Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Unternehmen „Sekko Soziale“: Mit Sekt etwas anstoßen
> Daniel Priller und David Caspers verkaufen Perlwein und spenden einen
> Teil des Erlöses an eine Initiative für Aussteiger aus der rechten Szene.
Bild: Alkohol mit Wirkung: David Caspers (links) und Daniel Priller verkosten m…
„Flower. Fruit. Fun“, sagt die Frau mit dem Glas Rosé in der Hand. Nach
Blumen, Obst und Spaß schmeckt ihr also der Perlwein, den sie gerade
probiert hat. Gemeinsam stehen wir auf einer kleinen Sektverkostung in
einem Neuköllner Ladenlokal, Typ: Büro mit Atelierflair. Es wird
geschnattert und geprostet, doch sind auch einige stille Gäste anwesend;
von Postern an der Wand schauen sie uns beim Trinken zu.
Menschen verschiedenen Alters, größtenteils Männer, die eines gemeinsam
haben: Sie schafften es, [1][aus der rechten Szene auszusteigen]. „Ohne
Exit hätte mein Hass niemals aufgehört“ steht auf einem Plakat. „Ohne Exit
hätte ich niemals meine rassistische Vergangenheit aufgearbeitet“. Und
auch: „Ich frage mich manchmal, ob ich ohne Exit überhaupt noch hier wäre
…“
Gemeint ist [2][die Initiative „Exit Deutschland“]. Seit mehr als 20 Jahren
unterstützt sie Menschen, die mit dem Rechtsextremismus brechen und sich
ein neues Leben aufbauen wollen. Wie das mit Blumen, Obst und Spaß
zusammengeht, das erzählen die beiden Gastgeber der Verkostung, während wir
auf die Gäste warten. Daniel Priller (41) und David Caspers (31) sind die
Gründer und Chefs von „Sekko Soziale“, sie vermarkten ihre Ware unter dem
Motto „Anstoßen statt ausgrenzen“.
Heißt konkret: Für jeden verkauften Liter spenden sie einen Euro an Exit
Deutschland. Von 2020 bis 2022 sind so mehr als 20.000 Euro Spenden
zusammengekommen. Geld, mit dem beispielsweise Umzüge oder
Tattooentfernungen finanziert werden. „Viele wissen nicht, dass aus der
Szene auszusteigen lebensgefährlich sein kann“, sagt Priller mit ernstem
Blick.
## Soziales Bier, Limonade und Wasser – doch kein sozialer Sekt
Die Idee, Perlwein „mit sozialer Wirkung“ zu produzieren, hatten Priller
und Caspers, als sie sich im Sommer 2018 beim Fusion-Festival einen Sekt
bestellen wollten. Da fiel ihnen auf: Es gibt soziales Bier, soziale
Limonade, sogar soziales Wasser – doch keinen sozialen Sekt. Denn
tatsächlich ist das Prinzip, den Verkauf von Getränken mit einem
weltverbessernden Auftrag zu verknüpfen, in Deutschland nicht neu. Wer beim
Trinken ein gutes Gewissen haben möchte, findet einige Optionen.
So spendet das 2009 gegründete Hamburger Start-up LemonAid [3][für jede
verkaufte Flasche Limonade] oder ChariTea-Eistee 5 Cent für
Entwicklungsprojekte, etwa in Südafrika. 7 Millionen Euro sollen bereits
zusammengekommen sein. Ebenfalls in Hamburg hat der Verein Viva con Agua
seinen Sitz, der seit 2010 über mit ihm verbundene GmbHs Mineralwasser oder
auch Klopapier verkauft. Mit dem Geld soll im Globalen Süden die Versorgung
mit Trinkwasser und sanitären Anlagen gefördert werden.
[4][Das Berliner Bier Quartiermeister] legt seinen Fokus hingegen auf
Initiativen, die sich in Deutschland im lokalen Rahmen für
gesellschaftliche Teilhabe engagieren. Diese werden mittels Onlinevoting
bestimmt – eine „Kunsttherapie für traumatisierte Geflüchtete“, eine
„Verschenkekiste“ oder „Weihnachten auf der Straße“ haben beispielswei…
schon davon profitiert.
## Warum nicht für einen sozialen Zweck?
Auch die Hamburger Fritz-Kola spendet regelmäßig an Projekte wie Laut gegen
Nazis und auch Exit Deutschland, während der fränkische Pionier Bionade
unter anderem die Initiative „Vielfalt 2030“ gegründet hat, die 17
Millionen Quadratmeter Grünfläche in Deutschland insektenfreundlicher
gestalten will.
So weit ist Sekko Soziale noch nicht. Im Büro trudeln nun die Gäste der
Sektprobe langsam ein. „Typisch Berlin“, sagt Daniel Priller zu David
Caspers, und beide lachen. Sie kennen sich damit aus; bevor sie Sekko
Soziale gründeten, haben Priller und Caspers in der Kultur- und
Veranstaltungsbranche gearbeitet.
Aus ihrer Erfahrung in der Berliner Nacht wissen sie auch, dass Sekt in
Clubs und auf Techno-Festivals sehr beliebt ist und dass viele bereit sind,
ein bisschen mehr dafür zu bezahlen. Warum damit also nicht einen guten
Zweck verknüpfen?
## Nach einem Sektfrühstück fit zur Arbeit
Als endlich alle Gäste da sind, wird das Licht gedämpft und feierliche
Musik erklingt. Nun ist es wirklich so, wie man sich eine Weinverkostung
vorstellt. „Wir nehmen euch auf eine kleine Reise mit“, sagt Priller auf
Englisch, und anschließend fachsimpeln die beiden über ihre Getränke. Nach
der ersten Runde mit dem Sekko Rosé – einer Mischung aus Spätburgunder und
Merlot – kommt der Weiße – eine Cuvée aus Riesling, Bacchus und
Müller-Thurgau – dran, ebenfalls ein Perlwein. „Das perlt im Mund“, erkl…
Priller. Das sei der Unterschied zum nun folgenden Sekt, der „blubbern“
würde. Der eine sei leise, der andere laut.
Die beiden Perlweine und ihren Sekt bezieht Sekko Soziale vom Weingut Hemer
in Rheinhessen, einem 1902 gegründeten Familienbetrieb, der ganz auf
Bioanbau setzt. Nur der alkoholfreie Sekko wird nicht bio produziert; hier
dauerte es auch so schon einige Zeit, einen Winzer zu finden, bei dem
Qualität und Preis zusammenpassen. „Uns war aber wichtig, den im Sortiment
zu haben, um Menschen, [5][die keinen Alkohol trinken], nicht
auszugrenzen“, sagt Daniel Priller. „Und außerdem ist es auch in unserem
persönlichen Interesse, nach einem Sektfrühstück fit zur Arbeit zu kommen.“
Der alkoholfreie Sekt wird zum Star des Abends. „Nicht so süß. Lecker!“,
sagt einer, „wie Wasser, nur feierlicher“, ein anderer. „Da ist wirklich
nichts drin?“, fragt eine Teilnehmerin. Das sei so, wie gutes veganes Gyros
essen und unsicher sein, ob es wirklich vegan ist. Mich überzeugt er auch,
obwohl ich eigentlich skeptisch [6][gegenüber Null-Promille-Versionen von
alkoholischen Getränken] bin.
## Exit Deutschland
Auch der normale Sekt kommt gut an, wird als „trocken und erfrischend“
beschrieben. Mit nur 4,2 Gramm pro Liter sei der Zuckergehalt extra gering,
erklärt Priller, denn: „Bei billigen Sektmarken wird viel Zucker
eingesetzt. Damit bist du am nächsten Tag sicher verkatert.“ Zum Vergleich:
Trockener Rotkäppchen-Sekt hat 20 Gramm, halbtrockener 36 Gramm pro Liter.
Dann wird es ernster, denn aus der Runde kommt die Frage, warum sie sich
eigentlich für Exit Deutschland entschieden hätten. „Wenn du Musikfestivals
veranstaltest und dort Einlass machst, hast du leider viel Kontakt mit
Nazis“, sagt Daniel Priller. „Wir finden, dass Rassismus und
Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft nichts zu suchen haben“, sagt
David Caspers.
Sie seien aber eines der größten Probleme in Deutschland. „Es ist unsere
Verantwortung, das zu verändern.“ Deshalb war es Caspers und Priller
wichtig, „etwas hier vor Ort“ zu machen – auch wenn viele soziale
Unternehmen in einen besseren Lebensstandard der Menschen im Globalen Süden
investieren würden.
## Ein Herz für Hater
Letztlich seien mehrere Faktoren zusammengekommen. „Wir möchten zu etwas
Konstruktivem beitragen. Viele Organisationen sind eher ‚anti‘, was wir
okay finden – aber wir wollten nicht mit dem Finger zeigen, sondern
proaktiv was machen“, sagt Priller. Und so seien sie schließlich auf Exit
Deutschland gestoßen, das 2019 wegen Finanzierungskürzungen [7][vom Aus
bedroht war].
Manchmal würden die Ziele von Sekko Soziale missverstanden. „Ich gebe kein
Geld für Nazis aus“, so etwas würden sie schon mal zu hören bekommen. Auf
Hate-Kommentare in ihren sozialen Kanälen antworten Priller und Caspers mit
Herz-Emojis. Konkrete Drohungen von Rechten gab es bisher „zum Glück“
nicht.
Allerdings würden aus Sorge davor einige Händler*innen – „vor allem im
Osten“ – lieber keinen Sekko Soziale verkaufen. „Und wir haben auch schon
von Händler*innen gehört, dass wir ihnen zu politisch sind“, sagt
Caspers. Sie selbst sehen das gemeinsame Trinken und Anstoßen als Akt der
Inklusion. „Wenn Menschen zusammen trinken und feiern, sind Herkunft,
Geschlecht, Alter und alles andere egal.“
13 Feb 2024
## LINKS
[1] /Aussteigerin-ueber-rechte-Szene/!5450880
[2] https://www.exit-deutschland.de/
[3] /Streit-um-Lemonaid/!5564555
[4] /Gerstensaft/!5131375
[5] /Alkoholfrei-als-Trend/!5838121
[6] /Start-up-fuer-alkoholfreien-Wein/!5597120
[7] /Aussteigerhilfe-Projekt-fuer-Neonazis/!5634551
## AUTOREN
Luciana Ferrando
## TAGS
Getränke
Schwerpunkt Demos gegen rechts
Berlin
IG
Alkohol
Wein
Rechtsextremismus
Gentrifizierung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sinkende Sektverkäufe: Zukunft nicht so prickelnd
Seit Jahren sinkt der Sekt-Absatz in Deutschland. Das liegt nicht nur am
verstaubten Image des Schaumweins, sondern auch an der gesellschaftlichen
Stimmung.
Portugiesischer Wein: Tiefgründige Traube
Bei Nuno Sousa Pereira reift ein Rotwein tief im Sandboden: der „Wein der
Toten“. Dunkelheit und Temperatur geben ihm sein fruchtiges Aroma.
Aktivistin über Schutz vor Rassismus: „Wir fordern Taten ein“
Es sei wichtig, dass der Kanzler sich an die Seite derer stelle, die
Rassismus erleben, sagt Karen Taylor von EOTO. Doch das allein sei nicht
genug.
Viva Con Agua baut Hotel in Hamburg: Gentrifizierung in Kauf genommen
Viva Con Agua baut ein Hotel im Hamburger Münzviertel. Der Verein versucht
einen Balanceakt zwischen Gemeinnützigkeit und Profit.
Biotrinker-Vertrieb „Gekko“: Brause von links
Das Kollektiv „Gekko“ versorgt die Alternativen und Angesagten mit
Getränken, die zu ihnen passen. Ohne Selbstausbeutung geht das nicht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.