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# taz.de -- Verhaftung von Messina Denaro jährt sich: „Die Mafia ist immer d…
> Maurizio de Lucia hat die Ermittlungen gegen den Mafiaboss Matteo Messina
> Denaro geleitet. Die Cosa Nostra sieht er geschwächt, aber weiter
> gefragt.
Bild: Giuseppe Cimarosa war schon immer aktiv gegen die Mafia – am 19. Januar…
taz: Herr de Lucia, wie haben Sie den Tag der Festnahme von Matteo Messina
Denaro vor genau einem Jahr in Palermo erlebt?
Maurizio de Lucia: Eigentlich begann das Ganze schon früher, am Morgen des
14. Januar. Seit diesem Tag hatten wir nämlich Grund zu der Annahme, dass
es sich bei dem Andrea Bonafede, der am Montag, dem 16. Januar, einen
Termin in der Privatklinik La Maddalena in Palermo hatte, in Wirklichkeit
um Matteo Messina Denaro handelte. Hier beginnt der letzte Teil einer sehr
langen Geschichte. An diesem Montag habe ich mich mit dem Kollegen Paolo
Guidi, der die Ermittlungen mit mir durchgeführt hat, schon um 6.50 Uhr
getroffen. Dann haben wir vom Büro aus in anderthalb Stunden alles getan,
was möglich war, die Carabinieri mussten an Ort und Stelle arbeiten, und
wir standen hier fast blind und warteten auf Informationen, auch wenn
Drohnen die Situation überwachten.
Woher wussten Sie, dass Andrea Bonafede einen Termin hatte?
Wir haben den Server der Klinik schon länger überwacht. Als wir
registrierten, dass Andrea Bonafede sich anmeldete, wurde der Alarm
ausgelöst. Messina Denaro, den wir da noch nicht identifiziert hatten,
wartete nach der Anmeldung auf dem Parkplatz darauf, aufgerufen zu werden,
es waren noch die Zeiten von Corona. Er war ruhig. Die Carabinieri
schlossen alle Türen. Wir identifizieren ihn, das Bild der Kameras wurde
auf alle Handys übertragen. Hier im Büro hatte mein Kollege Guida sich die
Jacke angezogen, er ist vom Temperament noch süditalienischer als ich, in
dem Sinne, dass er aufgeregt hin und her lief und alle fünf Minuten sagte:
„Er ist entkommen, er ist entkommen.“
Verständlich!
Dann ruft ein Journalist an und fragt mich, was in der Maddalenaklinik los
sei, große Bewegung, Carabinieri. Ich sage ihm, ich wisse es nicht, das sei
wohl irgendeine Kontrolle, aber ein paar Minuten später kam die
Bestätigung, dass wir ihn gefasst hatten. Es gab einen, wie ich finde,
berechtigten [1][Moment der Genugtuung] für alle Anwesenden. Aber dann
wurden wir vernünftig. Wir waren daran interessiert, ihn zu fassen, wollten
aber auch so viele Informationen wie möglich bekommen, und so begannen die
Durchsuchungen, wir identifizierten das Haus, in dem er sich versteckt
hatte, und so weiter.
Wie haben die Menschen während und nach der Aktion reagiert?
Es gab ein wenig Unmut, weil Menschen nicht in die Klinik kamen
beziehungsweise nicht rauskonnten. Aber es gab keine großen Proteste. Und
das ist ein wichtiger Fakt für Palermo: Das Bild von ganz normalen
Menschen, [2][die den Carabinieri applaudieren]. Das zeigt, dass die
einfachen Leute nicht mehr neutral sind, sondern auf der Seite des Staates
stehen. Das ist ein positiver Indikator für das zivile Wachstum Palermos.
Wie hat sich die Politik verhalten?
Die Politik hat die Festnahme für sich ausgenutzt. Das kann sie auch ruhig
tun. Es kommt auf die Perspektive an. Wenn das Ganze als Sieg einer
politischen Partei gesehen wird, derjenigen, die gerade regiert hat, dann
ist das falsch. Wenn sie aber als Sieg des ganzen Landes angesehen wird,
das geschlossen gegen die Mafia gekämpft hat, dann ist es eine gute Sache.
Und die Reaktionen in der Gesellschaft?
Die kulturellen Räume – nennen wir sie mal so – in diesem Land haben zehn
Minuten nach der Festnahme angefangen, darüber nachzudenken, warum er
gefasst wurde, warum das nicht früher gelungen ist. In den wenigen
öffentlichen Erklärungen, die ich abgegeben habe, habe ich diese Leute
Verschwörungstheoretiker genannt. Denn für sie zählt nicht, was real
passiert, sondern was sie darüber denken. Man kann nicht eine Stunde vor
der Festnahme sagen, dass „der Staat Messina Denaro seit zehn Jahren
beschützt“, und eine Stunde später: „Wer weiß, warum er festgenommen wur…
– ich zitiere hier den Experten Nando dalla Chiesa.
Aber die Frage liegt ja nahe: Wie kommt es, dass der Staat Messina Denaro
nicht früher gefasst hat?
Eine einfache Antwort darauf kann ich nicht geben. Meine Aufgabe ist es,
die Personen zu finden, die einen konkreten Beitrag zu diesem Untertauchen
geleistet haben. Neun von ihnen wurden bereits identifiziert und vor
Gericht gestellt, die letzte Verurteilung war gerade am vergangenen
Freitag. Dann gibt es natürlich Dinge, die ich nicht sagen kann. Aber fest
steht, dass Messina Denaro davon profitierte, dass er sich in dem Gebiet,
wo er sich befand, auf die Leute verlassen konnte.
In Campobello di Mazara in der Provinz Trapani, nahe seinem Geburtsort.
Genau. Er lebte in einem Klima, in dem viele Leute wussten, wer er war, und
alle so taten, als wüssten sie es nicht. Zudem kann man davon ausgehen,
dass es in den staatlichen Institutionen korrumpierte Elemente gab. Aber im
Lauf von 30 Jahren sind die vermutlich bereits ausgeschieden. Was aber das
Schlimmste ist: Messina Denaro lebte nicht nur im Untergrund, sondern er
war jemand, der aus diesem Untergrund heraus bis zum Schluss an der Spitze
der Cosa Nostra stand. Die Organisation bot ihm ein Schutznetz,
medizinische Versorgung, Reisen und Urlaube. Es gab regelmäßige Treffen,
bei denen viele Mafiageschäfte besprochen wurden, insbesondere im
Zusammenhang mit Ausschreibungen in der Baubranche.
Er war kein passiver Flüchtling?
Nein, ganz und gar nicht. Er war sehr aktiv.
Was ist die Cosa Nostra heute?
Die Cosa Nostra ist sicherlich eine kriminelle Vereinigung. Denn man muss
einen vagen Begriff von Mafia von einer organisierten kriminellen Struktur
unterscheiden. Das ist es, was uns Giovanni Falcone gelehrt hat: Wenn alles
Mafia ist, ist nichts Mafia. Die Cosa Nostra hat ihre Kräfte immer jenem
Teil der Gesellschaft zur Verfügung gestellt, der die Illegalität den
Regeln des Rechtsstaates vorgezogen hat: [3][der mafiösen Bourgeoisie.]
Charakteristisch für die Cosa Nostra sind die Kommunikationskanäle zwischen
der Mafiaorganisation einerseits und einem wichtigen Teil der
politisch-administrativen Klasse in Sizilien andererseits, insbesondere in
Palermo. Dieser Austausch hat es der Organisation ermöglicht, sich zu einem
politischen Player zu entwickeln. Dank der Arbeit des Staates befindet sich
die Cosa Nostra in einem Moment der Schwäche, es gibt keine strategische
Ausrichtung mehr. Die Regeln, die es den Mafiosi erlauben, Mafiosi zu sein,
bleiben jedoch bestehen, derzeit auf niedrigem Niveau. Das Thema, an dem
sie arbeiten – und wir entsprechend auch –, ist, dass sie, um wieder stark
zu werden, Geld brauchen. Und das haben sie nicht, relativ gesehen
natürlich, denn die Beschlagnahmung ihrer Vermögenswerte der vergangenen 30
Jahre war sehr wichtig. Wie kommen sie also illegal und schnell zu viel
Geld? Mit Drogenhandel. Und in der Tat sehen wir derzeit eine ganze Reihe
von neuen Geschäftsbeziehungen, insbesondere mit der kalabrischen Mafia
’Ndrangheta.
Wie gefährlich ist die Cosa Nostra?
Die Cosa Nostra konspiriert und korrumpiert, aber wir dürfen nie vergessen:
Wenn die Korruption nicht funktioniert, ist die militärische Macht immer
der zentrale Punkt, mit dem man rechnen muss. Die Mafia funktioniert nicht
ohne Maschinenpistolen in Reserve. Das ist ihr Wesen, sonst macht sie keine
Geschäfte und zählt nichts. Die Mafia ist immer die Mafia.
Wie blicken Sie in die Zukunft?
Derzeit ist das große Risiko, dass ein Teil der erwähnten [4][mafiösen
Bourgeoisie,] der immer mit der Cosa Nostra in Verbindung war, weiter mit
ihr Geschäfte machen will – ohne vielleicht zu verstehen, wie schwach sie
geworden ist. Aber die Cosa Nostra ist ein elastisches Gebilde. Und genau
dieser offene Kanal ist einer der Gründe, warum sie wieder stark werden
kann. Unser Hauptthema bei den Ermittlungen ist deswegen nicht das aktuelle
Angebot der Mafia, sondern es ist die Nachfrage nach ihren
Dienstleistungen.
16 Jan 2024
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## AUTOREN
Ambros Waibel
Claudio La Camera
## TAGS
Mafia
Sizilien
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Cosa Nostra
Schwerpunkt Pressefreiheit
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