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# taz.de -- Nahostforscher zur Hamas im Libanon: „Hamas ist mutiger geworden�…
> Die Hamas ist auch im Libanon aktiv. In palästinensischen
> Geflüchtetenlagern rekrutiert sie junge Menschen, sagt der Nahostforscher
> Erling Lorentzen Sogge.
Bild: Jugendliche spielen Fußball im Flüchtlingslager Shatila in Beirut im No…
taz: Anfang der Woche hat die Hamas angekündigt, unter
Palästinenser*innen im Libanon einen „Vortrupp“ einzurichten. Sie
rief Jugendliche auf, sich der „Widerstandsbewegung“ anzuschließen, um
Jerusalem „zu befreien“. Was hat das zu bedeuten?
Erling Lorentzen Sogge: Bis vor Kurzem hat die Hamas nicht zugegeben,
militärische Einheiten im Südlibanon zu haben. Die Bewegung hat lange Zeit
behauptet, dass sich ihr bewaffneter Kampf auf die besetzten
palästinensischen Gebiete beschränkt und dass ihre Rolle im Libanon
hauptsächlich politisch und sozial ist. Sie hat nicht einmal ihre
bewaffnete Präsenz in den palästinensischen Geflüchtetenlagern anerkannt.
Nach dem 7. Oktober scheint sich dies geändert zu haben. Die Hamas ist
mutiger geworden. Sie hat Berichten zufolge von libanesischem Boden aus
Raketen auf Israel abgefeuert und sich zu einzelnen grenzüberschreitenden
Anschlägen palästinensischer Geflüchteter bekannt. Die [1][Erklärung], sie
habe „den Vortrupp der Aksa-Flut“ [der Hamas-Begriff für den Angriff auf
Israel am 7. Oktober] gebildet, waren jedoch sehr vage. Es ist unklar, ob
es sich um eine tatsächliche militante Struktur oder nur um eine Idee
handelt.
Die Hamas hat die Erklärung einen Tag später bei einer [2][Pressekonferenz]
in Beirut zurückgezogen. Warum?
Ich weiß es nicht. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass die Erklärung von
verschiedenen libanesischen Kräften – insbesondere von denen, die nicht mit
der Hisbollah verbündet sind – heftig zurückgewiesen wurde. Nach Israels
verheerender militärischer Invasion zur Auslöschung der Palästinensischen
Befreiungsorganisation (PLO) 1982 haben sich die palästinensischen
Fraktionen im Land zurückgehalten, öffentlich über die Idee der Eröffnung
einer „libanesischen Front“ gegen Israel zu diskutieren. Es besteht ein
Konsens, dass die Palästinenser die libanesische Souveränität in dieser
Angelegenheit nicht herausfordern sollten. Das ist ein politisches Tabu. Es
ist nicht unwahrscheinlich, dass die Hamas erkannt hat, dass sie mit ihrer
Erklärung eine rote Linie überschritten hat.
Wie ist das Verhältnis zwischen der Hamas und der schiitisch-libanesischen
Miliz Hisbollah heute?
Die Hamas hat größtenteils ein gutes Verhältnis zur Hisbollah. Sie sind
enge Verbündete. Man muss wissen, dass die Hisbollah seit Ende der 1980er
Jahre den bewaffneten Kampf auf libanesischem Boden mehr oder weniger
monopolisiert hat. Wenn die Hisbollah palästinensische Verbündete an den
Kämpfen teilnehmen ließ, dann nur, um Abschreckung zu schaffen oder den
Druck von sich zu nehmen. Sie hat ihnen nicht erlaubt, eine führende Rolle
zu übernehmen. In diesem Sinne interpretiere ich auch die jüngsten
militanten Aktivitäten der Hamas im Libanon sowie anderer Randgruppen, die
nach dem 7. Oktober Raketen über die Grenze abfeuerten. Ich gehe davon aus,
dass dies in enger Abstimmung mit der Hisbollah geschehen ist.
[3][Im Libanon gibt es zwölf Geflüchtetenlager], die vor Jahrzehnten als
Behelfsunterkünfte für Palästinenser*innen angelegt wurden und längst
zu überfüllten Stadtteilen für geschätzt 200.000 Menschen geworden sind.
Zwischen welchen Fraktionen ist die Macht innerhalb der Lager aufgeteilt?
Grob gesagt gibt es in jedem Lager mindestens zwei konkurrierende
politische Gruppierungen. Auf der einen Seite steht die PLO, in der die
Fatah die wichtigste Fraktion ist. Auf der anderen Seite gibt es die
Allianz der Palästinensischen Kräfte (APF), in der neben der Hamas und dem
Palästinensischen Islamischen Dschihad auch pro-syrische Gruppierungen
vertreten sind. Wie die Macht zwischen ihnen aufgeteilt ist, hängt von dem
jeweiligen Lager ab. Die Camps haben ein sehr komplexes Innenleben und sind
ein Mikrokosmos der palästinensischen politischen Landschaft.
Was machen die Fraktionen, insbesondere die der Hamas und der Fatah, in den
Lagern?
Die Gruppierungen sind an der Verwaltung der Lager beteiligt und verfügen
in der Regel über Sicherheitskräfte oder Milizen, die etwa Straßenecken für
sich beanspruchen. Das wird stillschweigend von den libanesischen
Sicherheitsbehörden unterstützt, die in den Lagern keine formelle Präsenz
haben und die Sicherheitsmaßnahmen mit ihren palästinensischen
Gesprächspartnern koordinieren. Sowohl die Fatah als auch die Hamas
finanzieren ein komplexes Netz sozialer Einrichtungen innerhalb und
außerhalb der Lager, das von Wohlfahrtsprogrammen bis zu Sportvereinen
reicht. Beide Parteien sehen sich als Hauptvertreter der palästinensischen
Geflüchteten. Sie haben Angst vor rivalisierenden Gruppen.
Was ist über die Rekrutierung von Jugendlichen für die Hamas in den Lagern
bekannt?
Im sozialen Bereich investiert die Hamas viel in junge Menschen. Sie
betreibt eine Reihe sozialer oder religiöser Initiativen, um die junge
Generation zu aktivieren und sie von der Straße fernzuhalten, aber auch, um
sie in die Gemeinschaft zu integrieren. Dazu gehören Koranschulen,
Fußballmannschaften und kulturelle Veranstaltungen. Es ist auch bekannt,
dass sie relativ junge Menschen für politische Ämter rekrutiert. Ich habe
viele Hamas-Mitglieder in ihren Zwanzigern getroffen, die zum Beispiel den
Erzrivalen Fatah dafür kritisieren, dass er zu einer Bewegung alter Männer
geworden ist und jungen Menschen nichts zu bieten hat.
8 Dec 2023
## LINKS
[1] https://english.almayadeen.net/news/politics/hamas-announces-establishment-…
[2] https://www.youtube.com/watch?v=wbHE7nohFuo
[3] /Palaestinenserinnen-im-Libanon/!5965510
## AUTOREN
Julia Neumann
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