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# taz.de -- Die Wahrheit: Umgeben von rauen Worten
> Ein Zahnarztbesuch muss nicht nur Schmerz bedeuten, er kann auch
> Erhellendes bereithalten über analoge Netzwerke und Kartoffelsalat mit
> Mayonnaise.
Bild: Auf dem Sofa nebst lautem TV-Gerät im Hintergrund: Die Autorin mit Anna …
Manchmal ist das Leben stachelig zu einem. Besonders, wenn man versucht
frühmorgens den geöffneten Zustand eines gläsernen Gefäßes herbeizuführen,
in dem aktuell Müsliflocken hausen und einst Stachelbeeren waren. Es
knirscht und klemmt, der ach so gesunde Inhalt des Gefäßes bleibt
unerreichbar, und außerdem ist es bereits viel später als kurz vor knapp,
um mit angemessener Verspätung das Haus Richtung noch mehr alltäglicher
Anforderungen, sprich Arbeit, zu verlassen.
Was tun? Die verschlafen hungrigen Augen erspähen in einem verschatteten
Winkel der vom Vermieter einst eingebauten Einbauküche – ja, so ging es
einst in Berlin zu, als die Mieten noch nicht durch die Einbauküchendecken
gegangen waren – „die wahrscheinlich längste Praline der Welt“, wie sie
sich selbst nennt.
Guten Morgen, o duplo, du geliebter schmaler Schokonougatwaffelriegel und
Frühstücksersatz, der du dich dinosaurierhaft schlicht und zwergenhaft
portioniert stolz hältst in einer Welt von unsinnig auf Produkten
aufgedruckten Ernährungsampeln, die einem dummdreist weismachen wollen,
dass es ungesünder, weil fettiger ist, Fetakäse zu essen als Nimm2-Bonbons
zu schlucken. Und Hanuta gibt es am Kiosk, so es den noch gibt, auch nur
noch im Haselnussschnittendoppelpack. Erinnert sich jemand übrigens noch an
Harald Schmidt und seine unvergesslich „dicken Kinder von Landau“? Schluss
jetzt mit sentimentalen Vorkriegserzählungen. Die Arbeit ruft.
## Zahnfee des Vertrauens
Eine Zahnarzthelferin, heutzutage korrekt „Zahnmedizinische
Fachangestellte“ betitelt, also die Zahnfee meines Vertrauens, sprach
jüngst, wir befanden uns, trotz in meinem Mund befindlicher
Speichelabsaugeschläuche sowie innewohnender Wattepolster, in einem
angeregten Gespräch über die Vor- und Nachteile der kommenden Leipziger
Buchmesse und auch darüber, wie es sich anfühlt, ein 1.200-Seiten starkes
belletristisches Werk nach Beenden gleich noch mal zu lesen, nun, die
Zahnfee sprach folgenden wahren Satz: „Wir sind umgeben von rauen Worten.“
Ich schluckte, was in Kombination mit dem darob vermehrten Speichelfluss
einen Hustenanfall auslöste, der aber wiederum den Vorteil hatte, dass der
Zahnhäuptling, sprich der Zahnarzt, kurzfristig genervt den Raum verließ,
um sich einem anderen Patienten zu widmen.
Die Zahnfee, ich war erst dann wieder aufnahmebereit, nachdem mein
Hustenanfall in die Lautlosigkeit hinübergeglitten war, führte aus: Sie
habe sich seit fünf Monaten aus sämtlichen sozialen Netzwerken
verabschiedet. Es gehe ihr gut mit den verbliebenen analogen sozialen
Netzwerken da draußen, besser als vorher, als selbst das Posten eines
Kartoffelsalats mit Mayonnaise einen digitalen Schlagabtausch auf ihrem
Insta-Account ausgelöst habe.
„Wir sind umgeben von rauen Worten, und geht es nur um Kartoffelsalat.“
Sprachlos ob der Weisheit blieb ich auf dem Behandlungsstuhl zurück.
21 Mar 2024
## AUTOREN
Harriet Wolff
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Soziale Medien
Gesellschaftliches Miteinander
Höflichkeit
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2024
Kolumne Die Wahrheit
Populismus
Die Wahrheit
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