Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Buch über Kölner Avantgarde: Jammern auf hohem Niveau
> Das Buch „Wir waren hochgemute Nichtskönner“ will über Kölner Subkultu…
> der 1980er und 90er Jahre erzählen. Geht das Konzept auf?
Bild: Der Club „Blue Shell“ war schon in den 1980ern ein zentraler Ort in K…
Ein Gespenst geht um in Köln. Es heißt „Wir waren hochgemute Nichtskönner.
Die rauschhaften Jahre der Kölner Subkultur 1980–1995“, stammt von dem
Autor*innen-Duo Gisa Funck und Gregor Schwering und ist ein Buch von knapp
350 Seiten. Die Gespenstergeschichte verbreitet sich als Geraune in der
gesamten Domstadt, wodurch sich etliche Autor*innen und
Musiker*innen von dem Werk ins falsche Licht gerückt fühlen. Statt
Balsam für die gescholtene und durch den Braindrain nach Berlin in
Mitleidenschaft gezogene Seele der Kölner Subkultur zu sein, stellt die
Rechercheleistung der Literaturkritikerin Funck und des
Literaturwissenschaftlers Schwering einen Stein des Anstoßes dar.
Bei „Wir waren hochgemute Nichtskönner“ handelt es sich um eine sogenannte
oral history, eine Nacherzählung zur Kölner Geschichte, die sich aus
Originalzitaten von Zeitzeug*innen speist und schon durch ihre Form zum
vielstimmigen Prisma verschiedener Erfahrungen und Anekdoten wird. Vulgo
beleuchtet das Buch eine – und das ist wichtig zu betonen – subjektive und
persönlich gefärbte Ausdeutung der Periode zwischen 1980 und 1995.
Die sich daraus ergebenden formimmanenten blinden Flecken – was die
Befragten nicht sahen, können sie schließlich auch nicht beschreiben –
haben bereits in der Vergangenheit [1][(zum Beispiel bei der Berliner
Techno-Geschichte „Der Klang der Familie“ von den Autoren Sven von Thülen
und Felix Denk)] für Unverständnis gesorgt. Nur teilweise ist das
gerechtfertigt: Einerseits ist der unverstellte, direkte Zugang zur
Vergangenheit für Prominente vorteilhaft, andererseits führt so viel
Subjektivität leider zu keinem enzyklopädischen Nachschlagewerk.
Beim Blick ins Buch zeigt sich indes schnell: Da wollen zwei erzählen, was
für kultige Gestalten in der viertgrößten deutschen Stadt rumliefen, vor
allen Dingen aber, wie es Köln in den 1980er und 1990ern schaffte, sich
sowohl in avantgardistischen Diskursen zu ergehen als auch dabei locker zu
bleiben und massenhaft Dosenbier zu trinken. So erklingt das eintönige
Hohelied eines Milieus, das im Gleichklang der wiedervereinigten Berliner
Republik schon lange keine hervorgehobene Rolle mehr spielt.
Köln als melting Pot
Warum der Bedeutungsverlust nach 1995 kommen musste, und was das über eben
jenes kulturzentralistische Deutschland aussagt, verrät das Buch nämlich
nicht. Oder wenn, nur in wenigen knappen Andeutungen. Stattdessen bietet
„Wir waren hochgemute Nichtskönner“ einen fröhlichen, streckenweise
wirklich luziden Schwank von Wohl und Wehe eines melting Pot wie des
BRD-Kölns, das sich selbst im richtigen Maß genug war.
In vier Kapiteln resümiert man erneut die (Entstehungs-)Geschichte des
Popmagazins Spex – dieser wird hier eindeutig zu viel Platz eingeräumt.
Zentral auch das Kölner Nachtleben, der rheinische Minimal-Techno, der
weltweite Anerkennung unter dem Label „Sound of Cologne“ gewinnen sollte,
und selbstverständlich darf die „Kunststadt Köln“, die für einige Jahre …
einem Atemzug mit New York und London genannt wurde, nicht fehlen. So weit,
so gut?
Wo das Buch endet, beginnt erst die Kritik: Konkret wirft man dem Buch vor,
dass integrale Persönlichkeiten, wichtige Orte und bahnbrechende Partys
ausgelassen werden, Fakten verdreht sind und auch im Detail gravierende
Recherchefehler auftreten. [2][taz-Autor Olaf Karnik] etwa beanstandet in
einem offenen Brief die Nicht-Berücksichtigung der deutschlandweit
bedeutsamen Northern-Soul-Partyreihe „Soulful Shack“, darüber hinaus
beschweren sich andere Akteur*innen über die Diskrepanz zwischen [3][der
internationalen Bedeutung des Plattenladens „A-Musik“] sowie seinem Umfeld
und dem wenigen eingeräumten Platz dafür im Buch.
Vor allen Dingen verärgert auch die „Weißzeichnung“ der Geschichte, die in
der Funck/Schwering-Version gänzlich ohne Menschen mit familiärer
Migrationshistorie auskommt; genauso vergeblich sucht man HipHop aus der
Domstadt.
Torkelige Analysen
Zugegeben: Dem Gedanken folgend hätte das Buch mindestens den doppelten
Umfang angenommen – und entsprechend mehr gekostet. So bleibt das Buch
sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikroebene insuffizient: Während der
knapp 100-seitige Teil über die lokale Kunstszene noch sauber gearbeitet
ist – man hat sich hierfür auch im ausgezeichneten Audioarchiv Kunst der
Autorinnen Sabine Oelze und Marion Ritter bedient –, kranken die anderen
drei Kapitel indes an torkeligen Analysen, fehlendem Fachwissen und
erratischen Exkursen: Warum genau braucht es eine längere Passage zur
Hamburger Schule und zur Band Blumfeld? Dass dazwischen mehr oder minder
unerhebliche Prosa-Passagen eingeschoben werden, ließe sich noch
verkraften, selbst wenn ihr Sinn schleierhaft bleibt.
Dass der Unmut in Köln selbst am größten ist, liegt in der Natur der Sache:
Niemand möchte aus der Geschichte getilgt werden oder in Vergessenheit
geraten. Dass das Autoren-Duo hierbei wirklich bedeutende Gruppen, Labels
und Partyreihen auslässt, zeugt schon von Ignoranz. Das ist insofern sehr
ärgerlich, als „Wir waren hochgemute Nichtskönner“ sonst für all jene, d…
nicht in Köln waren oder qua später Geburt noch nicht ausgehen durften,
eine mitunter wirklich interessante Lektüre hätte sein können.
30 Nov 2023
## LINKS
[1] /Buch-ueber-Berliner-Technoszene/!5097993
[2] /Buch-zur-Geschichte-des-Dub/!5904248
[3] /Einzelhaendler-ueber-Corona-Krise/!5672353
## AUTOREN
Lars Fleischmann
## TAGS
Buch
Köln
Oral History
Subkultur
Popkultur
Musik
Düsseldorf
Pop
## ARTIKEL ZUM THEMA
Geschichte der elektronischen Musik: Broken English am Rhein
Kristina Schippling zeigt mit dem Film „The Sound of Cologne“ Kölner
Musikleben von Stockhausen über Can und Kraftwerk zu Niobe und Mouse on
Mars.
Ambientkrautmusik von Philipp Otterbach: Schaum der Tage
„The Dahlem Diaries“ heißt das Album Philipp Otterbachs, ex Düsseldorf, n…
Berlin. Dort ergänzt er elektronische Musik entspannt verschroben.
Musikszene in Düsseldorf: Glasgow am Rhein ist modern
Düsseldorfs neue Musikszene ist international konkurrenzfähig. Bands wie
Stabil Elite berufen sich auch auf Krautrock-Traditionen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.