| # taz.de -- Die Wahrheit: 100 Jahre blühendes Leben – Anna Poth | |
| > Ein Nachruf auf die humorvolle Sinnenkraft und Hessin Anna Poth, die vor | |
| > kurzem mit 100 Jahren gestorben ist. Miniatur eines Annäherungsversuchs. | |
| Bild: Auf dem Sofa nebst lautem TV-Gerät im Hintergrund: Die Autorin mit Anna … | |
| „Hinter diesen Mauern brodelt es“, diagnostizierte sie so brüsk wie | |
| herzlich und herrlich brutal, als wir sie das letzte Mal besuchten. Es war | |
| irgendwo in der Nähe der rheinland-pfälzischen Gemarkung Hüffelsheim, dort, | |
| wo Anna Poth mit Tochter und Verwandtschaft lebte und lange noch kregel | |
| ihre Telefonnummer wechselte wie andere Hemd und Hosenrock. Jetzt ist sie | |
| vergangenen Sonntag im runden Alter von 100 Jahren gestorben. Miniatur | |
| eines Annäherungsversuchs. | |
| Wir waren nun also im Begriff, ein Provinzgasthaus zum Mittagessen mit der | |
| verehrten Anna anzusteuern, verehrte Witwe des verehrten genialen Zeichners | |
| Chlodwig Poth, dessen Lebensthema das ewig Provinzielle in den Köpfen der | |
| Menschen war, egal ob Stadt oder Land oder Vorstadt. | |
| Chlodwig, ein Vertreter der Neuen Frankfurter Schule, liebte die Menschen, | |
| wenn auch nicht auf den ersten Blick, siehe seine großartige | |
| Schraffurserie „Last Exit Sossenheim“; und Anna liebte ihn auch sehr, und | |
| er liebte Anna. Auf seinem Grabstein steht: „Dein Glück war die Liebe / | |
| Deine Liebe war mein Glück.“ | |
| Zurück zum Mittagessen. So einerseits fußlahm wie andererseits flink im | |
| Kopf brachte die ehemalige Sekretärin von Pardon, dem Vorläuferblatt der | |
| Titanic, die dort wie hier eine Seele des Betriebs war, also geschwind | |
| brachte Anna die Situation am Arsch der Welt aka Hüffelsheim und drumherum | |
| damals auf den Punkt: „Hinter diesen Mauern brodelt es.“ | |
| ## Mit resoluter Liebe in der Stimme | |
| War man nicht mit ihr zum Mittagessen verabredet und bekam sie fernmündlich | |
| nach vielen Versuchen an die Strippe, lief im Hintergrund auf höchster | |
| Lautstärke das Fernsehgerät. Oder Anna war gerade aus dem Grünen zurück, um | |
| mit resoluter Liebe in der Stimme mitzuteilen, dass es da draußen „ein | |
| Fiasko“ im Garten sei, „schlicht fast nix hab ich geerntet, aber irgendwas | |
| wird schon werden“. Das alles in wunderbarem Herkunftshessisch aus | |
| Frankfurt-Höchst, wo sie am 7. November 1923, einen Tag vor dem Beginn von | |
| Hitlers Münchner Putschversuch, zur Welt kam. | |
| Bevor sie nach Hüffelsheim und vorher ins kurende Bad Kreuznach verzog, | |
| residierte sie äußerst charmant bärbeißig und sympathisch | |
| weltherrschaftlich gesinnt zusammen mit Chlodwig im sagenumwobenen | |
| Sossenheim, einem Stadtteil von Frankfurt neben Höchst, von Wikipedia so | |
| beschrieben: „Historisch aus einem Straßendorf entstanden, fehlt Sossenheim | |
| ein klassischer Ortskern mit entsprechender Versorgungsinfrastruktur.“ | |
| Vielleicht auch deshalb hegte Anna hier ihren verwunschenen Kleingarten | |
| nahe des Sossenheimer Unterfelds – und wer nicht miterlebt hat, wie sie | |
| dort versunken sinnierend das Gedeihen jeglicher Photosynthese beobachtete, | |
| der oder die hat leider die großartig humorvolle Sinnenkraft Anna Poth | |
| verpasst. Groß auch ihr steter Wutkummer über spießige Kleingartennachbarn. | |
| 100 Jahre blühendes Leben: Es brodelt weiter, Anna! Danke. | |
| 24 Jan 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Harriet Wolff | |
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