# taz.de -- Comicerzählung zu Protesten im Iran: Offiziell gibt es keine Morde | |
> Eine Mutter sucht ihren Sohn, der von einer Demo nicht heimkam. Der neue | |
> Comic von Amir & Khalil erzählt von einem schizophrenen Regime und | |
> vertuschter Gewalt. | |
Bild: Statt des vermissten Sohnes findet die Mutter nur Blutspuren. | |
Das britische Außenministerium verweist alle iranischen Diplomaten des | |
Landes und andere europäische Länder ziehen ihre Botschafter ab: Wieder | |
einmal sorgt das iranische Atomprogramm für eine diplomatische Krise und | |
überschattet die alltäglichen Menschenrechtsverletzungen im Iran. Die | |
soeben in Buchform erschienene Comic-Erzählung "Zarahs Paradise" erinnert | |
an die gewaltsamen Repressalien, die das iranische Regime der Grünen | |
Revolution 2009 folgen ließ. | |
Der im Exil lebende iranische Autor Amir und der arabische Zeichner Khalil | |
veröffentlichten ihre Geschichte unter Pseudonymen, weil sie einen Racheakt | |
des Regimes gegen ihre Familien befürchteten. Sie vermeiden den Blick auf | |
die offen ausgeübte nackte Gewalt. Ihre Perspektive ist die ihrer beiden | |
Protagonisten, einer nach ihrem verschwundenen Sohn Mehdi suchenden Mutter | |
und dessen bloggenden Bruder. Mehdi gehörte zum studentischen Widerstand | |
und kehrte nicht von einer Demo zurück. Seine Familie findet nur noch | |
Blutspuren auf dem leeren Versammlungsplatz. | |
Offiziell marodierte die Bassidsch-Miliz, der paramilitärische Arm der | |
iranischen Revolutionsgarde, nicht durch die Masse der Demonstranten. | |
Offiziell gibt es keine Lager, keine Folter und keine Morde. Während die | |
Schreckensberichte sich unter der Oberfläche einer intakten Islamischen | |
Republik von Mund zu Mund verbreiten, versucht Zarah bei den zynischen | |
Behörden Auskünfte über den Verbleib von Mehdi zu finden. | |
## Kräne mit Erhängten ragen unvermittelt ins Bild | |
Durch ihre Augen sehen wir, wie schizophren das Regime zwischen | |
sanktioniertem und vertuschtem Terror pendelt: Unvermittelt ragen an Kränen | |
hängend zwei öffentlich hingerichtete Homosexuelle ins Bild; die Fotos aus | |
den Katalogen der Gerichtsmedizin dokumentieren haufenweise den Tod von | |
Studenten, die für ihre Rechte auf die Straße gingen. | |
Die Geschichte erschien von Februar 2010 bis September 2011 als | |
Fortsetzungscomic im Internet. Auf solche Veröffentlichungen hat die | |
iranische Regierung es abgesehen, als sie ankündigte, ein "reines" Internet | |
einzuführen, das den Grundsätzen des Islam entspreche. Das würde dem Staat | |
die vollständige Kontrolle über den Internetverkehr ermöglichen, der 2009 | |
den Protest gegen die Wiederwahl von Mahmud Ahmadinedschad in ungeahnter | |
Weise beschleunigte. | |
Amir formte seine fiktionale Geschichte aus Erzählungen von Augenzeugen und | |
Betroffenen. Bisweilen verließ er sich ein wenig zu sehr auf den Zufall, | |
wenn es darum ging, den Gang der Dinge voranzutreiben. Dass Blogger gleich | |
als potenzielle Hacker erscheinen, mag der Technikbegeisterung geschuldet | |
sein, die von der die Freiheitsbewegung Besitz ergriffen hat. | |
Ein süßlicher Epilog wirkt angesichts der Tragödie etwas irritierend. Doch | |
das Buch endet mit einem Anhang, der 16.901 Regimeopfer verzeichnet, damit | |
sie "posthum ihre Menschenrechte genießen können". | |
## Sehnsucht nach Persien | |
Die bilderreiche Sprache des Autors und die Ausdruckskraft der Bilder | |
Khalils begegnen sich auf gleicher Höhe. Wenn der Bruder von Mehdi in einem | |
Kopierladen Vermisstenflugblätter vervielfältigt, kommt es ihm vor, "als ob | |
alles von der Wiedergeburt meines Bruders aus dem wundersamen Mutterleib | |
der Maschine abhinge". Die Kopien flattern unterdessen aus dem Kopierer | |
heraus und türmen sich zur Kontur des Vermissten auf. | |
Amir und Khalils künstlerisches Vorbild ist die in Frankreich lebende | |
Marjane Satrapi. In ihrem Comic "Persepolis" stellte sie humorig den | |
Selbstbehauptungswillen der Iraner dar, die sich nicht von den politischen | |
Machtverhältnissen nach der Islamischen Revolution erdrücken lassen wollen. | |
Aus den Bildern von "Zarahs Paradise" spricht die Sehnsucht nach der | |
persischen Tradition, klassische Dichter wie Hafiz und Rumi werden immer | |
wieder zitiert. | |
Der Untertitel der englischsprachigen Ausgabe lautet "A missing son. A | |
stolen election. Is this Iran?". Diese Frage ist rhetorisch. Amir und | |
Khalil glauben trotz allem an den Sieg der Menschlichkeit: Selbst ein | |
Angehöriger der Bassidsch-Miliz kann durch das Vorbild der Widerständler | |
bekehrt werden. | |
Amir & Khalil: "Zahras Paradise. Die Grüne Revolution im Iran und die Suche | |
einer Mutter nach ihrem Sohn". Knesebeck Verlag, München 2011, 272 Seiten, | |
19,95 Euro. | |
5 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Waldemar Kesler | |
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