| # taz.de -- Social Media aus Sicht einer 50-Jährigen: Influencer und andere Kr… | |
| > Dämliche Youtube-Selbstdarsteller, Beauty-Schrott, Pöbelei und tausende | |
| > Follower – tut mir leid, ich kann mich einfach nicht an Social Media | |
| > gewöhnen. | |
| Bild: Wer folgt wem und wie hohl ist der Anlass dafür? Social Media wirft viel… | |
| Ich weiß wirklich nicht, ob ich mit 50 Jahren schlichtweg zu blöd für das | |
| ganze Social-Media-Gedöns bin oder doch umgekehrt. Ich kann mich einfach | |
| nicht daran gewöhnen. Bei dem Wort „Status“ denke ich immer noch an | |
| Epilepsie – obwohl mein Kind seit mehr als dreizehn Jahren keinen Anfall | |
| mehr hatte – und nicht an die Fotos von den Latte macchiatos anderer Leute | |
| auf Whatsapp. | |
| Wenn ich höre, dass soundso viele Tausend oder Millionen Menschen jemandem | |
| auf Instagram oder [1][Ex-Twitter] „folgen“, fehlt mir dafür jegliche | |
| Anerkennung. Im Gegenteil, ich denke: „Führer befiel, wir folgen Dir“. Und | |
| auf YouTube abonniere ich noch weniger als sonst im Leben. | |
| Besonders schwer fällt es mir, das Phänomen der [2][Influencer ] | |
| nachzuvollziehen. Ich denke bei dem Wort unwillkürlich an Influenza – also | |
| an die Grippe. Ich hab’s mal gegoogelt: tatsächlich leiten sich beide | |
| Wörter vom lateinischen „influentia“ ab, was so viel wie „Einfluss nehme… | |
| bedeutet. Ich kann es kaum glauben, wie unverhohlen schon mit der | |
| Bezeichnung Influencer zugegeben wird, dass es darum geht, zu manipulieren | |
| und ganze Menschenscharen strecken begeistert die Daumen hoch. | |
| Wie kann man sich denn mit Ansage beeinflussen lassen und diesen Narzissten | |
| freiwillig virtuell hinterherlaufen, ihre Produkte kaufen oder sogar ihre | |
| [3][politische Propaganda] glauben? Das ist doch noch viel kranker als | |
| Grippe! | |
| Von meinen Verlagen und Kolleginnen höre ich seit vielen Jahren, dass es | |
| die Verkaufszahlen von Büchern enorm hebt, wenn Autoren auf | |
| Social-Media-Plattformen aktiv sind. Manche behaupten sogar, ohne ginge es | |
| heute gar nicht mehr. Das stimmt aber wohl genauso wenig wie meine Annahme, | |
| dass sich gute Bücher immer durchsetzen, auch ohne Tamtam. Dass [4][Tiktok] | |
| nun einen relevanten Verkaufsfaktor auf dem Buchmarkt darstellt, frustriert | |
| mich – wenigstens solange es dort nicht um meine Bücher geht. Und dass | |
| Verlage mittlerweile angesagte Influencer anfragen, ob sie mit ihnen Bücher | |
| veröffentlichen wollen, pisst mich regelrecht an. | |
| Aber wahrscheinlich ist das alles gar nichts Neues: Ich war schon immer | |
| neidisch, dass jeder noch so blöde Promi jedes noch so blöde Buch machen | |
| konnte, worüber dann massenhaft berichtet wurde, sodass es massenhaft | |
| gekauft wurde. Die Influencer sind eben die Popstars von heute, die ich | |
| genau so wenig kenne oder ernst nehme, wie meine Eltern früher die | |
| Gesichter aus meinen Bravo-Heften. | |
| ## Dämliche Youtube-Selbstdarsteller und Beauty-Schrott | |
| Ich fläze mich gerne mal ein Weilchen zu meiner Tochter und ihrem Tablet | |
| aufs Sofa, um zu schauen, was sie so schaut. Zum Glück schaut sie nicht den | |
| ganzen [5][Beauty-Schrott]. Es bleibt mir trotzdem ein Rätsel, welchen Reiz | |
| es hat, anderen Leuten zum Beispiel beim Spielen von „Minecraft“ | |
| zuzuschauen. Menschen beim Werken zu beobachten gefällt mir dagegen – es | |
| nervt mich nur total ab, dass in den Videos selbst das komplizierteste | |
| Projekt super einfach wirkt – jedenfalls solange man eine Drehbank, einen | |
| Winkelschiefer und 100 Liter Epoxidharz zur Hand hat. | |
| In letzter Zeit schaut Olivia Animationen, die aus Daumenkinos entstanden | |
| sind. Das sind sehr nette Filme, aber ich verstehe trotzdem nicht, warum | |
| sie nicht lieber selber welche macht – ich meine Daumenkinos, nicht | |
| Youtube-Filme. Ich persönlich würde Social-Media-Inhalte wahrscheinlich | |
| letztlich noch lieber selber kreieren, als sie zu konsumieren. Wenigstens | |
| solange, bis in den Kommentaren [6][gepöbelt wird]. Also nicht lange. | |
| Zum Glück bin ich viel zu handyfaul und viel zu blöd, um zu kapieren, wie | |
| alles geht. Anders natürlich als die meisten Jugendlichen. Sie antworten | |
| auf die Frage nach ihrem Berufswunsch in großer Zahl: „Influencer“. Das | |
| gibt Hoffnung! Wenn bald alle selber den Larry machen, werden nicht mehr | |
| genug Follower da sein und der Hype geht endlich vorbei. | |
| Fragt sich nur, wie sie es in den Schulen schaffen, die vielen | |
| egozentrischen Selbstdarsteller bis dahin zu ertragen. | |
| 25 Dec 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Birte Müller | |
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