| # taz.de -- Politische Kommunikation: Mehr Emotionen für die Demokratie | |
| > Gegen Rechts helfen keine Predigten. Trotzdem braucht es wieder Anstand, | |
| > Zusammenhalt und Mitgefühl in politischen Reden. | |
| Bild: Olaf Scholz bei der Vorstellung der neuen Koalition am 24. November 2021 | |
| Das Verhältnis von materiellem Wohlstand zu demokratischem Wohlsein ist | |
| vielschichtig. Der Augenschein bestätigte zuletzt allerdings die eher | |
| triste These, wonach Ungleichheit den demokratischen Verfall ziemlich | |
| sicher begünstigt, dies umgekehrt jedoch nicht funktioniert: Versuche, mehr | |
| Gleichheit herzustellen, werden nicht unbedingt durch mehr demokratische | |
| Zustimmung belohnt. | |
| Die SPD weiß darüber gut Bescheid. Der historische Sprung auf 12 Euro | |
| Mindestlohn zum Beispiel hat ihr in besonders Mindestlohn-betroffenen | |
| Bundesländern ganz genauso wenig gebracht wie in Bundesländern, wo die Höhe | |
| des Mindestlohns nur wenige beschäftigt. Die Freude an der Demokratie | |
| insgesamt ist ausweislich der AfD-Werte eigentlich auch nirgends gewachsen. | |
| Damit ist die deutsche Sozialdemokratie nicht allein. Joe Biden gewinnt mit | |
| der [1][Schaffung von Millionen anständig bezahlter Industriearbeitsplätze] | |
| in den USA derzeit auch keinen Blumentopf. Es lohnt sich also, über die | |
| nicht-materiellen Methoden zur Bekämpfung der Demokratie- und | |
| Rechtsstaatsverachtung nachzudenken. | |
| Das drängt mit Blick auf den Wahlkalender dieses Jahres wirklich – Europa | |
| wählt im Juni, im September sind Thüringen, Sachsen und Brandenburg dran. | |
| Der Zeit-Leitartikler hatte Anfang des Monats schon einen Punkt, [2][als er | |
| schrieb], der „liberale Teil der Gesellschaft“ (er rechnete hier von | |
| Linkspartei bis Merz) sei zur Selbstkritik aufgerufen: Die „vernünftigen | |
| Kräfte“ hätten den Zugang zu den Gefühlen der Menschen verloren, sie | |
| sprächen zu technokratisch. | |
| ## Krisenzeiten erfordern Anstand und Mitgefühl | |
| Was nun, könnte man meinen, vor allem am Wesen der Vernunft liegt. Während | |
| das Ressentiment ungeniert herumpöbelt und Angstmache sowieso immer | |
| funktioniert, ist die Vernunft halt meistens trocken und kennt nur komplexe | |
| Lösungen für komplexe Probleme. | |
| So wäre jedenfalls eine typische Antwort eines typischen Sachpolitikers, | |
| etwa von den Grünen, und oft ist das auch genau die Tour, mit der dieser | |
| ein kleines Bündnis mit der Presse eingehen möchte: Wir zwei beide habens | |
| ja verstanden, wie schwierig alles ist! Aber was tun wir bloß mit all den | |
| Leuten, die sich nicht hauptberuflich mit den Übergangsvorschriften zum | |
| Heizungsgesetz beschäftigen? | |
| In Deutschland, hieß es ja immer, könnten PolitikerInnen gar nicht | |
| langweilig genug sein, und die Wahl Olaf Scholz’ als Merkels | |
| Bruder-in-Sprödigkeit schien das nur zu belegen. Inzwischen denke ich, das | |
| stimmte nur so lange, wie die Wirtschaft halt brummte, von Krieg niemand | |
| sprach und Klimaschutz als Kür galt. In dem Augenblick, da es ernsthafte | |
| Herausforderungen gibt, beziehungsweise ernsthafte Herausforderungen als | |
| solche auch gesehen werden, erfordert die Ansprache womöglich doch mehr | |
| Mühe. | |
| Gegen Demokratiefeinde hilft dabei kaum der Appell an gemeinsame | |
| Leistungsfähigkeit, wie er in Obamas „Yes, we can“ oder in Merkels „Wir | |
| schaffen das“ steckte. Ich fürchte fast, für wirksame emotionale | |
| Kommunikation braucht es dazu noch etwas Moralisches von der Sorte Anstand, | |
| Zusammenhalt und Mitgefühl – womit ich natürlich sofort zu hadern beginne, | |
| denn man landet dann sofort im Intonationsfeld von evangelischen | |
| PfarrerInnen (bitte um Entschuldigung bei den durchweg reizenden | |
| PfarrerInnen, die ich kenne). | |
| Aber irgendwo müssen sie herkommen, die emotionalen Botschaften von oder | |
| vielmehr für liberale DemokratInnen, die der organisierten | |
| Menschenfeindlichkeit etwas entgegensetzen. Ich traue es einem Gutteil der | |
| demokratischen PolitikerInnen zu, sie auch glaubwürdig vorzutragen. Sie | |
| haben es nur verlernt, es schien ja auch lange Zeit nicht nötig zu sein. | |
| Und wir haben verlernt, es ernstzunehmen. | |
| 21 Jan 2024 | |
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| [2] https://www.zeit.de/2024/02/wahlen-2024-europa-usa-rechtspopulismus-demokra… | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Winkelmann | |
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