# taz.de -- Gitarrensoloalbum von Andrew Pekler: Zurück auf Mono | |
> Der Berliner Künstler Andrew Pekler beschränkt sich beim Soloalbum „SG: | |
> For Lovers Only/Rain Suite“ auf den Sound der Gitarre. Dabei gilt: | |
> weniger ist mehr. | |
Bild: Hinterm Palmwedel ist Andrew Pekler | |
Wenn Andrew Peklers Gitarre in seinem neuen Album „SG: For Lovers Only/Rain | |
Suite“ erklingt, wird es ruhig, langsam und das Licht leuchtet nur fahl. | |
Töne zerrinnen in Super Slow Motion und Melodien schmelzen wie das Wachs | |
einer brennenden Kerze. Nur die Gitarre ist zu hören, und trotzdem wirkt | |
sie dabei nie allein. | |
Die Akkorde, die der Berliner Künstler greift, sind zaghaft angespielt, und | |
die Töne können dann einfach stehen, bis sie Bauklötze werden, die man | |
bestaunen kann. | |
Zusätztlich betätigt [1][der Künstler] behutsam Effektgeräte, um jene | |
Tontrauben mit weiteren Melodien auszupolstern. | |
Das beiläufige Loopen schafft in Peklers Songs das Stimmungsvolle und | |
Hypnotische. Vibrato verzerrt seine Gitarre nicht nur, es kreiert | |
Wolkenbilder und Sandburgen. Flüchtige Kunstwerke, im nächsten Moment | |
wieder verschwunden. Oder waren sie gar nicht da? | |
## Regen als Musik | |
Wer hier genau lauscht, wird erleuchtet werden. Etwa vom Klang von | |
Regengüssen. „Regen zwingt einen praktisch zur Kontemplation: Auf einmal | |
ist die Luft, die leer war, gefüllt. Und die relative Stille wird durch | |
Rauschen ersetzt – bei dieser Veränderung wird einem der eigene Zustand | |
irgendwie bewusster“, erklärt Pekler der taz. Der Klang von Regen in seiner | |
Musik besänftigt. Alles, was draußen grell, schnell und laut sein will, | |
wird davon für eine Weile übertönt. | |
Man sollte Andrew Peklers Gitarrenklänge trotzdem nicht mit neuer | |
Innerlichkeit oder Naturwüchsigkeit verwechseln. Nur weil sie | |
schaumgebremst daherkommt, schmort diese Gitarre noch lange nicht im | |
eigenen Saft. Im Gegenteil, ihr Dasein beruht auf der simplen Erkenntnis, | |
dass Peklers Musik zu den Dingen gehört, die das Selbst erweitern. | |
Stratosphären-Boogie, der möglichst weit, in möglichst viele Richtungen | |
gleichzeitig ausschwärmt und sich, sobald er losgelassen, nicht mehr | |
einfangen lässt. Fang mich doch, Eierloch. | |
Um Virtuosität geht es aber auch nicht. Bekannt wurde Andrew Pekler, der in | |
der Sowjetunion geboren wurde, mit der Familie in die USA emigrierte, wo er | |
auch seine Jugend verbracht hat, in den neunziger Jahren zunächst im Umfeld | |
der Heidelberger Elektronikszene. Mit [2][Bands wie Sad Rockets] | |
fabrizierte er elektronische Musik abseits des Dancefloors. Schon damals | |
bediente sich Andrew Pekler in seiner Ästhetik auch in der Vergangenheit, | |
etwa bei loungigen Exotica-Sounds der 1950er Jahre, und trotzdem klang er | |
nie nach Retro und Revival. | |
## Zehn Finger, eine ganze Welt | |
„Ich hab viele Jahre fast ausschließlich mit Elektronik gearbeitet, dabei | |
ist mir mein Setup etwas zu vertraut geworden – ich hatte irgendwann das | |
Gefühl, ich wiederhole mich nur.“ Es geht Pekler darum, die vermeintliche | |
Schwäche zur Stärke zu machen. „Mit dem bisschen, was aus den Fingern | |
kommt, eine ganze Welt zu suggerieren, ist für mich eine fruchtbare Zone. | |
Jede Geste, jede Figur, jedes Motiv, egal wie einfach, steht allein da und | |
gewinnt durch diese Isolation an Bedeutung. Das ist dann das Spannende für | |
mich: das Richtige wegzulassen, damit das, was bleibt, ausreichend | |
nuanciert wird.“ | |
Das seltsame Pfeifen und Brummen des Transistorgeräts, mit dem Peklers | |
Vater Westradio gehört hat, ist eine frühe Hör-Erinnerung. Was der beste | |
Rat gewesen sei, den er je bekommen hätte, wurde Pekler mal in einem | |
Interview gefragt: als er den Bass zurück auf Mono geschaltet hat. | |
Obwohl „SG: For Lovers Only/Rain Suite“ durchaus Anklänge an große | |
Gitarristen der Rock-’n’-Roll-Sattelzeit, wie Link Wray, Les Paul und | |
Speedy West hat, bleibt Peklers Sound Musik zweiter Ordnung: Es geht bei | |
ihm nicht um das nächste super ausgefuchste und grell-authentische Solo, | |
die Gitarre wird auf das Allernötigste abgespeckt, um Platz für Ideen und | |
Gedanken zu schaffen. Dann lässt sich mit dem jungen Karl Marx sagen: „Je | |
weniger du bist, umso mehr hast du.“ | |
„Sentimental Guitar Dream“ heißt einer dieser Tracks von Andrew Pekler, aus | |
denen zwar Geschichte spricht, die aber nie unter der Last ihrer | |
Erinnerungen ächzt. Es gibt fürwahr Schlimmeres, als vom Sound von Peklers | |
Gitarre fortgetragen zu werden. | |
Vielleicht sind die beiden rätselhaften Buchstaben „SG“ aus dem Albumtitel | |
auch ein Hinweis auf das benutzte Instrument: Gibson SG. Im Waschzettel zum | |
Album wird dazu eine falsche Fährte gelegt: Die beiden Buchstaben könnten | |
für „Sentimental Guitar“, „Saudade Glamour“, oder „Soft Goth“ steh… | |
es da. Peklers Kollege, [3][der Chicagoer Gitarrist Sam Prekop] hat ebenso | |
rätselhafte Linernotes zum Album verfasst, sie muten an wie ein Gedicht, es | |
endet mit diesen Zeilen: „Waking up, in these arms, where the rivers go, | |
slow / One two three, one two three.“ | |
7 Dec 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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