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# taz.de -- Reemtsma-Institut vor der Schließung: Wes Geist es entspräche
> Das Hamburger Institut für Sozialforschung wird dichtgemacht. Damit geht
> ein Stück deutsche Wissenschaftsgeschichte zu Ende.
Bild: Jan Philipp Reemtsma 2023 in Leipzig. Sein Buch über Christoph Martin Wi…
Unglücklicher hätte es kaum laufen können. Normalerweise wäre zuallererst
der Betriebsrat informiert worden, dann die Forschungsbereichs- und
Verlagsleitung, und schließlich hätte es eine Mitarbeitendenversammlung
gegeben. Doch sie alle mussten aus der Zeitung von der [1][Schließung ihres
Hamburger Instituts für Sozialforschung] erfahren, erzählt sein Gründer und
Stifter Jan Philipp Reemtsma am Montagnachmittag im Institut am Hamburger
Mittelweg. Jemand hatte seine Pläne der FAZ gesteckt.
Eine Pressemitteilung war am Tag danach schnell verfasst, das war
vergangene Woche, und nun saß man am Montag in Hamburg zusammen, das
Institut hatte zur Pressekonferenz geladen, gekommen waren fünf
Journalist:innen. Wenige also, obwohl Interesse und Bedauern kaum größer
hätten sein können, als die Nachricht von der Schließung des Instituts
publik geworden war.
Aber wer Reemtsma auch nur ein bisschen kennt, wusste, das Herumlavieren
ist nicht seine Sache, und so war klar: Die Entscheidung ist gefallen. Das
Hamburger Institut für Sozialforschung wird nach 40 Jahren unabhängiger
Forschung 2028 schließen, das bestätigte auch der jetzige Direktor des
Instituts, der Soziologe Wolfgang Knöbl.
Zwischen ihm und Reemtsma scheint es da keinen Dissens zu geben. Und wenn
es doch so ist oder so wäre, führte das nicht weit, denn was der Stifter
und Gründer des Instituts mit seinem Geld macht, ist seine Sache. Das ist
die grundsätzliche Willkür, die im Mäzenatentum liegt. Wirkliche
Unabhängigkeit gibt es nur für den Mäzen selbst.
## Keine Alternative?
Ja, man fragt sich freilich, ob es denn wirklich keine Alternative zur
Schließung des renommierten Instituts gibt, das so viel beigetragen hat zur
Aufklärung der NS-Verbrechen und zur Gewaltforschung, die von Beginn an ein
Grundpfeiler des Instituts war.
Reemtsmas Verdienste um eine kritische Öffentlichkeit dieser Republik sind
groß. Mit 28 Jahren verkaufte er die Anteile an der Zigarettenfabrik seines
Vaters, widmete sich fortan mit seinem Vermögen von mehreren hundert
Millionen Euro der Literatur und Wissenschaft. Ein sozialwissenschaftliches
Institut zu gründen ist nicht das Naheliegendste für Menschen mit so viel
Geld.
[2][Zu seinem 60. Geburtstag sagte er noch der taz]: „Nun, das Hamburger
Institut für Sozialforschung hat eine erfolgreiche Geschichte gehabt, und
die sollte sich fortsetzen, auch wenn ich irgendwann keine aktive Rolle in
ihm mehr spiele. Ich habe mir Gedanken zu machen, wie das aussehen wird.“
Es hat Gespräche gegeben, sagt Reemtsma. Mit der Max-Planck-Gesellschaft
etwa, die haben vor der Amtszeit Wolfgang Knöbls stattgefunden, der 2015
als Direktor eingesetzt wurde. Sie müssen mehr als ernüchternd gewesen
sein: Die Max-Planck-Gesellschaft wollte keine Verpflichtung zur
Fortsetzung der Arbeit des Instituts eingehen, die im Kern, so Reemtsma, in
der Gewaltforschung und in der Kooperation der Disziplinen Soziologie und
Historiografie liegt. Zudem: Reemtsma hätte weiterhin etwas de facto Neues
finanzieren sollen, denn nicht einmal der Name des Instituts wäre gesichert
gewesen.
## Geist der Unabhängigkeit
„Jede scheinbare Fortsetzung wäre nur eine Schließung mit anderen Mitteln�…
so Reemtsmas Resümee am Montag. Ein Institut auf Basis von
Drittmittelprojekten entspräche ebenso wenig dem Geist des Instituts –
seiner Unabhängigkeit. Und dennoch, ganz versteht man es nicht. Warum steht
hier keine jüngere Generation von Wissenschaftler:innen bereit,
hervorgegangen aus dem Institut selbst, der man vertrauensvoll das
Erarbeitete in die Hände legen und die man weiterhin finanzieren möchte?
Es gehe darum, mit dem, was erarbeitet worden ist, nicht leichtfertig
umzugehen, so Reemtsmas Antwort darauf. Es gibt sie wohl schlichtweg nicht
oder kann sie gar nicht geben, diese Menschen.
Dann sagt Reemtsa noch andere Dinge, die durchaus einleuchten, versucht
man, die Perspektive des Mäzens einzunehmen: „Solche Entscheidungen werden
herbeigelebt.“ Oder: „Unkonventionalität ist nicht reglementierbar.“
Und er erzählt die Anekdote, wie Cicero durch Rom läuft und fragt, warum
hier keine Statue von ihm stehe. Sein Begleiter sagt, „besser sie fehlt,
als dass einer fragte, was macht sie hier“. Da spricht wohl die Angst, aus
dem Institut könnte etwas werden, was nicht seinem Geist und seinem Stifter
entspricht.
## Ein Stück deutsche Wissenschaftsgeschichte
Über die Zukunft von Verlag, Zeitschrift und Archiv wird es diverse
Gespräche geben. Für das Institut selbst ist das letzte Wort gesprochen.
Mit ihm geht auch ein [3][Stück deutsche Wissenschaftsgeschichte] zu Ende.
Das Zukunftsmäßige besteht dann vielleicht ohnehin in start-up-ähnlichen
Wissenschaftscompanies, die um die steilsten Thesen konkurrieren. Das
wiederum will man gar nicht so genau wissen.
23 Jan 2024
## LINKS
[1] /Ende-des-Hamburger-Reemtsma-Instituts/!5985940
[2] /!538470/
[3] /Hamburger-Institut-fuer-Sozialforschung/!5986513
## AUTOREN
Tania Martini
## TAGS
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Soziologie
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