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# taz.de -- Graphic Novel zu Protesten in Iran: Aspekte einer Revolution
> „Frau, Leben, Freiheit“ handelt von der Protestbewegung in Iran.
> Herausgegeben von Marjane Satrapi, erzählt der Comic von Mut und
> Unterdrückung.
Bild: Szene aus dem Comic-Sammelband „Frau, Leben, Freiheit“
Man reibt sich verwundert die Augen: Eine neue Graphic Novel [1][von
Marjane Satrapi]? Die Satrapi, die mit ihrem [2][autobiografisch gefärbten]
Überraschungserfolg „Persepolis“ 2004 ein halbes Jahrhundert [3][iranische
Geschichte] nachzeichnete? Und das, obwohl die mittlerweile als
Filmschaffende Tätige 2021 verkündete, nie wieder Comics zeichnen zu
wollen?
Tatsächlich hat sie es auch nicht getan und darum wirkt es zunächst wie ein
Etikettenschwindel: Ihr Name prangt groß auf dem Titel der Graphic Novel
„Frau, Leben, Freiheit“, die im Iran kostenlos abrufbar sein soll. Der
zweite Blick offenbart: Sie ist Herausgeberin und kraft ihres Namens wohl
auch Auflagenverstärkerin. Bis auf wenige Seiten haben das Zeichnen hier
andere übernommen.
Das führt naturgemäß zu einer Vielzahl verschiedener Stile, was interessant
ist, denn die IllustratorInnen finden sehr unterschiedliche visuelle
Zugänge zur Darstellung des Bösen. Das Böse ist, so viel ist klar, das
religiös-fundamentalistische Regime, das Iran seit 1979 beherrscht und sich
durch drei Prinzipien definiere, heißt es an einer Stelle: „den Mann, die
Verbitterung und die Unterwerfung“.
Die Diskrepanz zwischen dem lebensfeindlichen Ist- und freiheitlichen
Soll-Zustand wird auch visuell deutlich. Kapitel, die sich mit dem Status
quo beschäftigen, sind überwiegend dunkel gehalten, wirken düster und kalt.
Die optimistischen Zukunftsvisionen hingegen sind bunt.
## Teilaspekte des iranischen Freiheitskampfes
Der visuelle Flickenteppich ist spannend, stört aber den Lesefluss, der nie
so richtig sogartige Formen annimmt. Das könnte daran liegen, dass das von
Satrapi und dem Politologen Farid Vahid konzipierte Buch keine lineare
Geschichte erzählt. Es besteht aus 25 Kapiteln, die Teilaspekte des
[4][iranischen Freiheitskampfes] beleuchten.
Ausgangspunkt ist eine Schilderung der Ereignisse, beginnend mit dem Tod
Mahsa Aminis 2022. Es folgen Abschnitte über persische Geschichte,
Illustrationen der konkreten Unterdrückung und der Demütigungstaktiken der
Revolutionsgarden, Umweltprobleme, Korruption, Zensur, Staatspropaganda.
Durch eine arg verkürzte Form entsteht kaum Identifikationspotenzial mit
den in erster Linie als rebellierende Subjekte gezeichneten
ProtagonistInnen.
Das war bei Satrapis erstem Comic anders: Zwar hatte die
iranisch-französische Künstlerin ihre Figuren in „Persepolis“ inklusive
ihrer selbst auch eher stilisiert gezeichnet. Man hegte dennoch große
Sympathie mit den durch Repression und permanente Rückschläge gepeinigten
Seelen der kleinen Marjane und ihrer konsternierten Eltern und Großeltern.
Durch den Facettenreichtum der Episoden entfaltet die Graphic Novel in
ihrer Gesamtheit dennoch ein lesenswertes Panorama der Lage. Erhellend
etwa, wie die Bigotterie der erwachsenen Kinder der Klerikalen aufgegriffen
wird: Sie hoppen luxusshoppend durch das Weltgeschehen. Wer jung ist, aber
nicht mit korrupten Vätern gesegnet, kann davon nur träumen.
## Metadiskussion zur Zukunft
Wer jung ist und nicht vom herrschenden System profitiert, geht auf die
Straße. In einem mit feinen schwarz-weißen Linien gezeichnetem Kapitel
besprechen zwei Demonstranten ihre Ausrüstung für die nächsten Proteste:
Das Handy bleibt zu Hause, Taschentücher gegen Tränengas kommen mit. Die
Hosen müssen weit sein; so weit, dass man schnell laufen kann, wenn die
Schläger des Regimes kommen.
Dabei gibt es dann unausgesprochene Regeln, Nummer sechs lautet: „Zickzack
laufen, um den Motorradbullen auszuweichen …“ Regel Nummer sieben: „Auf d…
Schlimmste gefasst sein!“
Den Schluss bildet das Protokoll eines Zusammentreffens Satrapis und Vahids
mit dem iranisch-amerikanischen Historiker Abbas Malekzadeh Milani und dem
französischen Journalisten Jean-Pierre Perrin. Die vier führen eine
vielschichtige, informierte Metadiskussion, die sich zeichnerisch etwas
eintönig in Skizzen der vier debattierenden Persönlichkeiten erschöpft.
„Welche Farbe hat Iran?“, steht am Kapitelanfang. Eine Antwort gibt es
nicht, aber die folgenden Panels sind alle pink eingefärbt.
Inhaltlich sind sie die besten des Buchs: Wie konnte es so weit kommen und
wie geht es weiter, fragen sich die vier. „Die USA haben geglaubt, dass
sich durch Bomben und Softdrink-Automaten alles ändern ließe, aber so
funktioniert das nicht“, sagt Satrapi lakonisch.
Und warum hilft niemand den Freiheitskämpfenden?, fragt Satrapi und
fordert, dass die Öffentlichkeit ihre Vorstellungen von Iran ändern muss:
„Viele iranische Filme, die man in Cannes sieht, sind so gemacht, dass sie
einem französischen Publikum gefallen, ein Hügel, ein Esel, Exotik.“ Und
fügt genervt hinzu: „Eine Jury aus Reichen, die Preise für Filme über
ärmlich aussehende Oriental:innen verleiht.“ Das nenne man „ein gutes
Gewissen“.
3 Jan 2024
## LINKS
[1] /Neuer-Franzoesischer-Film/!5103945
[2] /Iranischer-Graphic-Novel/!5069818
[3] /Animationsfilm-Die-Sirene/!5970316
[4] /Comicerzaehlung-zu-Protesten-im-Iran/!5106161
## AUTOREN
Julian Sadeghi
## TAGS
Comic
Politisches Buch
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