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# taz.de -- NGO-Chef über den Krieg in Gaza: „Es geht darum, Leben zu retten…
> Viele in Israel werfen dem Roten Kreuz vor, zu wenig für die Geiseln zu
> tun. Menschenrechtler Guy Shalev sieht die Verantwortung woanders.
Bild: Alle Geiseln müssen frei sein und die Waffen schweigen, sagt Shalev. Sze…
taz: Herr Shalev, Physicians for Human Rights Israel hat jüngst [1][ein
Positionspapier zur sexualisierten Gewalt am 7. Oktober] veröffentlicht.
Darin sehen Sie deutliche Hinweise, wonach die Hamas bei ihrem Angriff
sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe eingesetzt hat.
Guy Shalev: Ja. Wir müssen ein vollständiges Bild noch bestimmen. Aber die
Beweise und Berichte über sexuelle Gewalt während der Angriffe vom 7.
Oktober reichen aus, um eine Untersuchung der Vorfälle als Verbrechen gegen
die Menschlichkeit zu rechtfertigen.
Israel stellt sich dennoch gegen eine Untersuchung durch die Vereinten
Nationen, da sie diese für voreingenommen hält. Israelische Behörden führen
derzeit eigene Untersuchungen durch. Sollte Israel in Ihren Augen mit der
UNO kooperieren?
Unbedingt. Israel kann nicht verlangen, dass sich internationale Gremien
mit den Beweisen für die von der Hamas begangenen geschlechtsspezifischen
Verbrechen befassen – und gleichzeitig deren Fähigkeit, ordnungsgemäß zu
ermitteln, behindern. Israels Weigerung hat in meinen Augen weniger mit der
Voreingenommenheit der UNO zu tun, sondern eher mit Bedenken gegenüber
internationalen Ermittlungen zu israelischen Verbrechen. Wenn sie die
Ermittlungen zu den Verbrechen der Hamas legitimieren, wird es für sie
schwieriger sein zu behaupten, dass die Ermittlungen zu israelischen
Verbrechen voreingenommen und daher illegitim sind.
Immerhin hat Israel nun den Chefankläger des Internationalen
Strafgerichtshofs ins Land gelassen, um sich mit Geisel-Angehörigen zu
treffen.
Ja, das ist interessant. Zumal dieser seit der Ankündigung, wegen
mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazakrieg 2014 gegen Israel zu ermitteln,
keinen Zugang bekommen hatte – weder nach Israel noch in das Westjordanland
und in den Gazastreifen.
In der internationalen Öffentlichkeit herrschte lange [2][Schweigen über
die sexualisierte Hamas-Gewalt], sogar von der UN-Abteilung zum Schutz der
Frauen. Viele Israelis machen ihnen das zum Vorwurf.
Meines Erachtens lenkt das den Blick von denjenigen ab, die diese
Verbrechen tatsächlich begangen haben – die Hamas-Kämpfer. Wir haben uns
jetzt für ein vorläufiges Positionspapier entschieden, weil wir denken,
dass es bereits ausreichend Informationen gibt, um etwas dazu sagen zu
können, und dass es wichtig ist, dass wir nicht zu lange warten – für die
Opfer und für den internationalen und lokalen Diskurs über dieses Thema.
Ich würde aber etwa Human Rights Watch nicht die Schuld dafür geben wollen,
dass sie keine Erklärung abgeben, die nicht ihren Protokollen zur
Validierung der Daten entspricht. Und was wir auch nicht vergessen dürfen:
dass viele der derzeitigen Debatten in der israelischen Öffentlichkeit von
der Schuld der israelischen Regierung ablenken.
Wie meinen Sie das?
Wir sehen Demonstrationen gegen das Rote Kreuz, als ob das Rote Kreuz für
das, was am 7. Oktober geschah, verantwortlich gemacht werden sollte. Dabei
sind die eigentlichen Schuldigen das Militär und die Regierung, die die
Bürger*innen nicht beschützen konnten.
Die Wut auf das Rote Kreuz ist in Teilen der israelischen Öffentlichkeit
dennoch groß. Es kursieren beispielsweise Bilder, auf denen das Rote Kreuz
zu einem Hakenkreuz verlängert wird. Wie denken Sie darüber?
Seit Beginn des Krieges haben wir [3][versucht, Medikamente zu den Geiseln
zu bringen]. Ein Grund, warum das noch nicht geklappt hat, ist, dass der
israelische Angriff in vollem Gange war. Einer unserer Versuche scheiterte,
weil das Rote Kreuz nicht riskieren konnte, dass dessen Leute dorthin
gelangen, wo wir sie haben wollten, damit die Medikamente möglicherweise zu
den Geiseln gelangen konnten. Israel hat 50 Tage lang hintereinander
bombardiert, ohne dass es Sicherheitskorridore oder sichere Orte gab, an
denen das Rote Kreuz seine Arbeit tun konnte. Das Rote Kreuz ist keine
Kommandotruppe, die die Geiseln finden und besuchen kann.
Physicians for Human Rights Israel ist eine von wenigen israelischen NGOs,
die derzeit einen Waffenstillstand fordern. Befürchten Sie nicht, dass ein
solcher das Überleben der Hamas sichern könnte?
Für uns ist klar: Alle Geiseln müssen sofort freigelassen werden und es
braucht einen sofortigen Waffenstillstand. Es gibt keine Möglichkeit,
diesen Krieg fortzusetzen, ohne Zivilist*innen großen Schaden zuzufügen
und viele Menschen zu töten. Im Süden des Gazastreifens sitzen 1,7
Millionen Binnenvertriebene fest, die nun darauf warten, erneut angegriffen
zu werden, nachdem man ihnen gesagt hat, dass der Süden ein sicherer Ort
für sie sei. Ein Waffenstillstand ist also keine politische Lösung. Es ist
eine Menschenrechtsfrage. Und es ist eine ethische Frage. Die politische
Frage ist für uns eine sekundäre Ebene der Diskussion. Auf der ersten Ebene
geht es darum, Leben zu retten, und das ist der einzige Weg, das zu tun.
5 Dec 2023
## LINKS
[1] https://www.phr.org.il/en/gender-based-violence-eng/?pr=9826
[2] /Sexualisierte-Gewalt-durch-Islamisten/!5977286
[3] /Freigelassene-Hamas-Geiseln/!5970302
## AUTOREN
Judith Poppe
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