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# taz.de -- Bewegungstermine in Berlin: Recht auf Stadt – oder Eigentum?
> Was berechtigt eigentlich Vermieter, jeden Monat einen Teil des Gehalts
> zu beanspruchen? Es ist Zeit, sich gegen den Ausverkauf der Stadt zu
> stellen.
Bild: Jede:r kann etwas gegen Gentrifizierung tun, auch Amazon
Es gibt in Deutschland ja das Ideal der Leistungsgerechtigkeit. Dieses
besagt, dass jede:r entsprechend der eigenen Leistung bezahlt werden
sollte. Doch es fällt auf, dass der Begriff immer nur dann in Stellung
gebracht wird, wenn irgendwelche Sozialleistungen (Bürgergeld,
Asylleistungen) gekürzt werden sollen – aber nie, wenn es um die Klasse der
Besitzenden geht. Dabei handelt es sich hier um die reichsten Menschen der
Gesellschaft, die nicht arbeiten gehen müssen, weil ihre riesigen
Leistungen offenbar in magischer Manier vom Eigentum selbst erbracht
werden.
Beispiel Vermieter:innen: Warum presst eigentlich über die Hälfte der
deutschen Bevölkerung ein Viertel, Drittel oder sogar die Hälfte ihres
Einkommens in den Rachen von oft völlig anonymen Aktienkonzernen? Worin
genau besteht nochmal die Leistung dieser Eigentümer, die sie scheinbar zum
Geldäquivalent von 40, 60 oder sogar 80 monatlichen Arbeitsstunden von
x-Millionen Menschen berechtigen?
Die tatsächlich anfallende Arbeit wird immerhin in den allermeisten Fällen
– aus Kostengründen meist mehr schlecht als recht – von Hausverwaltungen
erledigt, in denen Menschen arbeiten, die vermutlich selbst zur Miete
wohnen. Und das Risiko, welches Eigentümer:innen tragen, besteht
darin, das Geld zu verlieren, welches zuvor den Mieter:innen durch die
Drohung mit der Obdachlosigkeit abgepresst wurde.
## Die Stadt, den Reichen zum Fraß vorgeworfen
Und dennoch gelten auch Vermieter:innen hierzulande als
„Leisungsträger“. Aber wo kommt diese Leistung her? Der Philosoph John
Locke hat in dem Zusammenhang einmal erklärt, dass Eigentum an Land
entsteht, wenn man dieses mit eigener Arbeit vermischt. Allerdings schloss
diese „eigene Arbeit“ für Locke auch die Arbeit des Knechtes ein. In dieser
Vorstellung erlaubt es der Besitz von Eigentum also, sich die Früchte
anderer Leute Arbeit anzueignen – das Modell Kapitalismus war geboren.
Dieses Eigentumsrecht ist die Basis unserer marktkonformen Demokratie, die
seit Anfang an die Demokratie zugunsten des Marktes beschneidet. Menschen,
die gemeinsam über ihr Zusammenleben entscheiden, könnten immerhin auf die
Idee kommen, dass es so etwas wie ein Menschenrecht auf Wohnraum gibt. Doch
dieser ist ja im privaten Besitz – und mit Privatbesitz kann jeder machen,
was er will. Auch das angeblich soziale Mietrecht beseitigt nicht das
Machtverhältnis, welches sich aus der Dualität Besitzende/Besitzlose
ergibt.
In Berlin wurde auf der Basis dieses Eigentumsrechts eine gesamte Stadt den
Reichen zum Fraß vorgeworfen. Inzwischen kann überhaupt nicht mehr von
einem Wohnungsmarkt gesprochen werden. Und Katastrophe kam mit Ansage:
Schon Anfang der Neunziger erklärte [1][der Senatsbeamte Hanno Klein], die
aufgewirbelten Alteingessenen im Prenzlauer Berg würden durch die
„Staubsauger“ der Plattenbaugebiete in Marzahn und Hellersdorf aufgesaugt.
Doch auch dort steigen inzwischen die Mieten.
## Klein und Groß leisten Widerstand
Doch hier der Newsflash: Die Menschen, die in Kreuzberg, Neukölln und
anderswo wohnen, sind keine Staubkörner. Waren sie nie. Sie haben einen
eigenen Willen. Unter dem Joch des Kapitals ist eine Widerstandskultur
entstanden. Sich gegen den Ausverkauf der Stadt zu wehren, ist in Berlin
ein Kampf der Generationen geworden.
Am Samstag (25. 11.) findet erneut der [2][traditionell widerständige
Laternenumzug gegen Verdrängung von Bizim Kiez] statt. Kinder und
Erwachsene werden gemeinsam den Kiezdrachen zum Leben erwecken, der sich
gegen den neoliberalen Verwertungsdruck aufbäumt. Um 16:30 Uhr geht es vom
Rio-Reiser-Platz vorbei an aktuellen Hotspots der Verdrängung zum
Nachbarschaftszentrum „[3][Kiezanker36]“, wo heiße Suppe und Getränke
warten. Dort gibt es dann auch Livemusik. Es werden noch helfende Hände zum
Basteln und Drachentragen gesucht, die sich unter
[4][[email protected]] melden können.
Ein Schicksal, das den Kiezdrachen in diesem Jahr besonders erbost, ist die
unsichere Zukunft der [5][Gemeinschaftspraxis am Schlesischen Tor], die
droht, ihre Praxisräume zu verlieren. Laut Bizim Kiez ist die Praxis ein
Ort, in der sich die Verwertungslogik noch nicht vollends durchgesetzt hat.
Für ältere Menschen macht man hier noch Hausbesuche, behandelt werden auch
jene ohne Krankenversicherung und Papiere. Schon am Mittwoch (22. 11)
findet deshalb [6][eine Protestkundgebung vor der Praxis] (Köpenicker
Straße 1, 15 Uhr) statt. Es gibt auch [7][eine Petition] gegen die
Schließung.
## Amazon zum Teufel jagen
Das kapitalistische Eigentumsrecht erlaubt übrigens nicht nur
Vermieter:innen, die arbeitende Bevölkerung auszupressen. Auch die
Lohnarbeit ist kaum mehr als verschleierter Raub, schließlich wird man in
seinem Job nicht im vollen Umfang für die erbrachte Leistung bezahlt –
sonst gebe es ja keinen Gewinn. Wie Lohnarbeit und Mietzahlung
zusammenwirken, lässt sich gut am Amazon-Tower begutachten, der nicht für
das Ausbeutermodell Amazon steht – sondern nun auch noch für die
Verdrängung der Menschen in Friedrichshain.
Doch am „Black Friday“ (24. 11.), diesem heiligen Feiertag des
Konsumfanatismus, lassen sich Beschäftigte und Mieter:innen das nicht
mehr bieten. In 30 Ländern treten Amazon-Beschäftigte in den Streik. In
Berlin findet [8][auch in diesem Jahr eine Kundgebung vor dem Amazon-Tower
statt]. Die Forderungen: Den Tower nicht eröffnen, Großkonzerne in Berlin
besteuern, Amazon zerschlagen und vergesellschaften. Los geht es um 17:30
Uhr. Es wird auch Live-Musik wird von Pastor Leumund und dem „Turm stürzt
ein“-Kollektiv geben.
Erfolgreichen Widerstand gegen die kapitalistische Stadt leisten derweil
weiter die Bewohner:innen der Habersaathstraße 40-48. 2021 haben
obdachlose Menschen und Unterstützer:innen die dort zum Abriss
bereitstehenden Häuser erfolgreich sozialisiert. Seitdem müssen sie sich
allerdings mit Schickanen herumschlagen. So [9][wüteten unbekannte Personen
am 9. August 2023 in den Häusern], zerstörten Waschbecken, rissen Fenster
herunter, tauschten Schlösser aus. Seit dem Angriff, hinter dem die
Bewohner:innen den Besitzer vermuten, gibt es kein Warmwasser und keinen
Strom mehr.
## Praktische Solidarität
Um gegen diesen Terror zusammenzustehen und die einjährige Selbstverwaltung
zu feiern, die sich in drei Etagen in der Habersaathstraße 46 [10][als
eigenständige Struktur] gebildet hat, findet am Freitag (24. 11., 19 Uhr)
[11][eine Soliparty in der Roten Insel] (Mansteinstraße 10) statt. Es
spielen „Fotze“ (Garage Punk), „Scherbe“ (Liedermaching), „FaulenzaA�…
(Trans-female Rap + Folk Punk) und „Ragout Funk“ (Anarcho Metal Funk).
[12][Hier] kann mensch die Bewohner:innen der Selbstverwaltung auch
unabhängig von der Party unterstützen.
Wer mehr über die Misere eines der Kapitalverwertung unterworfenen
Wohnungswirtschaft lernen will, dem sei eine Diskussionsveranstaltung im
Rahmen der [13][Lichtenberger Aktionswochen gegen Sozialchauvinismus]
empfohlen. Am Montag (27. 11.) diskutieren der Soziologe Andrej Holm, das
Bündnis Zwangsräumung verhindern, die Lichtenberger Mieterberatung und
Deutsche Wohnen & Co. Enteignen über die aktuelle Situation auf einem
Wohnungsmarkt, der sich am Abgrund befindet. Los geht es [14][um 19 Uhr in
der Neuen Zukunft] (Alt-Stralau 68).
Konkrete Hilfe für Mieter:innen bieten übrigens verschiedene Stellen
regelmäßig an. Beispielsweise findet jeden zweiten und vierten Montag
jeweils von 18:30 bis 19:30 Uhr [15][eine Mietrechtsberatung in den Räumen
des Kiezladens auf der Sonnenallee 154 statt]. Für eine umfassende Beratung
wird gebeten, alle nötigen Unterlagen mitzubringen. Zur selben Zeit bietet
auch Rechtsanwalt Henrik Solf [16][im Baiz] (Schönhauser Allee 26A) im
Prenzlauer Berg eine kostenlose Mietrechtsberatung an.
Hinweis: Dieser Text wurde am 5. 12. 2023 in den beiden Absätzen zur
Habersaathstraße präzisiert.
21 Nov 2023
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!1701925
[2] https://www.bizim-kiez.de/event/traditionell-widerstaendiger-laternenumzug-…
[3] https://familienzentrum-wrangelkiez.de/
[4] /[email protected]
[5] https://www.praxis-schlesisches-tor.de/
[6] https://www.bizim-kiez.de/blog/2023/11/05/kiezpraxis-muss-bleiben/
[7] https://www.openpetition.de/petition/blog/kiezpraxis-muss-bleiben
[8] https://www.instagram.com/p/Czodl5CMP3O
[9] https://www.berlin.de/ba-mitte/aktuelles/pressemitteilungen/2023/pressemitt…
[10] https://schneckenblog.blackblogs.org/hallo-world-oder-wer-wir-sind-und-was…
[11] https://schneckenblog.blackblogs.org/2023/11/soli-for-ha46-i-24-11-rote-in…
[12] https://www.gofundme.com/f/ha46-keine-raumung-i-kein-abriss
[13] https://aktionswochen.blackblogs.org/
[14] https://aktionswochen.blackblogs.org/2023/08/29/programm-2023/
[15] https://www.kiezladen.org/mietrechtsberatung
[16] https://www.baiz.info/
## AUTOREN
Timm Kühn
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