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# taz.de -- Bei Regen in den Pub: Whisky, Wasser, Wind und Wetter
> Die kilometerlangen Sandstrände der Hebriden und das türkisfarbene Wasser
> erinnern trotz kühlem Regen an Werbefotos für tropische Inseln. Eine
> Radtour durch Schottland, von Edinburgh durch den Trossachs National Park
> auf die Äußeren Hebriden
Bild: Trübes Wetter, triste Farben? Nicht in Schottland
Drei Dinge versuchen Freizeitfahrradwanderer gewöhnlich zu vermeiden:
Steigungen. Wind. Regen. Es gibt eine Ecke Europas, wo man all das so gut
wie sicher und zu jeder Jahreszeit finden wird: Schottland. Und trotzdem
haben wir uns in den Kopf gesetzt, unsere Radreise genau dort zu machen.
Beim Packen ein Blick in die Klimatabelle: 250 bis 270 Regentage im Jahr,
und im Sommer erreichen die Temperaturen gerade mal 20 Grad. Ob wir nicht
doch lieber Handschuhe mitnehmen sollen, wie eine Freundin vorschlägt?
Unsere Reise beginnt in Edinburgh, der Stadt, über die Robert L. Stevenson
schrieb: „Edinburgh is what Paris ought to be.“ Eine prächtige Stadt mit
einem monumentalen Schloss, die einmal im Jahr – im August – mit einer
Reihe von Festivals hunderttausende Besucher aus aller Welt anlockt. Der
freundliche Wirt unserer ersten Bed&Breakfast-Unterkunft begutachtet unsere
voll bepackten Räder und wünscht uns mitleidig, dass der Wind nachlässt,
denn selbst hier in der Stadt pfeift der ganz ordentlich. Ob es eine
schottische Tradition gibt, wie man dem Regen am besten ausweicht, fragen
wir ihn. „Oh ja“, sagt er amüsiert, „wenn es regnet, dann steuert man den
nächsten Pub an und bestellt einen Whisky. Und wenn es dann nicht aufhört –
bestellt man noch eine Runde!“
Direkt in der Stadt beginnt der Union Channal, der einst eine wichtige
Wasserstraße war. Mit der Ausbreitung des Schienennetzes hat er aber an
Bedeutung verloren. Er wurde schließlich stillgelegt und erst im Zuge der
britischen Millennium-Projekte wieder aufwendig instand gesetzt. Herzstück
dieser Sanierung ist das Falkirk Wheel, ein futuristisch anmutender
rotierender Aufzug, der die früheren Schleusenverbindungen ersetzt und die
Schiffe nun scheinbar schwerelos die 35 Meter Höhenunterschied überwinden
lässt. Wir haben uns dieses technische Wunderwerk als Ziel ausgesucht und
genießen die erste steigungs- und autofreie Etappe auf dem Treidelpfad:
vorbei an bunten Hausbooten, über alte Aquädukte – schließlich sogar durch
einen langen Tunnel.
Über zahlreiche Feldwege und Nebenstraßen geht es nach Callander, einem
kleinen Ort im Loch Lomond and the Trossachs National Park. Nach 50
Kilometern sind wir am Ziel angekommen und mitten in den Highland Games.
Wir kommen gerade rechtzeitig zur Endrunde des Internationalen
Baumstammweitwurfwettbewerbs und beobachten das kuriose Schauspiel. Nur
anhand der Reaktionen des Publikums können wir erahnen, ob der Wurf ein
Erfolg war oder nicht, und ziehen weiter, als die Hundestaffel der Polizei
vorgeführt wird und eine vielköpfige Gruppe Dudelsackpfeifer den Rasen
betritt. Von Callander aus folgen wir dem Radweg Nr. 7, einer der
zahlreichen Routen des britischen National Cycle Networks, und erreichen
den Loch Katrine, den man mit einem altertümlichen Dampfer überqueren kann.
Wir entscheiden uns aber dafür, am Seeufer entlangzuradeln. Es gibt zwar
einige Steigungen, doch die spektakulären Ausblicke lohnen die Mühe, und am
Westende des Loch Katrine kann man sich mit Cream Tea – Tee, frischen
Scones mit Sahne und Erdbeermarmelade – verwöhnen lassen.
Von Oban aus, einem quirligen Fährort mit einer Whiskydestillerie an der
Westküste, nehmen wir die Fähre auf die Äußeren Hebriden, eine Inselkette
im Atlantik. Die Fahrt auf die südlichste Insel des Archipels dauert fast
fünf Stunden. Manchmal hat man Glück und kann Delphine oder Wale sehen, wir
aber können leider nur Möwen beobachten, die uns während der ganzen
Überfahrt begleiten.
Wenn die Autofähre „Clansman“ den Anleger der kleinen Insel Barra erreicht
und Einheimische, Lieferanten und Touristen das Schiff verlassen haben,
verdoppelt sich die Zahl der Menschen in Castlebay auf einen Schlag. Direkt
am Hafen findet man sich im Kisimul Cafe ein. Es ist außerhalb der Hotels
das einzige Restaurant vor Ort und entsprechend frequentiert. „Alles
reserviert bis Montag nächster Woche“, heißt es zuerst, aber dann finden
sich doch noch zwei freie Plätze, und wir bekommen auf den Hebriden
gebrautes Bier und einen indischen Curry mit dem frischen „Fang des Tages“.
Der Name „Kisimul“ ist gälisch und verweist auf das kleine Schloss in der
Hafenbucht, das als Sitz des MacNeil-Clans im 11. Jahrhundert errichtet
wurde und im Jahr 1937 vom 45. Clanoberhaupt Robert MacNeil wieder instand
gesetzt wurde. Sein Sohn übergab es schließlich für eine Jahresmiete von
einem Pfund und einer Flasche Whisky an die Denkmalbehörde Historic
Scotland, sodass das Gemäuer nun für Besichtigungen geöffnet ist. Die
kilometerlangen Sandstrände der Hebriden und das türkisfarbene Wasser
erinnern an Werbefotos für tropische Inseln. Die Wassertemperaturen sind
allerdings nur mit Neoprenanzug erträglich, die die zahlreichen
Wellenreiter natürlich tragen. Ohne ins Wasser zu müssen, entdecken wir
eine ganze Gruppe von Seehunden, die sich auf den Steinen ausruhen. Nach
einer weiteren Fährfahrt lassen sich die Inseln Eriskay, South Uist,
Benbicula und North Uist über eine meist einspurige Straße erschließen. Die
wenigen Auto- und Fahrradfahrer grüßen sich freundlich und lassen einander
geduldig in einem der Ausweichplätze passieren. Stundenlang sieht man kaum
ein Haus, keinen Menschen, nur Schafe und immer wieder Fundamente von
Steinhäusern, Überreste von einzelnen Gehöften und ganzen Siedlungen.
Die Ruinen erinnern daran, dass die Inseln ebenso wie die Highlands nicht
immer so menschenleer waren. Ein Besuch in einem der kleinen Museen gibt
Einblick in die Geschichte der Highland Clearances. Die militärische
Niederlage der schottischen Jacobites gegen die Engländer führte zum Verbot
der Privatarmeen. Aus den Feudalherren wurden Großgrundbesitzer, und da
diese keine Soldaten und damit auch keine Untertanen mehr brauchten,
vertrieben sie die Menschen und brachten die lukrativeren Schafe ins Land.
Die Clearances entvölkerten so die Highlands und führten zum Niedergang der
gälischen Sprache und Kultur. Erst in letzter Zeit gibt es wieder
Schulunterricht, Zeitungen, Radio- und Fernsehprogramme auf Gälisch, und
die zweisprachigen Ortsschilder haben keineswegs mehr nur
symbolisch-nostalgische Bedeutung.
Von Lochmaddy aus setzen wir auf die Inneren Hebriden über. Die Isle of
Skye ist die größte Insel vor der schottischen Westküste. Die
Überlandstraße ist hier zwar zweispurig ausgebaut, aber die zahlreichen
Wohnmobile und Lkws erschweren das Radfahren, sodass wir auf alternative
Routen ausweichen müssen, um zur Fähre zurück aufs Festland, nach Mallaig,
zu gelangen. Hier enden auch die Fernstraße und die Bahnstrecke von Fort
William, und so ist es kein Wunder, dass alle Quartiere belegt sind. Im Pub
erkundigen wir uns nach einer Wiese zum Zelten und landen auf einem kleinen
Plateau, das uns eine fantastische Aussicht über das Städtchen und die
Meerenge bis hinüber zur Isle of Skye bietet. Es ist unser letzter Abend,
und beim letzten Whisky schauen wir auf den wolkenlosen Himmel und
überlegen, die nächste Fahrradreise am Loch Ness entlang nach Inverness zu
machen. Es gibt noch viel zu entdecken in Schottland.
22 Mar 2008
## AUTOREN
Alexandra Scheele
Martin Baer
## TAGS
Reiseland Großbritannien
wochentaz
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