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# taz.de -- Nebeneinkünfte beim ORF: Vom Wetterfrosch zur Glücksfee
> Ein ORF-Moderator macht Werbung für Glücksspiel. Die Debatte über
> Nebeneinkünfte im ÖRR ist überfällig, denn das ist kein Einzelfall.
Bild: Stolzer Präsentator: Marcus Wadsak im Lotto-Studio
Wien taz | „Unterstützt durch Produktplatzierung“, lautet der winzige
Hinweis, der am Ende der Sendung für drei Sekunden eingeblendet wird. Dabei
ist die vom ORF produzierte Ziehung-der-Lottozahlen-Sendung eine einzige
Produktplatzierung: „6 aus 45 – Lotto Plus und Joker“, regelmäßig
ausgestrahlt vor den reichweitenstarken Regionalnachrichten [1][im
österreichischen ORF.]
Normalerweise ist das Moderationsduo fest. Vergangenen Freitag wurde die
Sendung aber von Marcus Wadsak moderiert. Wadsak ist seit 1995 [2][beim
ORF], leitet seit 12 Jahren die Wetterredaktion und ist österreichweit
bekannt. Sein wichtigster Wetterbericht, abends nach den Nachrichten,
erreicht mehr als eine Million Menschen. Außerdem hat er einen Bestseller
über Klimawandel geschrieben.
Einige der größten Tageszeitungen des Landes berichteten nun vorab mit
seinem Konterfei unkritisch über die Ziehung. Wadsak selbst bewarb sie auf
seinen Social-Media-Kanälen. Warum gibt sich ein etablierter
ORF-Mitarbeiter für Glücksspielwerbung her? Das wollte er der taz nicht
beantworten.
Das Ganze wirft Fragen auf. Nicht zuletzt, was Glücksspiel im
öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) zu suchen hat. Aber vor allem auch:
Welche Nebenbeschäftigungen sind für Mitarbeiter des ORF zulässig? Immer
wieder gab es diesbezüglich Probleme und überschrittene Grenzen.
## Fehlende Transparenz
Im November 2022 etwa führte die ORF-Journalistin Claudia Reiterer durch
eine Veranstaltung der Wirtschaftskammer. Reiterer moderiert Woche für
Woche „Im Zentrum“, die bedeutendste politische Debattensendung des ORF.
Immer wieder sitzen dort auch Vertreter der Wirtschaftskammer – die dann
von Reiterer interviewt werden sollen.
Letzten November moderierte ORF-Moderatorin Nadja Bernhard den
Interpol-Weltkongress in Wien. Sie bespielt mit der „Zeit im Bild“ mehrmals
wöchentlich die wichtigste Nachrichtensendung Österreichs. Just diese
Sendung berichtete dann auch über den Interpol-Kongress. Auch das gibt kein
gutes Bild ab.
Experten wie Heinz Lederer, Berater und früherer Kommunikationschef der
SPÖ, kritisieren schon lange die fehlende Transparenz. Nicht ohne Grund
gelten im von der Allgemeinheit finanzierten und dem Bildungsauftrag
verpflichteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk besonders hohe Standards.
Auch ist der ORF das bei weitem umsatz- und reichweitenstärkste Medienhaus
des Landes.
## Mehr Transparenz
Nachdem der frühere [3][ORF]-Landesdirektor Robert Ziegler durch besondere
Nähe zur regierenden ÖVP aufgefallen war, verschärfte das Haus Anfang 2023
seine internen Regelungen. Nebentätigkeiten würden fortan „besonders
restriktiv geprüft“, hieß es. Aber eben nur intern. Nach welchen Regelungen
sie gemeldet und freigegeben werden, ist unklar. Nach außen hin herrscht
Intransparenz, Nebentätigkeiten wurden bisher nicht veröffentlicht, wie
dies etwa bei Parlamentariern Pflicht ist.
In Zukunft wird das anders, denn seit Jahresbeginn ist der ORF gesetzlich
zu mehr Transparenz verpflichtet. Wenn auch mit Einschränkungen: Namentlich
gelistet müssen künftig nur Nebenbeschäftigungen von Mitarbeitern mit mehr
als 170.000 Euro Jahresgehalt. Selbst beim kolportierten
Durchschnittsgehalt von rund 90.000 Euro im ORF betrifft das nicht allzu
viele.
Mit freiwilliger Transparenz ist auch weiterhin eher nicht zu rechnen –
auch weil der ORF gut daran mitverdienen dürfte. Die Vermarktung seiner
Mitarbeiter betreibt er über seine Agentur „ORF Stars“. Dort sind etwa
Vorträge des ORF-Wetterexperten Marcus Wadsak „buchbar“. Auch Nadja
Bernhard, die für Interpol tätig war, wird dort gelistet, ebenso zahlreiche
andere namhafte Hauptmoderatoren, Korrespondenten und Journalisten.
Inwiefern kann die kritische Distanz gewahrt werden, wenn man Journalisten
per Formular buchen kann?
„Es bräuchte zumindest Transparenz“, sagt der österreichische Ökonom
Leonhard Dobusch. Er sitzt im ZDF-Fernsehrat und kennt das Thema auch aus
Deutschland. Im Fall Wadsak sieht er zumindest keinen Interessenskonflikt.
Schlimmer wäre es, wenn Wadsak, der Bücher über Klimaschutz schreibt, etwa
Aufträge von einem Mineralölkonzern entgegennehmen würde. Das
grundsätzliche Problem sei aber groß. „Soweit rechtlich möglich, sollte man
für bestimmte Positionen oder Tätigkeitsbereiche im öffentlich-rechtlichen
Rundfunk auch ein Verbot von Nebenbeschäftigungen diskutieren“, sagt
Dobusch. Gerade weil es bei der Vielfalt von zu berichtenden Themen immer
zu Interessenkonflikten kommen könne.
## Glücksspiel würde legitimiert werden
„Die andere Frage ist, warum der ORF überhaupt Lottoziehungen überträgt“,
so Dobusch. Neben den regelmäßigen Ziehungen schlagen Glücksspielinhalte
regelmäßig auch in redaktionellen Berichten auf. Die Webpräsenz des ORF,
Österreichs größte Nachrichtenseite, etwa berichtet immer wieder
nachrichtlich von den aktuellen Lottozahlen. Ein „Rekord-Gewinn“ von 72,1
Millionen lief online gar als „Breaking News“.
[4][Der ORF hält eine 18,75-Prozent-Beteiligung an der Lotto-Toto-Holding],
zu der wiederum die Österreichischen Lotterien gehören. Der kleine
ORF-Anteil wird laut der Tageszeitung Kurier auf mehr als 100 Millionen
Euro geschätzt. Allein im Krisenjahr 2001 seien dadurch mindestens 4,5
Millionen an den ORF geflossen. Überdies werben die Lotterien jährlich mit
einem „mittleren zweistelligen Millionenbetrag“ im ORF.
Christoph Holubar, der Vorsitzende des Vereins Spielerhilfe, kritisiert
diese Praxis: „Durch Lotto-Sendungen kurz vor den Hauptnachrichten wird
Glücksspiel legitimiert. Es ist ein Problem, wenn eine prominente Figur wie
Wadsak sich dafür hergibt.“ Glücksspiel habe ihm zufolge nichts im ORF
verloren. Es fehlt an offiziellen Erhebungen, aber Holubars Schätzungen
sind mindestens 400.000 Österreicher spielsüchtig.
Eine Anfrage zum Thema Glücksspiel und Nebenbeschäftigungen beantwortete
der ORF nicht. In einem Statement hieß es lediglich, dass Wadsak für seinen
Auftritt von den Lotterien kein Geld erhielt. Wie sein Arbeitgeber scheint
auch Wadsak kein Problem zu erkennen. Eine taz-Anfrage ließ er
unbeantwortet, stattdessen freute er sich am Freitag auf der Plattform X:
„Was muss man tun, um zur Topstory auf oe24 zu werden? Heute die
Lottozahlen ziehen.“
16 Jan 2024
## LINKS
[1] /Urteil-des-Verfassungsgerichtshofs/!5963827
[2] /Christian-Wehrschuetz-und-der-ORF/!5962378
[3] /Medienskandal-in-Oesterreich/!5914421
[4] https://kurier.at/wirtschaft/lotterien-der-jackpot-des-orf/402263643
## AUTOREN
Florian Bayer
## TAGS
Presse
ORF
Österreich
Kolumne Flimmern und Rauschen
Rundfunk
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Propaganda
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