# taz.de -- Schottische Höhle Fingal's Cave: Hebriden in h-Moll | |
> Die Basalthöhle auf der schottischen Insel Staffa besticht durch raue | |
> Mystik. Schon Mendelssohn Bartholdy fühlte sich dort inspiriert. | |
Ein zwanzigjähriger Schottlandtourist schrieb am 7. August 1829 an die | |
Familie zu Hause in Berlin: „Um zu verdeutlichen, wie seltsam mir auf | |
d[1][en Hebriden] zu Muthe geworden ist, fiel mir soeben folgendes bey.“ | |
Darunter zeichnete er einen Partitur-Entwurf von zwölf fertigen Takten. Die | |
Tonart war h-Moll, der Tourist Felix Mendelssohn Bartholdy. | |
Der junge Künstler hatte eine anstrengende Konzertsaison in London hinter | |
sich, war dort gar nicht zum Komponieren gekommen und hatte sich sehr auf | |
seine [2][Schottlandreise] gefreut, von der er sich nicht zuletzt kreative | |
Inspiration erhoffte. Einen echten Durchbruch in dieser Hinsicht erlebte er | |
aber erst, als er vom Städtchen Oban an der schottischen Westküste aus das | |
Meer und die Inseln der inneren Hebriden erblickte. | |
Auf der größten von ihnen, der Isle of Mull, begann Mendelssohn am Abend | |
des 7. August 1829 den besagten Brief. Mit seinem Reisegefährten Carl | |
Klingemann übernachtete er dort, in Tobermory, von wo es am nächsten Tag | |
weiter zu einem mythenumwobenen Ziel ging: zur unbewohnten kleinen Insel | |
Staffa und ihrer großen Basalthöhle, die Ende des 18. Jahrhunderts unter | |
dem Namen „Fingal’s Cave“ berühmt geworden war. Schon allein diese | |
Bezeichnung regte die Fantasie der Menschen im Zeitalter der Romantik enorm | |
an. Denn die Taten des legendären keltischen Stammesführers Fingal wurden | |
in damals sensationell populären, angeblich vom alt-keltischen Barden | |
Ossian stammenden Dichtungen geschildert. „Der Ossian“, die wohl | |
einflussreichste literarische Fälschung aller Zeiten (ihr wahrer Urheber | |
war der schottische Autor James Macpherson), hatte in weiten Teilen Europas | |
Kultstatus – auch Goethe war Fan. „Fingals Höhle“ wirklich zu sehen, war | |
aber nur wenigen Reisenden vom Kontinent vergönnt; zu kostspielig und | |
beschwerlich war ein solches Unternehmen. | |
Ganz billig ist eine organisierte Staffatour auch heutzutage nicht – aber | |
anders als im 19. Jahrhundert schafft man es vom Festland aus an einem Tag | |
hin und zurück. Frühmorgens nehmen wir die Fähre von Oban nach Craignure am | |
östlichen Ufer von Mull; und schon dieses kürzestmögliche Stück Überfahrt | |
bietet atemberaubende Ausblicke. Am äußeren Rand der weiten Bucht von Oban | |
ist die malerische Ruine von Dunollie Castle noch lange zu sehen. Dort auf | |
dem Hügel muss Mendelssohn gestanden haben, als ihm beim Anblick des Meeres | |
so „seltsam zu Muthe“ wurde. Eine von ihm angefertigte filigrane | |
Bleistiftzeichnung dieser Burgruine ist heute noch erhalten. | |
Wir werden in Craignure an Land gesetzt und fahren mit dem Inselbus nach | |
Tobermory. Dort im Hafen liegen die Staffa-Ausflugsboote, die sehr viel | |
kleiner sind als die Schiffe, die im frühen 19. Jahrhundert für das | |
Insel-Sightseeing eingesetzt wurden. Und sie stinken sehr viel weniger: | |
Welch gigantische Schwaden von schwarzem Qualm die damals hochmodernen | |
Dampfschiffe ausstießen, belegt ein Gemälde William Turners, der die | |
Staffa-Tour nur zwei Jahre nach Mendelssohn unternahm. | |
Der Tag, an dem wir im Jahr 2023 in See stechen, ist nicht sonnig und nur | |
mäßig windig. Sanft konturierte Wolken in vielen Grautönen begleiten unser | |
Boot. Sie scheinen außergewöhnlich tief unter dem sich endlos dehnenden | |
Himmel zu segeln; aber das mag auf dem Meer eine optische Täuschung sein. | |
Sehr allmählich lassen wir die Küste von Mull hinter uns, an der nur alle | |
paar Kilometer ein düsterer Herrensitz einsam der Landschaft trotzt. Vom | |
offenen Meer her ziehen Wolkenberge von dramatischer Färbung auf uns zu und | |
schicken breite Regenbänder herab. Von Weitem sieht das großartig aus, wenn | |
auch leicht beunruhigend. | |
Dank ihrer charakteristischen Silhouette – denn auf einer Seite ragt sie | |
steil aus dem Meer auf – ist die Insel Staffa schon aus weiter Entfernung | |
zu erkennen. Aber erst als wir schon ganz dicht vor ihr sind, werden im | |
dunklen Fels allmählich die Höhlen sichtbar. Nicht nur an einer, sondern | |
gleich an mehreren Stellen ist der schwarze Basalt, aus dem die Insel | |
besteht, vom Meer tief ausgewaschen worden. Fingal’s Cave ist unter ihnen | |
leicht auszumachen – nicht nur dank ihrer imposanten Größe, sondern auch an | |
den vielen bunt gekleideten Personen, die an der Inselflanke eine Art | |
Ameisenstraße bilden. Offenbar ist unser Boot nicht das erste, das an | |
diesem Tag hier anlandet. Es ist ein seltsamer touristischer Hotspot, in | |
einer archaischen Landschaft aus Wasser, so weit das Auge reicht, und | |
unbewohnten Felseninseln, die sich im Meer verlieren. | |
Kurz hinter dem Landungssteg steht ein Insel-Wegweiser mit zwei Pfeilen. | |
Einer weist nach links zu „Fingal’s Cave“, der andere geradeaus zu | |
„Puffins“, Papageientauchern. Ich nehme den linken Weg, werde Teil der | |
Ameisenstraße auf dem Weg zur großen Höhle – einem hochgradig ästhetische… | |
wilden Bauwerk der Natur, geformt aus schwarzen Basaltsäulen. | |
Um es mit den Worten Carl Klingemanns zu sagen: „Ein grüneres Wellengetöse | |
schlug allerdings nie in eine seltsamere Höhle – mit seinen vielen Pfeilern | |
dem Innern einer ungeheuren Orgel zu vergleichen, schwarz, schallend, und | |
ganz zwecklos für sich allein da liegend.“ Wirklich in Ruhe gewürdigt | |
werden kann das schwarz schallende Höhleninnere allerdings nicht, da der | |
Weg hinein Aufmerksamkeit und Rücksicht auf Vorangehende und Nachfolgende | |
erfordert. Am meisten beeindruckt letztlich der Anblick des großen | |
Höhleneingangs von außen; nicht umsonst ist dies die am häufigsten | |
abgebildete Ansicht des Naturwunders. | |
Puffins finden wir auf Staffas höheren Klippen anschließend nicht mehr, sie | |
sind wohl schon ausgeflogen. Auf der unweit gelegenen Insel Lunga, der | |
zweiten Station des Tages, ist das anders. Hunderte, vielleicht Tausende | |
von Papageientauchern haben hier ihre Nester in flache Erdhöhlen gebaut, so | |
dicht am Rand der Klippen, dass sie sich jederzeit leicht hinunterstürzen | |
können, um auf Fischjagd zu gehen oder ein bisschen umherzufliegen. Die | |
menschlichen Wesen, die nur wenige Meter von den Nestern entfernt auf | |
Fotomotive warten – es ist eine sehr rücksichtsvolle, leise Sorte von | |
TouristInnen, die hier unterwegs ist –, werden von den Vögeln entspannt | |
ignoriert. Nur noch wenige Tage, hatte unser Skipper gesagt, dann würden | |
die Puffin-Eltern wieder aufs offene Meer hinausziehen und ihre Jungen | |
zurücklassen, die dann selbst sehen müssten, wie sie zurechtkommen. | |
Von den Papageientauchern ahnten die Reisenden des 19. Jahrhunderts | |
vermutlich nichts, man interessierte sich auch mehr für andere Dinge. Und | |
was Felix Mendelssohn Bartholdy betraf, so war er ohnehin nicht in der | |
Lage, während der Seefahrt viel Aufmerksamkeit für seine Umgebung | |
aufzubringen. Er vertrage sich „mit dem Meere besser als Künstler denn als | |
Mensch, oder als Magen“, schrieb Carl Klingemann an Familie Mendelssohn. | |
Und der Komponist selbst verlor, als er Tage später endlich dazu kam, | |
seinen angefangenen Brief zu beenden, ganz untypischerweise kein einziges | |
Wort über seine Staffa-Eindrücke, sondern schrieb nur, dass er „die | |
gräßlichste Seekrankheit“ erlebt habe. | |
Die zwölf noch in Tobermory entworfenen Takte Musik aber sollten zum Anfang | |
einer berühmten Orchesterouvertüre werden, mit deren endgültiger | |
Ausarbeitung der Komponist sich noch dreieinhalb Jahre lang redlich quälte. | |
Von Mendelssohns Verleger wurde das Werk unter dem publicityheischenden | |
Titel „Die Fingalshöhle“ herausgegeben. Der Urheber selbst sprach in | |
Briefen aber stets von seiner „Hebriden-Ouvertüre“. Unter dem Titel „Die | |
Hebriden“ steht sie daher heutzutage auch in den Konzertprogrammen. | |
23 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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