# taz.de -- Welthandelsorganisation: Vielleicht doch lieber multilateral | |
> Die Welthandelsorganisation ist ungerecht und verstärkt das | |
> Nord-Süd-Gefälle. Doch ist sie in Zeiten bilateraler Handelsverträge die | |
> bessere Alternative. | |
Bild: Viele dürfen mitreden: Das zeichnet Konferenzen der WTO wie dieser in Ab… | |
Einst war sie das verhasste Symbol all jener, die sich für globale | |
Gerechtigkeit einsetzen: die Welthandelsorganisation, deren [1][Konferenz | |
in Abu-Dhabi] am Sonntag zu Ende ging. 1999 gingen die Bilder von Protesten | |
gegen die WTO-Ministerkonferenz in den USA, dem berühmten „Battle of | |
Seattle“, um die Welt. Heute basieren drei Viertel des Welthandels auf | |
WTO-Regeln. | |
Trotzdem scheinen viele soziale Bewegungen und | |
Nichtregierungsorganisationen das Interesse an der Organisation verloren zu | |
haben. In Anbetracht der Tatsache, dass die WTO-Mitgliedsstaaten sich in | |
den letzten zwanzig Jahren kaum auf neue Liberalisierungen geeinigt haben, | |
scheint das verständlich. Doch der WTO-Stillstand ist nur bedingt eine gute | |
Nachricht. | |
Denn die mächtigen Industriestaaten, darunter die EU, sind längst dazu | |
übergegangen, ihre Interessen in bilateralen Handels- und | |
Investitionsverträgen durchzusetzen. Sogenannte WTO-plus-Abkommen setzen | |
auf jene Liberalisierungen, gegen die sich viele Entwicklungs- und | |
Schwellenländer in der multilateralen, konsensbasierten WTO erfolgreich | |
gewehrt haben. | |
Die EU-Kommission feierte das Handelsabkommen mit Vietnam 2019 als „den | |
ambitioniertesten Freihandels-Deal, der bis dato zwischen der EU und einer | |
aufstrebenden Wirtschaft“ geschlossen wurde. 99 Prozent der Import- und | |
Exportzölle wurden abgebaut; darunter jene Maßnahmen, die das | |
südostasiatische Land ergriffen hatte, um Anreize für die | |
weiterverarbeitende Industrie im Bergbau zu schaffen. | |
Ähnlich sehen andere Verträge aus. [2][Das EU-Chile-Abkommen] wurde im | |
Februar vom Europäischen Parlament angenommen; mit Indonesien wird aktuell | |
noch verhandelt. Auch die sogenannten Ökonomischen Partnerschaftsabkommen | |
(EPAs) mit vielen Staaten in Afrika, der Karibik [3][und dem Pazifik] | |
setzen auf Liberalisierung zwischen höchst ungleichen Vertragspartnern. Die | |
EU weiß ihre Karten dabei geschickt zu spielen: Sie winkt mit Zugang zum | |
lukrativen EU-Binnenmarkt. Wer Nein sagt, dessen Exporte haben das | |
Nachsehen mit anderen Ländern – ein Mechanismus, der sich selbst verstärkt, | |
je mehr Abkommen die EU abschließt. | |
## Kleinere Abkommen laufen unter dem Radar | |
Dabei wäre es schön, wenn diese Verträge mindestens so viel Aufmerksamkeit | |
bekommen wie das Handels- und Investitionsabkommen mit den USA im Herbst | |
2015: Damals gingen in Deutschland mehr als 250.000 Menschen auf die | |
Straße, vielleicht auch aus Angst vor übermächtigen US-Unternehmen. Seitdem | |
herrscht hierzulande Flaute in der handelspolitischen Bewegung. Die großen | |
NGOs ebenso wie viele Graswurzel-Initiativen widmen sich indes anderen | |
Themen der globalen Gerechtigkeit. | |
Das ist fatal, denn die WTO-Abkommen sowie die zahlreichen bi- und | |
[4][plurilateralen Handelsabkommen] begünstigen nach wie vor das | |
Nord-Süd-Gefälle: Zölle einführen, um die heimische Industrie vor | |
ausländischer Konkurrenz zu schützen oder den Export von Rohstoffen zu | |
verteuern? Fehlanzeige. Doch es geht nicht nur darum, das Bestehende zu | |
kritisieren. So fordert die afrikanische Gruppe in der WTO mehr Spielraum | |
für Industriepolitik und dafür gänzlich neue Subventionsregeln, die sich an | |
Entwicklungsinteressen orientieren. | |
Über Fragen wie diese sollte in multilateralen Foren wie der WTO verhandelt | |
werden, damit sich nicht immer das Recht des Stärkeren durchsetzt. 25 Jahre | |
nach Seattle fragt man sich insgeheim, ob es heute gilt, die WTO zu | |
verteidigen. | |
4 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Welthandelskonferenz-in-Abu-Dhabi/!5992286 | |
[2] /Handelsabkommen-zwischen-EU-und-Chile/!5984719 | |
[3] /Kein-EU-Handelsabkommen-mit-Australien/!5966753 | |
[4] /Vor-dem-Mercosur-Gipfel/!5978317 | |
## AUTOREN | |
Merle Groneweg | |
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