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# taz.de -- Bildung in Frankreich: Den Start vermasselt
> Mit einer Lüge bringt die neue Bildungsministerin Amélie Oudéa-Castéra
> das Lehrpersonal an staatlichen Schulen gegen sich auf. Jetzt drohen
> Streiks.
Bild: Dreist gelogen: Frankreichs Bildungsministerin Amelie Oudéa-Castéra
Paris taz | In der unter der Regie von Staatspräsident Emmanuel Macron
[1][neugebildeten Regierung] stach neben der Kulturministerin Rachida Dati
ein anderer Name einer bisherigen Ministerin hervor, die zuvor nicht vielen
bekannt war: Amélie Oudéa-Castéra war in der früheren Regierung bereits
Sport- und Jugendministerin und damit maßgeblich an der Vorbereitung der
diesjährigen Olympischen Sommerspiele beteiligt.
Dass sie nun zusätzlich auch die Verantwortung für das Bildungs- und
Erziehungswesen übernehmen soll, wundert manche, die wissen, welch
gigantische Aufgabe das ist. Beim Erziehungspersonal der „Education
nationale“ kam diese Nominierung sehr schlecht an: Ist das nicht ein
Zeichen der Geringschätzung, wenn eine Ministerin sich quasi im Nebenjob um
das staatliche Schulsystem kümmern soll?
Eine Enthüllung des Online-Magazins Mediapart hat der Ministerin jetzt aber
den Start erheblich erschwert: Oudéa-Castéra habe ihre eigenen Kinder nicht
in staatlich-öffentliche Schulen geschickt, wie sich das eigentlich für
[2][eine Repräsentantin der laizistischen Republik] gehört, sondern in eine
katholische Privatschule.
Und nicht in irgendeine, sondern in die Eliteschule Stanislas im vornehmen
6. Bezirk von Paris. Die Schule war in einem Inspektionsbericht wegen
Homophobie, Propaganda gegen Abtreibung, Verhütung und anderer reaktionärer
Beeinflussung kritisiert worden, kommt aber weiterhin in den Genuss
staatlicher Finanzierung sowie auch öffentlicher Subventionen.
## Eine Lüge
Zu ihrer Rechtfertigung erklärte Oudéa-Castéra, sie habe damals ihren
Ältesten nicht in der staatlichen Schule gelassen, weil dort ständig
Stunden ausgefallen und mangels Personal nicht ersetzt worden seien. Das
klang plausibel, war aber, wie die Zeitung Libération sofort eruieren
konnte, eine Lüge.
Die zu Unrecht der Absenz beschuldigte Lehrerin konnte bestätigen, dass sie
kein einziges Mal gefehlt hatte und dass die Eltern Oudéa-Castéra aus
anderen Gründen für ihre drei Kinder den privaten katholischen Unterricht
in der Stanislas-Schule (Vorschule bis zum Abitur) vorgezogen hätten.
Daraufhin protestierte Oudéa-Castéra beleidigt, sie werde in ihrer
Privatsphäre attackiert, doch nun wolle sie das Thema in der Öffentlichkeit
beenden. So einfach aber ist das nicht. Denn ohne dies zu wollen, hat
ausgerechnet sie als neue Erziehungsministerin den seit Jahrzehnten
schwelenden und regelmäßig zu hitzigen Konflikten entflammenden Schulkrieg
zwischen den laizistischen Anhängern der öffentlichen Schule der Republik
und den Verteidigern der religiösen Privatschulen neu entfacht.
Denn Mediapart veröffentlichte als Replik den fraglichen
Untersuchungsbericht, der zeigt, wie locker es die Direktion der
Stanislas-Schule mit den staatlichen Auflagen nahm und wie sehr die
(grundsätzlich fakultative, de facto aber obligatorische) religiöse
Erziehung, ja ideologische Beeinflussung durch zum Teil sehr reaktionäre
Erziehende im Vordergrund steht.
## Kur als Heilmittel
Noch im vergangenen Mai hatte – unter anderem – ein Religionslehrer in der
Mittelstufe des Collège den Jugendlichen beigebracht, Homosexualität sei
eine „Krankheit“, von der man mit einer religiösen Kur in Kanada geheilt
werden könne. Sie komme daher, dass die Mama den Papa während der
Schwangerschaft betrogen habe.
Oudéa-Castéra behauptet, sie habe diesen Bericht nicht erhalten, wollte
diese Vorwürfe jedoch dementieren. Zu spät versuchte sie sich aus der
Affäre zu ziehen, indem sie sich bei der von ihr anfänglich verunglimpften
staatlichen Schule und Lehrerin vor Kameras entschuldigen wollte. Sie wurde
dort von wütenden Eltern und Lehrer*innen mit Pfiffen empfangen.
Die Sache wurde immer peinlicher. Sie stellt ein Problem für das neue
Kabinett dar, von dem sich Präsident Emmanuel Macron neuen Schwung und
nicht zusätzliche Schwierigkeiten erwartet. Dennoch stellte er sich jetzt
hinter die Ministerin. Offenbar kann oder will er auf ihre olympische
Mitarbeit nicht verzichten. Da er mit seiner neuen Regierung der
konservativen Rechten versucht zu schmeicheln, sieht er keinen Grund, mit
einem Rüffel für Oudéa-Castéra die Anhänger der Privatschule zu verärgern.
Die Gewerkschaften der Lehrer*innen haben dagegen für Ende des Monats
und Anfang Februar zu Streiks und Demonstrationen aufgerufen. Denn der
Mangel an Personal und Krediten ist ein reales Problem der öffentlichen
Schulen, wenn auch weniger in den Nobelvierteln von Paris. Doch die Kinder
deswegen in Privatschulen zu schicken, in denen vorwiegend der
privilegierte Nachwuchs der Familien mit hohem Einkommen und Bildungsniveau
unterrichtet und zu einer zukünftigen Elite ausgebildet wird, ist ihrer
Ansicht nach keine Lösung in einer Republik. Deren Devise lautet:
„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ und ist über allen Schultoren zu
lesen.
18 Jan 2024
## LINKS
[1] /Neue-Regierung-in-Frankreich/!5985165
[2] /Abaya-Verbot-an-franzoesischen-Schulen/!5953115
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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