Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schottische Tweed-Produktion: Heiße Ware
> Der Sakkohersteller Harris Tweed Hebrides brachte den Absatz des
> zeitlosen Stoffes wieder auf Touren. Ein Gespräch mit den Produzenten
> Mark Hogarth und Brian Wilson.
Bild: Tweed tragen nicht mehr nur Jäger und die Queen.
BERLIN taz | "Fashion Week Berlin": Die Aficionados schlurfen in Shorts und
Badelatschen von Showroom zu Showroom, die Temperaturen in der Stadt
steigen über 30 Grad, in einigen ICE-Zügen versagt die Kühlungstechnik,
Reisende kollabieren. Da mag es merkwürdig anmuten, bei diesem Klima über
Harris Tweed zu reden.
Allein der Gedanke daran sorgt für einen spontanen Schweißausbruch,
schließlich ist der raue Wollstoff seit über hundert Jahren Inbegriff
wetterfester Kleidung. George Mallory machte sich 1924 in einem
Harris-Tweed-Dreiteiler an die Besteigung des Mount Everest - bis heute
wird spekuliert, ob er den Gipfel erreicht hat, bevor er im Schnee
verschollen ging. Es wurde sogar eine Reproduktion seiner Kleidung
angefertigt, um zu erkunden, ob er in ihr den Gipfel hätte erklimmen
können. Befund: ja, zumindest unter vergleichsweise freundlichen
Wetterbedingungen.
Doch über mangelndes Interesse können sich Mark Hogarth und Brian Wilson,
aller Sommerhitze zum Trotz, nicht beschweren. Ihre Firma Harris Tweed
Hebrides ist erst seit Ende 2007 im Geschäft, kontrolliert aber 95 Prozent
des internationalen Handels mit dem Stoff - nicht zuletzt nach Deutschland,
dem größten Absatzmarkt außerhalb Großbritanniens. Dieser Erfolg ist nicht
Ergebnis einer Monopolstrategie, sondern einer Rettungsaktion. Es ist nicht
die erste in der Geschichte des schottischen Stoffhandels.
Ja, es war ein selbst erklärter Retter, der die Industrie zuletzt in ihre
schwerste Krise stürzte: Der handgewobene Wollstoff, der - geschützt durch
ein eigenes Gesetz - nur auf den Äußeren Hebriden, den Inseln vor der
Westküste Schottlands, hergestellt werden darf, gilt zwar als zeitloser
Klassiker, doch seit der Hochzeit der Herstellung in den Sechzigerjahren
ist das Geschäft zunehmend schwierig geworden. 2006 übernahm der
finanzmächtige englische Textilunternehmer Brian Haggas die Kenneth
Mackenzie Group, den größten Harris-Tweed-Hersteller, und versuchte, den
schwächelnden Absatz durch drastische Maßnahmen wieder anzukurbeln.
Von den tausenden Mustern und Farbkombinationen, die den Ruhm des Stoffs
begründeten, ließ er nur noch die gängigsten weben, um genau zu sein: ganze
vier. Der Rest sollte, fein säuberlich sortiert, in einem Stoffprobenmuseum
verwaltet werden. Die schlimme Nachricht hatte kaum die Runde gemacht, da
legte Haggas nach: Bis auf Weiteres werde Harris Tweed nicht mehr meter-
oder ballenweise an Hersteller und Schneidereien verkauft, sondern
ausschließlich als fertiges Produkt einer einzigen Firma. Seiner eigenen.
75.000 Sakkos im selben Schnitt, in denselben vier Farbkombinationen ließ
Haggas in China produzieren. Ganze 5.000 davon konnte er im ersten Jahr
losschlagen, die eben noch auf Hochtouren gebrachte Produktion ruhte, auch
drastisch reduzierte Preise sollten den Verkauf nicht mehr ankurbeln. "Die
Industrie stand kurz vor dem Aus", bestätigt Brian Wilson. "Aber ich bin
fest davon überzeugt, dass die schlechten Zeiten hinter Harris Tweed
liegen. Es hat einige seltsame Umwege gebraucht, dahin zu kommen, aber
jetzt ist die Industrie in einem gesunden Zustand."
Selbständig in Heimarbeit
Wilson, von 1987 bis 2005 Abgeordneter der Labour-Partei im Parlament,
gründete Ende 2007 Harris Tweed Hebrides, um der Misere abzuhelfen:
Finanziert vom Energieriesen Vitol, dessen Präsidenten Wilson bei einem
Dinner mit Fidel Castro kennengelernt hatte, übernahm die neue Firma eine
Stoffmühle in Shawbost auf Lewis und jede Menge Aufträge. Schließlich hatte
Haggas den Handel für ein gutes Jahr komplett stillgelegt. "Jetzt sind wir
unglaublich beschäftigt.
Die Weber arbeiten pausenlos, und unser größtes Problem ist es, Nachwuchs
zu finden und auszubilden, um die Zahl der Weber zu halten. Wir haben 120
Weber, die für uns arbeiten. Sie tun dies zu Hause und selbständig. Ohne
sichere Aufträge ist das eine ausgesprochen prekäre Existenz. Aber jetzt
haben wir erstmals seit Jahren zehn neue Weber in Ausbildung."
Auch ansonsten scheint die Firma auf einem guten Weg zu sein: Harris Tweed
erfreut sich großer Beliebtheit bei Designern von Vivienne Westwood bis
Ralph Lauren, der Engländer Nigel Cabourn nahm im letzten Jahr Mallorys
Bergsteigerjacke ins Programm, und auch der belgische Stardesigner Dries
van Noten setzt in seiner diesjährigen Herbstkollektion auf den
schottischen Stoff.
Bereits in den Siebzigerjahren warb die Harris Tweed Association mit einer
Kollektion von Yves Saint Laurent um ein jüngeres, modebewusstes Publikum.
Daran schließt Mark Hogarth, Kreativdirektor von Harris Tweed Hebrides,
heute an, unter anderem durch Kooperationen mit jungen Designern wie dem
Schotten Deryck Walker, der eine Neuinterpretation des klassischen
Tweedanzugs versucht.
Auch das Londoner Label Dashing Tweeds, bekannt durch seine farbkräftigen,
teils mit Leuchtfäden durchwirkten Stoffe, hat inzwischen seinen eigenen
Harris Tweed geordert. Und selbst Adidas verwendet den Stoff. "Das zeigt,
dass wir nicht mehr auf den traditionellen Markt für Jagdkleidung und
Herrensakkos beschränkt sind", so Hogarth. "Den wir sehr schätzen", ergänzt
Wilson: "Unser Hauptgeschäft ist und bleibt es, den Leuten den Tweed zu
liefern, den sie haben wollen. Dafür haben wir eine ganze Reihe sehr guter
Agenten, wie eben unseren deutschen Vertreter Horst Schrotberger in
Frankfurt. Wir entwickeln zwar auch langsam unsere eigene Palette von
Anzügen, Taschen, Accessoires, aber wir haben keine großen Ambitionen,
Burberry Konkurrenz zu machen."
Eine Konzentration auf den ultratraditionellen Herrenausstattermarkt, wie
sie Haggas vorschwebte, liegt ihm aber fern - im Gegenteil: Mit leichteren
Varianten für die Frühjahrskollektionen will man das Spektrum der
Anwendungen ebenso erweitern wie mit schweren Stoffen für die
Innenausstattung.
In gewissem Sinne, meint Hogarth, profitiert der Harris-Tweed-Handel sogar
von der weltweiten Wirtschaftskrise: "Auf einmal interessieren sich immer
mehr Menschen dafür, woher die Stoffe kommen, die sie tragen. Und genau
darum geht es beim Harris Tweed. Jedes Stück Stoff ist nummeriert und kann
zurückverfolgt werden bis zu dem Weber, der es hergestellt hat. Vor zehn
Jahren war es doch so: Wenn auf einem T-Shirt ,Versace' stand, war es
vollkommen unwichtig, ob es von Sechsjährigen in Bangladesch hergestellt
wurde."
"Nicht dass wir das behaupten wollen", lächelt Wilson. Ein eilfertiger Hype
droht der Tweedherstellung auf Harris und Lewis allerdings wohl nicht,
schließlich begrenzt die Zahl der Weber, die seit hundert Jahren nur wenig
an ihrer Arbeitsweise geändert haben, jede schnelle Expansion. In den
Sechzigerjahren waren es noch fast zehnmal so viele, damals war die
Stoffproduktion der mit Abstand größte Wirtschaftszweig der Inseln.
Hauptabsatzmarkt USA
Ob sie ähnliche Ausmaße jemals wieder erreicht, darüber wird letztendlich
in Nordamerika entschieden, denn die USA waren einmal der größte Markt. "In
den Fünfzigern und Sechzigern hatte jeder kleidungsbewusste US-Amerikaner
mindestens ein Harris-Tweed-Sakko im Schrank", so Wilson. "Aber dieser
Absatzmarkt ist deutlich geschrumpft, da man sich nicht genug um ihn
gekümmert hat."
Während die in Berlin versammelten Modefreaks versuchen, sich mit Eiskaffee
auf Betriebstemperatur herunterzufahren, herrschen auf den Äußeren Hebriden
freundliche 15 Grad. Ein Glück für die Weber, die dieses Jahr eine Premiere
erleben: Waren die Sommermonate bisher stets anderen Tätigkeiten
vorbehalten, müssen sie dieses Jahr an den Webstühlen durcharbeiten, um die
Nachfrage decken zu können.
18 Jul 2010
## AUTOREN
Jan-Frederik Bandel
## TAGS
wochentaz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schottische Höhle Fingal's Cave: Hebriden in h-Moll
Die Basalthöhle auf der schottischen Insel Staffa besticht durch raue
Mystik. Schon Mendelssohn Bartholdy fühlte sich dort inspiriert.
Fashion Week: Bitte mit Sahne
Die Grünen fordern einen Gesundheits-TÜV für Models nach dem Vorbild von
Mailand. Die Branche meint: Nicht nötig, in Deutschland gebe es gar keine
Magermodels
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.