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# taz.de -- Ende des Hamburger Reemtsma-Instituts: Harter Schlag für Königsdi…
> Das Hamburger Institut für Sozialforschung ist von herausragender
> Bedeutung. Nun möchte es sein Gründer und Stifter Jan Philipp Reemtsma
> schließen.
Bild: Mäzen, Publizist, Wissenschaftler, Entführungsopfer und Fabrikanten-Erb…
Das ist eine Katastrophe für die Sozialwissenschaften und die
zeitgeschichtliche Forschung in Deutschland. So kommentierten am Wochenende
bereits Soziologen die Nachricht von der Schließung des [1][unabhängigen
Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS)] auf X. Sie haben recht.
Vor 40 Jahren von [2][Jan Philipp Reemtsma] gegründet, wird das Institut
als gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts bis auf ein paar Drittmittel
aus dem Privatvermögen Reemtsmas finanziert. „Aus dem eigenen Betrieb
heraus ist es nicht finanzierbar“, hieß es am Montag in der
Pressemitteilung des Instituts, die Entscheidung scheint endgültig.
Mit Ende der Amtszeit des Direktors und politischen Soziologen Wolfgang
Knöbl, der 2015 die Leitung des Instituts von Reemtsma übernommen hat, soll
die Arbeit 2028 eingestellt werden.
Das Institut ist in seiner Arbeit und Bedeutung einzigartig in Deutschland,
mit der Zeitschrift Mittelweg 36, dem Verlag Hamburger Edition und dem
sozialwissenschaftlichen Nachrichtenportal „Soziopolis“ gibt es einen
relevanten und aktualitätsbezogenen Austausch mit der akademischen Welt und
politisch Interessierten außerhalb des Instituts.
## Kaum zu überschätzende Beiträge
Von Anfang an standen Phänomene der Makrogewalt im Zentrum der Forschung,
dann zunehmend auch Probleme von Demokratie und Staatlichkeit sowie die
Strukturanalyse des gegenwärtigen Kapitalismus. Der Beitrag des Instituts
zur Holocaust- und Genozidforschung ist kaum zu überschätzen.
Reemtsma selbst hatte mit der ersten Wehrmachtsausstellung 1995 für
Aufsehen und ein Bild von der Wehrmacht gesorgt, das deren Verbrechen
angemessen war. Dafür war er nicht nur von Rechtsextremen angegriffen
worden, die Deutschen taten sich noch immer schwer mit der historischen
Wahrheit über sich als Verbrecher. Mit den Auseinandersetzungen um die
Ausstellungen gelang das Institut zu größerer Popularität.
Anfänglich hatte Reemtsma nur Einzelprojekte gefördert, vor allem solche
aus der analytischen Sozialpsychologie; ihn interessierten auch die
nonkonformen Intellektuellen wie etwa [3][Wolfgang Pohrt, den er förderte].
Auch für die Dokumentation und Aufarbeitung der Geschichte der sozialen
Bewegungen und der linksterroristischen Gruppierungen hat das HIS
Erhebliches geleistet.
Unklar, was mit dem großen Archiv des HIS zu Themen der Zeitgeschichte und
der Neuen Sozialen Bewegungen geschehen wird, das, wie die Bibliothek,
öffentlich zugänglich ist. Die Zahl der Dokumente zum Linksterrorismus ist
enorm. Auch die Nachlässe von Hans-Christian Ströbele und Wolfgang Pohrt
etwa, die innerhalb des linken Spektrums kaum weiter voneinander entfernt
hätten sein können, liegen im HIS.
## Unabhängigkeit als Stärke
Die Stärke des Instituts lag in seiner Unabhängigkeit, heißt es in der
Pressemitteilung. Die Rolle des Vorstands beschränkte sich seit der
Einsetzung Wolfgang Knöbls als Direktor 2015 auf die Genehmigung des Etats.
Ein solches Modell sei nach dem Ende von Knöbls Direktorat für den Stifter
und Vorstand Reemtsma aus Altersgründen nicht mehr möglich.
Man fragt sich, ob der 71-jährige Reemtsma kein anderes Modell hätte finden
können, doch er befürchtet, die „Stärke des Instituts“ und „daß es se…
eigene Agenda schreiben kann“, könnte damit beendet sein.
Reemtsma, der sich einst aus der Rolle des Mäzens zum Sozialwissenschaftler
und viel beachteten, klugen Publizisten emanzipieren musste, fällt zurück
in die Rolle des Mäzens, der souverän entscheidet: „Da es nicht die
Intention des Stifters war noch ist, ein beliebiges
sozialwissenschaftliches Institut unter der Leitung oder Observanz
irgendeiner anderen Forschungseinrichtung zu gründen, wird das Hamburger
Institut für Sozialforschung im Jahre 2028 seine Arbeit einstellen.“
Das ist eine Katastrophe, ja. Vor allem in einer Zeit, in der die
Soziologie fast nur noch mit medienwirksamen Zeitdiagnosen boomt, bedarf es
der empirischen und unabhängigen Sozialforschung, die an den Universitäten
immer weniger möglich ist. Hatte doch das HIS das Erbe der Kritischen
Theorie angetreten und auf eine Weise belebt, wie man es sich für das
Frankfurter Institut für Sozialforschung wünschen würde.
15 Jan 2024
## LINKS
[1] https://www.his-online.de/
[2] /Jan-Philipp-Reemtsma-wird-60/!5078741
[3] /Nachruf-auf-Wolfgang-Pohrt/!5561736
## AUTOREN
Tania Martini
## TAGS
Soziologie
Hamburg
Jan Philipp Reemtsma
Kritische Theorie
Wehrmacht
GNS
Jan Philipp Reemtsma
Jan Philipp Reemtsma
Wolfgang Pohrt
Schwerpunkt AfD
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