# taz.de -- Handelsabkommen zwischen EU und Chile: Raubbau ohne Grenzen | |
> Im Februar soll vom EU-Parlament ein Handelsabkommen mit Chile | |
> verabschiedet werden. Es gefährdet Nachhaltigkeit, Finanzen und | |
> Demokratie vor Ort. | |
Bild: Ökologisch sehr bedenklich: Die SQM-Lithium-Mine in der Atacama-Salzeben… | |
Die Atacamawüste im Norden Chiles beherbergt einen wertvollen Rohstoff: | |
Lithium. Weil dieses Metall als Bestandteil von Akkus heute in fast allen | |
Computern, Telefonen und E-Autos zu finden ist, ist die Nachfrage nach | |
diesem „weißen Gold“ weltweit geradezu explodiert. Doch Lithiumabbau | |
verbraucht enorme Mengen an Wasser: Eine Tonne Lithium zu produzieren | |
benötigt etwa 900.000 Liter Wasser – und das in einer der trockensten | |
Regionen der Erde. Die Folge: Das Wasser für Menschen und Felder wird immer | |
knapper. Der [1][Abbau von Rohstoffen in Chile] führt regelmäßig dazu, dass | |
Äcker, Wasser und Luft kontaminiert, Arbeits- und Menschenrechte massiv | |
verletzt und indigene Gemeinschaften vertrieben werden. | |
Um möglichst billig an Lithium und [2][andere Rohstoffe wie Kupfer] zu | |
gelangen, schloss die EU-Kommission zahlreiche Handelsabkommen ab, im Jahr | |
2005 auch eines mit Chile. Unter dem Deckmantel einer Modernisierung wurde | |
in den letzten 15 Jahren [3][über ein aktualisiertes Abkommen verhandelt]. | |
Dieses soll noch im Februar vom EU-Parlament verabschiedet werden. Der | |
Ausschuss für internationalen Handel des EU-Parlaments stimmte am | |
vergangenen Mittwoch mit 66 zu 12 Stimmen und vier Enthaltungen dafür, | |
diesem die Zustimmung des Abkommens zu empfehlen. | |
Um den Zugang zu den Rohstoffen schnell zu sichern, wurde es in zwei | |
Vertragsteile aufgespalten: einen Handelsteil und das große Rahmenabkommen. | |
Für den Handelsteil ist allein die EU zuständig, er kann an den nationalen | |
Parlamenten vorbei verabschiedet werden. Das große Rahmenabkommen hingegen, | |
das die Vereinbarungen zur nachhaltigen Zusammenarbeit festlegt, muss den | |
langen Weg über die Parlamente nehmen. | |
Ein eigenes Kapitel zu Energie und Rohstoffen entlarvt, welche Vorteile | |
sich die EU sichern möchte: Europäischen Unternehmen soll der | |
uneingeschränkte Zugang zu Rohstoffen und öffentlichen Vergabeverfahren in | |
Chile gewährt werden. Gleichzeitig wird chilenischen Unternehmen sowohl im | |
eigenen Land als auch beim Export eine Monopolstellung untersagt und ihre | |
Preise dürfen nicht die der europäischen Konkurrenz übersteigen. Im | |
Agrarsektor schafft das Abkommen alle Zölle außer diejenigen auf Zucker ab. | |
Die Agrarproduktion soll also für den Export ausgerichtet werden. Dabei ist | |
die Anbaufläche für landwirtschaftliche Produkte in Chile in den letzten | |
Jahrzehnten deutlich gesunken, kleine Produzenten wurden verdrängt, die | |
lokale Lebensmittelversorgung ist gefährdet. | |
## Mit Sonderklagerechten gegen Demokratie | |
Die weitreichendste Neuerung betrifft die Demokratie im Kern: Die | |
EU-Kommission möchte in allen neuen oder überarbeiteten Handelsabkommen | |
verankern, dass ausländische Investoren Staaten vor Sondergerichten | |
verklagen dürfen. So könnten Investoren voraussichtlich entgangene Gewinne | |
einklagen. Das birgt für finanziell schwächere Staaten wie Chile ein | |
erhebliches Risiko und kann dazu führen, dass schon Klageandrohungen | |
notwendige Regulierungen zum Schutz von Mensch und Umwelt verhindern. Damit | |
würden ausländische Investoren begünstigt, andere gesellschaftliche Gruppen | |
von der Klagemöglichkeit ausgeschlossen und demokratisch gewählte | |
Parlamente und Regierungen eingeschränkt. | |
Bei Verträgen zwischen EU-Staaten sind diese Verfahren inzwischen illegal. | |
Es ist daher völlig unverständlich, warum die EU in Abkommen mit | |
Drittstaaten auf dieses gefährliche Konzept der Schiedsgerichte setzt. | |
Bereits heute bereitet es Chile große Probleme: Ein kanadischer | |
Lachszüchter wollte mitten in einem Nationalpark eine Massenzucht eröffnen | |
und hat Klage angedroht, falls ihm die Genehmigung verweigert werden | |
sollte. Es wurde gegen Sozialprogramme im Tagebau geklagt, und die | |
Rücknahme privater Wasserkonzessionen nach großen Wasserverunreinigungen | |
führte zu erfolgreichen Milliardenklagen gegen Chile. | |
Internationale Handelsverträge folgen einem durchschaubaren Muster: Während | |
die Handelskapitel mit Sanktionen bewehrt sind, werden die Abschnitte zu | |
Menschenrechten und Naturschutz als bloße Absichtserklärungen deklariert. | |
Für die EU-Kommission ist das kein Grund zur Bescheidenheit. So schwärmte | |
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen letzten Sommer über das | |
überarbeitete EU-Chile-Abkommen: „Dieses Abkommen wird ein neues Kapitel in | |
unserer Partnerschaft aufschlagen und unsere gemeinsamen Werte ins Zentrum | |
unserer Beziehungen stellen: Achtung der Menschenrechte, Gleichstellung der | |
Geschlechter, Transparenz und Nachhaltigkeit.“ | |
Das zeichnet ein verzerrtes Bild. Denn auch beim Abkommen zwischen der EU | |
und Chile sind die Bestimmungen zu Nachhaltigkeit, zu Frauen und Handel | |
sowie zur nachhaltigen Ernährung unverbindlich, schwer durchsetzbar und | |
bieten keine wirksamen Sanktionsmechanismen. | |
## Neustart statt Modernisierung | |
Es ist eine Frage der Zeit, bis die Menschen in Lateinamerika und überall | |
sonst in der Welt die Ungerechtigkeit der europäischen Handelspolitik | |
erkennen. Statt warmer Worte muss Schluss sein mit einer | |
Außenwirtschaftspolitik, die darauf beruht, Rohstoffe und Agrarland für den | |
Export maximal auszubeuten. Wenn Menschenrechte und Naturschutz der EU | |
wirklich so wichtig sind, wie Ursula von der Leyen behauptet, muss die EU | |
den Mut haben, das geplante Abkommen zu stoppen und grundlegend neu zu | |
verhandeln. | |
In einem neuen Vertrag mit Chile müssen Regierungen die | |
Regulierungsfreiheit zum Schutz von Arbeitsplätzen, Gesundheit, | |
Verbraucher:innen und der Umwelt behalten. Statt Gentechnik und | |
industrieller Landwirtschaft sollten in Zukunft eine ökologische | |
Landwirtschaft und regionale Lebensmittelversorgung gefördert werden. Alle | |
Handelsabkommen mit Sonderklagerechten für Investoren schaden dem | |
Rechtsstaat und der Demokratie. Sie gehören deshalb in den Papierkorb. | |
26 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ludwig Essig | |
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