ich den Weg wahrscheinlich nicht gegangen.“
Thüringen wählt am 1. September einen neuen Landtag. Die extrem rechte AfD
bekommt derzeit im Umfragen [2][mehr als 30 Prozent der Stimmen]. Der
Faschist Björn Höcke, Parteivorsitzender in Thüringen, liebäugelt mit dem
Posten des Ministerpräsidenten. Bisher regieren Linke, SPD und Grüne –
allerdings in einer kräftezehrenden Minderheitsregierung. Den Umfragen
zufolge könnten alle drei bei der nächsten Wahl Stimmanteile verlieren.
Die Linke in Thüringen holte 2019 noch 31 Prozent und liegt in Umfragen
derzeit bei weniger als 20 Prozent. Entsprechend hoch sind die Erwartungen
an die neue Partei BSW. Eine erste Umfrage in Thüringen sah sie bei 4
Prozent. In einer zweiten sprachen sich satte 17 Prozent für sie aus. Aber
Umfragen sind nur Umfragen – und der Parteiaufbau in Thüringen schreitet
langsam voran: Der Landesverband soll am 15. März gegründet werden,
verkündeten Wagenknecht und Wolf am Freitag. Es gibt erst um die 40
Mitglieder. An diesem Wochenende will Katja Wolf aus der Linken austreten.
Sie ist die bekannteste BSW-Vertreterin hier.
Anfang Februar sitzt Wolf auf der vorderen Stuhlkante, die verschränkten
Arme abgestützt auf der dunklen Holzplatte ihres Bürotisches, und sagt,
dass sie mit ihrem Wechsel zwei Ziele verfolge. Erstens: den
Wähler:innen ein neues Angebot unterbreiten. „Zwischen der Linken und
der CDU gibt es keine konstruktive Zusammenarbeit“, wenn es so weitergehe
wie bisher, befürchte sie einen Stillstand. Und zweitens: der AfD Stimmen
abnehmen und einen Ministerpräsidenten Höcke verhindern. Immer wieder kommt
sie darauf zurück.
## AfD dezimieren mit Wagenknecht?
Laut dem Thüringen-Monitor haben dort 20 Prozent ein gefestigt rechtes
Weltbild. Aber 10 Prozent gelten als sogenannte Protestwähler – und die
will Wolf der AfD abnehmen. „BSW können auch Menschen wählen, die von
etablierten Parteien enttäuscht sind, aber eigentlich nicht
rechtsradikal.“
Sie komme als Oberbürgermeisterin viel rum und habe von vielen gehört, dass
die die Linke nicht mehr wählen wollten. Nimmt das BSW der Linken Stimmen
weg? „Nein“, sagt Wolf, „ich glaube, die hätten entweder gar nicht mehr
gewählt oder aus Verzweiflung irgendeinen Mist.“
Das sieht Ulrike Grosse-Röthig, Vorsitzende des Linke-Landesverbands,
anders. „In Thüringen kann sich niemand Illusionen über die AfD machen“,
sagt sie. Sie kenne zwar auch die Zahlen, aber sei sich sicher: „BSW kann
der AfD keine 10 Prozent abnehmen.“ Die habe in bisherigen Umfragen auch
kaum an Stimmen verloren.
Hätte Wolf nicht auch bei der Linken gegen einen Ministerpräsidenten Höcke
arbeiten können? Nein, sagt sie selbst. Es brauche „einen Neuanfang“. Die
Linke konzentriere sich zu sehr auf die Parlamente, habe ihre tiefe
Verankerung in den Kommunen verloren. Früher sei das anders gewesen.
## Erste Frau an der Spitze Eisenachs
Katja Wolf erzählt, 1992 habe sie ihren „Beitritt regelrecht
herbeigesehnt“. Noch vor ihrem 16. Geburtstag reichte sie ihren
Mitgliedsantrag bei der Linken ein. Wolf wuchs im Erfurter Stadtteil Roter
Berg auf, im Norden der Stadt ragen dort vor allem Plattenbauten in den
Himmel. „Der Rote Berg war einer der Stadtteile Erfurts, wo sehr schnell
klar war: Wir begreifen uns jetzt als rechts. Wie ich plötzlich in einer
Schulklasse saß, die sich komplett darüber definiert, dass sie alle
zusammen rechts sind, wie wir Angst hatten, allein auf der Straße zu sein –
da vergisst man nicht, in welcher Geschwindigkeit Gesellschaften abkippen
können.“
Damals in die PDS einzutreten, sei „alles andere als schick“ gewesen. Nach
der Wende kämpfte die Nachfolgepartei der SED mit einer Austrittswelle.
Hatte sie vorher offiziell noch mehr als zwei Millionen, startete die PDS
1990 mit 285.000 Mitgliedern. Bis Katja Wolf eintrat, halbierte sich die
Zahl noch einmal. Die meisten wollten mit der früheren Staatspartei der DDR
nichts mehr zu tun haben.
„Die PDS war spannend, weil die sich selbst zerfleischt hat in der Frage,
welche historische Verantwortung die Mitglieder am Scheitern der DDR
tragen: Was darf uns nie wieder passieren?“, erinnert sich Wolf. Daraus
habe man gelernt: „Wir waren einfach eine von Grund auf demokratische
Partei, eine pluralistische Partei, eine Partei von unten.“
Noch bevor sie 1999 in den Landtag einzog, verlagerte Wolf ihr Leben nach
Eisenach. Dort wurde sie erst Teil des Stadtrats und 2012 dann zur
Oberbürgermeisterin gewählt, „eine Überraschung“, sagt sie selbst. Bis
dahin hatten hier nur Männer regiert.
## Kein Handschlag mit der NPD
Das Rathaus in Eisenach stammt aus dem 16. Jahrhundert und wurde saniert,
soweit es der Denkmalschutz zulässt. Im Regal, vor dem Wolf sitzt, stehen
Werke und Porträts bekannter Künstler:innen der Stadt, darunter Johann
Sebastian Bach. Ansonsten ist Eisenach vor allem für Martin Luther bekannt.
Manchen mag die Stadt auch als jener Ort in Erinnerung geblieben sein, wo
sich [3][das NSU-Kerntrio im November 2011 selbst enttarnte], als sich zwei
der Terroristen erschossen und in ihrem Wohnwagen gefunden wurden.
Im Jahr 2014 machte OB Wolf Schlagzeilen, weil sie den NPD-Mitgliedern im
Stadtrat den Handschlag verweigerte. Bei der letzten Wahl 2019 holte die
Neonazipartei immer noch 10 Prozent, die AfD mehr als 11 Prozent. Die
Arbeit der Bürgermeisterin sei nicht immer leicht, sagt Wolf, zumal sie
keine Mehrheit im Stadtrat habe. Sie mache es trotzdem gerne – auch wegen
der Macht zu gestalten.
Die habe sie in Eisenach etwa genutzt, um „eine mustergültige
Integration in die Stadtgesellschaft zu leisten. Da bin ich schon stolz
drauf. Zum Beispiel wollten wir die Geflüchteten in der gesamten Stadt
verteilen, damit in allen Stadtteilen eine Veränderung spürbar ist.“ Aber
sie sagt auch, dass die Kommunen in der Aufnahme von Geflüchteten „an der
Belastungsgrenze“ seien.
## Wie hält sie es mit der Ukraine?
„Das mag in fünf Jahren oder in zehn Jahren wieder anders aussehen.“ Aber
gerade gehe nicht mehr. Eine Meinung, die sich auch im BSW wiederfindet.
Bei dessen Gründungsparteitag am 27. Januar gab es erstaunlich wenig
Debatten, und die größten Unterschiede bei den Abstimmungen zeigten sich in
der Beteiligung. Die nach Wagenknecht benannte Partei wirkt eher top-down
als andersrum.
Katja Wolf widerspricht nicht völlig. „Ja und nein. Die Unterstützung von
unten ist groß“, betont sie. „Ich finde, es gibt für so eine Gründungsph…
Sonderregeln.“ Und die würden für ein paar Jahre gelten. „Die Partei muss
langsam wachsen können, das ist gesünder.“ Allerdings mit Grenzen. AfD und
BSW? „Im Traum nicht!“, sagt Wolf. „Für mich steht hundertprozentig fest,
dass das BSW nicht mit der AfD zusammenarbeiten wird.“
Im Büro ein Gemälde, das Wolf im Dezember in Ungarn geschenkt bekommen
hat. Dort war sie in Sárospatak, einer Partnerstadt Eisenachs unmittelbar
an der ukrainischen Grenze. Wolf nutzte den Besuch, um Spenden ins vom
Krieg gebeutelte Land zu bringen. Die Eindrücke werde sie so schnell nicht
vergessen: leer geräumte Landschaften, wenige Menschen und wenig Arbeit.
Nun wechselt Wolf in eine Partei, die der Ukraine keine Waffen mehr liefern
möchte. „Die Situation ist viel zu komplex, als dass man einfache Antworten
geben könnte“, sagt sie. Es sei falsch, zu glauben, mehr Waffen würden
alles besser machen. „Natürlich muss die Ukraine die Chance haben, sich
selbst zu verteidigen, aber wir müssen alles dafür tun, dass endlich
Verhandlungen stattfinden.“
Wofür das BSW in Thüringen stehe, das sei zurzeit noch ein „Stochern im
Trüben“, sagt Ulrike Grosse-Röthig. Demokratieverdrossenheit, Demografie,
Windenergie: zu den Problemen in Thüringen fehle noch ein Programm.
Katja Wolf will sich in die Debatte über das Wahlprogramm einbringen. Das
BSW könne auch schon an einer Thüringer Regierung mitwirken – zusammen mit
allen demokratischen Parteien gegen die AfD. Bis zum 30. Juni sei ihre
Rolle klar: Oberbürgermeisterin Eisenachs.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels stand, die
NPD habe ihrer Klage gegen den verweigerten Handschlag der
Oberbürgermeisterin Katja Wolf verloren. Das stimmt nicht. In der zweiten
Instanz bekam die NPD recht. Die Handschlagpflicht wurde durch die
Corona-Pandemie aufgelöst. Wir haben die Stelle entsprechend geändert.
24 Feb 2024
## LINKS
[1] /Neue-Partei-von-Sahra-Wagenknecht/!5984213
[2] /Umfrage-sieht-AfD-Hoch-in-Thueringen/!5968136
[3] /Gedenken-an-NSU-Opfer/!5813234
## AUTOREN
David Muschenich
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Fabio de Masi
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