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# taz.de -- In Kroatien und Schottland: Wenn Fischer zu Busfahrern werden
> Zwei Fischer erzählen die gleiche Geschichte. Zufall oder bläst der Wind
> die Fischer tatsächlich ein bisschen weiter Richtung Ende der Welt?
Bild: Panoramablick auf die wilde und zerklüftete Küste der Halbinsel Trotter…
Trotternish klingt wie Holländisch für trottelig, ist aber der Name eines
Teils der Inneren Hebriden. Das wiederum klingt wie die Gegend kurz vor dem
Ende der Welt, und so sieht sie auch aus.
Trotternish heißt der nördliche Teil der schottischen Isle of Skye, und die
ist wirklich himmlisch schön. Trotternish kommt dem Ende der Welt aber auch
ganz irdisch gesehen jeden Tag ein bisschen näher: Die Landschaft, die wie
von einem surrealistischen Künstler geformt wirkt und aus moosüberzogenen,
bizarren Felsnadeln und Erdfalten besteht, entstand nach einem großen
Erdrutsch vor 175 Millionen Jahren. Bis heute rutscht die Gegend jeden Tag
ein kleines bisschen weiter Richtung Meer.
Vizekanzler Robert Habeck sagte [1][angesichts der Bauernproteste]: „Es ist
etwas ins Rutschen geraten.“ Seine Rede hörte ich in Trotternish und
dachte, dass so eine Rutschpartie aber auch ganz schöne Folgen haben kann.
Im Sommer ist Trotternish von Touristen überflutet, im Winter menschenleer.
Dafür gibt es in dieser Jahreszeit Hummer, Langusten, Austern, Muscheln,
Lachse [2][und Krabben]. Immerhin fährt auch ein Bus. Der 57A umrundet
Trotternish sogar zweimal am Tag im Uhrzeigersinn
(Portree–Uig–Flodigarry–Staffin–Portree).
## Mit Garnelen lässt sich nichts mehr verdienen
Am 3. Tag von 2024 sitzen auf weiten Teilen der Strecke neben mir nur noch
zwei weitere Passagiere im 57A. Eine Umrundung dauert etwa 2 Stunden, alle
halbe Stunde stellt der Fahrer seinen Bus ab. „Wir halten hier 4 Minuten“,
sagt er, zu seinen Passagieren gewendet. „Jeder ist frei, zu tun, was er zu
tun hat.“ Sein 4-Minuten-Projekt besteht darin, genüsslich eine Zigarette
zu rauchen. Er ist um die 60, tiefenentspannt, hat große Hände, ein Gesicht
von Meer, Wind und Sonne gegerbt und nichts von einem Busfahrer. Als ich
ihm das in einer der 4-Minuten-Pausen sage, antwortet er: „Richtig. Ich bin
ja auch eigentlich Fischer.“
Busfahrer sei er nur geworden, weil mit den Garnelen kein Geld mehr zu
verdienen sei. „Weil das Meer keine Garnelen mehr hat?“, frage ich. „Nein.
Es gibt genug Garnelen“, antwortet er. „Der Wind ist das Problem.“ „Die
Windparks?“, frage ich. „Nein. Der Wind. Er wird immer mehr und immer
stärker. September, Oktober, November: Wind, Wind, Wind. Nur im Dezember
gab es einige Tage, an denen die Fischer letztes Jahr rauskonnten“, sagt
er. Er tritt seine Zigarette aus. Die Pause ist zu Ende. Aber er schiebt
noch hinterher: „Die Regierung tut nichts, um uns zu helfen. Nicht die
Fische, sondern die Fischer werden aussterben.“
Ich bin ein bisschen baff. Exakt die gleiche Geschichte hatte ich letzten
Oktober von einem kroatischen Scampi-Fischer auf der Adria-Insel Krk
gehört. Kennengelernt hatte ich ihn, weil er mir seinen alten R4 verkauft
hat. Unter Tränen. 30 Jahre habe er das Auto gefahren, aber nun brauchte er
Geld. Vom Fischen könne er nicht mehr leben. Auch ihn fragte ich damals
„Weil es keine Scampi mehr gibt?“ „Nein. Scampi haben wir hier genug. Wir
kommen aber nicht mehr zu ihnen, weil die Winde immer stärker werden. Und
die Regierung tut nichts, um das zu kompensieren.“
## Verdammt viel Wind
Wenn mir Fischer am Mittelmeer und am Atlantik das Gleiche erzählen, bin
ich dann Opfer brancheninterner Propaganda oder bläst der Wind die Fischer
tatsächlich noch ein bisschen weiter Richtung Ende der Welt?
In Deutschland hat sich der Verband der Kutter- und Küstenfischer dem
Protest der Landwirte angeschlossen. Der Grund: Das Geld, das die Landwirte
nun doch kriegen sollen, wird den Fischern weggenommen. Konkret: [3][die
Ausgleichszahlungen für wegfallende Fischgründe] durch Offshore-Windparks
werden gestrichen.
Verdammt viel Wind im Spiel. Und verdammt viel Rumgerutsche. Wäre besser,
die Regierungen würden nicht erst warten, bis auch die Fischer mit Kuttern
und Bussen den Verkehr lahmlegen, sich von Rechten verrutschen lassen und
Politiker an der Angel aufspießen.
14 Jan 2024
## LINKS
[1] /Proteste-gegen-Kuerzungen/!5983706
[2] /Proteste-gegen-Schleppnetzverbot/!5923871
[3] /Streit-um-Agrar-Subventionen/!5981360
## AUTOREN
Doris Akrap
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