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# taz.de -- Warum mußte der Beamte Hanno Klein sterben?
> ■ Drei Monate nach dem Mord an dem Senatsbeamten Hanno Klein sind die
> Hintergründe der Tat immer noch vollständig im Dunkeln/ Die Ermittlungen
> wurden eingestellt, ohne das Geflecht von Bauprojekten in der Boomtown
> Berlin zu durchleuchten — Ein Bericht von Eva Schweitzer
Berlin, am 12. Juni 1991, gegen 23.00 Uhr. Ein paar Anwohner der Pariser
Straße in Wilmersdorf schrecken auf: Ein Knall zerreißt die Stille. Dann
ist nichts mehr zu hören. Am nächsten Morgen gegen halb neun findet Doris
H. die Leiche ihres Lebensgefährten Hanno Klein auf dem Fußboden seines
Arbeitszimmers. Sein Gesicht ist zerfetzt, auf dem Fußboden und auf seinem
Schreibtisch glänzen große Blutlachen. Hanno Klein starb am Abend vorher,
als er ein Päckchen öffnete, in dem sich eine Briefbombe verbarg. Doris H.
wird mit einem Nervenzusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert.
Seitdem rätseln Hanno Kleins Freunde, Bekannte und Kollegen und der
polizeiliche Staatsschutz vergeblich, wer diesen Mord begangen hat. Denn
der 48jährige Hanno Klein war nicht irgend jemand: Er war
Investorenbetreuer des Senats und zuständig dafür, Hunderte von
Immobilienfirmen mit millionenschweren Grundstücken in Ost-Berlin
zusammenzubringen — oder sie davon fernzuhalten. »Hanno Klein war das
Nadelöhr, durch das die Investoren hindurch mußten«, sagt ein Ostberliner
Architekt. Hanno Klein war auch daran beteiligt, Grundstücke SED-naher
Organisationen westlichen Verwertungsinteressen zuzuführen. Und er ließ
kein Fettnäpfchen aus. Berlin brauche eine Gründerzeit »mit Markanz und
Brutalität«, so hat er sich laut 'Spiegel‘ geäußert — Worte, die sich
anschließend auf einem Flugblatt autonomer Gruppen wiederfanden. Hanno
Klein — auf den seine Mitarbeiter noch heute schwören — war einer der
meistgehaßten Männer der Stadt.
Ost-Berlin, im Mai 1990. Gerade hatten die ersten freien Kommunalwahlen
stattgefunden. Westberlins Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) stellte den
Ost-Stadträten für Bauen und Wohnen — Clemens Thurmann und Eckehardt Kraft,
beide SPD — zwei seiner leitenden Mitarbeiter zur Seite. Einer davon war
Klein, der zu Kraft in die Behrenstraße in Berlin- Mitte zog und dort in
ein rechtliches und machtpolitisches Vakuum stieß. In der Behrenstraße
begann Klein, vierzehn Stunden am Tag Investoren und Architekten zu
empfangen.
## Alles andere als ein typischer Beamter
Der hochgewachsene, ein wenig stämmige Hanno Klein war ein
widersprüchlicher Mann: voller Energie und Ehrgeiz, arbeitssüchtig,
hochintelligent, eitel und machtbewußt, aber auch begeisterungsfähig,
hilfsbereit und lebensfroh. Früher hatte er bei den Jusos gegen den
Landesvorstand rebelliert und sich — schon in Senatsdiensten — bei den
»Strategien für Kreuzberg« engagiert. Später betreute er Bauwettbewerbe vom
Kulturforum bis zur Daimler-Benz-Ansiedlung am Potsdamer Platz. Er trug
italienische Maßanzüge, fuhr einen roten Porsche und hielt mit seiner
Meinung nie hinterm Berg. »Für den Senator war Klein eine Negativfigur, auf
die man eingedroschen hat, aber das hat er weggesteckt«, sagt einer seiner
Mitarbeiter.
Zwar war Klein formalrechtlich nur ein »kleiner Referatsleiter« mit einem
Bruttogehalt von 7.000 DM gewesen. Aber bald trafen Briefe von Investoren
in der Behrenstraße ein, die für »Staatssekretär Klein« oder sogar für
»Senator Klein« bestimmt waren. »Klein hat keine Zeit verschwendet, solche
Irrtümer richtigzustellen«, hieß es in der Verwaltung. »Klein muß von
seinem Auftreten her auf einen Apparatschik aus dem Osten wie ein wichtiger
Entscheidungsträger gewirkt haben«, urteilt ein Leihbeamter aus West-
Berlin. Kleins Vorgesetzter Kraft galt hingegen bald als Marionette der
Westler.
Zu dem Zeitpunkt, als Klein sein Büro in der Behrenstraße eröffnete,
drängte die Westberliner Baubranche auf den Ostberliner Grundstücksmarkt.
Sie fand willige Partner in überlebensbedrohten SED-Firmen,
Unterabteilungen SED-naher Massenorgansiationen und GmbH- Gründungen
ehemaliger Stasi-Mitarbeiter, die versuchten, sich so viele Grundstücke wie
möglich unter den Nagel zu reißen, was bei den ungeklärten
Eigentumsverhältnissen auch leicht möglich war. »In der Partei und der
Stasi gab es Leute, die schon Mitte '90 begriffen hatten, daß man aus
Volkseigentum richtiges Eigentum machen kann«, sagt ein Kenner der Szene.
Das fing an bei dem damaligen Direktor der kommunalen Wohnungsverwaltung,
Peters (SED), und dem SED-Bezirksbürgermeister Kroschwald, die der
Klingbeil-Gruppe ein Filetgrundstück zuschustern wollten, bis zur
SED-Grundstücksholding Fundament, die ihr Parteigebäude in der
Friedrichstraße 165, als »Haus der Demokratie« bekannt, an den Westberliner
Bauträger Groth & Graalfs verkaufte. »Da gab es welche, die mal gerade eine
Million zusammenkratzen konnten, und die wollten sich im Osten groß
einkaufen«, erinnert sich ein Ostberliner Architekt. »Manche davon haben
einflußreiche Leute aus dem Osten unter Vertrag genommen, sozusagen
Kollaborateure im besetzten Land. Und das war eben die segensreiche
Position von Hanno Klein, daß er die ausgebootet hat.«
## Die Vergangenheit steht überall im Wege
Viele Westler, die an den Filetgrundstücken in der Innenstadt interessiert
waren, beschwerten sich bald bei Hanno Klein über ein ernstzunehmendes
Hindernis: Auf fast allen freien Grundstücken — insgesamt 170 Parzellen von
Milliardenwert — saß die Baudirektion der DDR. Die Baudirektion war eine
Elitetruppe hochbezahlter Architekten, die die Prunkbauten der SED
betreute, darunter den Palast der Republik, das Grand Hotel, die Charité,
das Schauspielhaus, der Hauptbahnhof, das Nikolaiviertel oder den
Friedrichstadtpalast. »Die Baudirektion unterstand zwar formal dem
Bauministerium, in Wirklichkeit jedoch dem Zentralkomitee der SED«,
erinnert sich der ehemalige Bauminister der DDR aus der Zeit nach Modrow,
Axel Viehweger (FDP). Die Baudirektion verfügte vor der Wende über genug
Devisen und durfte sogar eigenständig mit West-Unternehmen verhandeln,
Kontakte mit der Stasi bestanden mit Sicherheit. Ihr Chef, der herrische
und ehrgeizige Professor Ehrhardt Gißke, hatte einen hervorragenden Draht
zur obersten Parteispitze. Er wurde abgelöst durch Manfred Barg, einem
geachteten und integren Mann. Barg wandelte die Baudirektion 1990 in eine
GmbH um.
## Konfliktpunkt Friedrichstadt-Passage
Zu diesem Zeitpunkt war die Baudirektion damit beschäftigt, die
Friedrichstadt-Passage hochzuziehen, ein riesiges Renommierprojekt aus
Boutiquen und Kaufhäusern zwischen Französischer und Mohrenstraße. Der Bau
geriet wegen Finanzschwierigkeiten ins Stocken und wurde stillgelegt.
Daraufhin brach der schwelende Konflikt um die Grundstücke der Baudirektion
offen auf: Die Baudirektion-GmbH beanspruchte die Flächen, die sie im
Auftrag des Staates nur bebauen sollte, widerrechtlich für sich, behauptete
Bausenator Nagel auf einer Pressekonferenz im September 1990. Barg weist
dies zurück. »Das war eine beleidigende Unterstellung des Magistrats«, sagt
er. Er sei bereits im Sommer bei Hanno Klein gewesen, »der war ja die
eigentliche Figur«, und habe den überzeugt, daß er sich die Grundstücke
nicht widerrechtlich aneigenen wolle. Möglicherweise seien es Leute in
seiner Firma gewesen, die anderer Meinung waren. »Aber die habe ich
zurechtgewiesen.«
Letztlich wurde vertraglich zwischen der Baudirektion, Viehwegers
Staatssekretär im Bauministerium der DDR, Franz-Josef Glotzbach (CDU) und
der Treuhand festgelegt, daß die Grundstücke an die Treuhand gingen, die
damals noch zum großen Teil aus SED-nahen Altlasten aus der staatlichen
Plankommission bestand. Die Baudirektion hätte sich West-Investoren suchen
sollen, die ihre Schulden von 200 Millionen Mark übernommen und die
Prunkbauten in Stadtmitte zu Ende finanziert hätten.
Nach den Neuwahlen im Oktober 1990 beschloß Nagel — zusammen mit der
Treuhand — für die Fertigstellung der drei jeweils 500 Millionen Mark
teuren Blöcke der Friedrichstadt-Passage drei Investoren zu suchen. Der
verantwortliche Mann dafür war Hanno Klein. Von knapp 100 Interessenten
blieben zunächst nur 22 übrig, die Bewerbungsunterlagen einreichten.
Darunter waren Konsortien aus Japan, den USA und Frankreich, aber nur
sieben deutsche Firmen, darunter der Branchenführer Philipp Holzmann, die
Bayerische Hausbau, Firma des Straß- Freundes Schörghuber und ECE aus
Hamburg. Nachträglich bewarb sich noch der Heidelberger Unternehmer Roland
Ernst mit seinen Partnern Compagnie Generale des Eaux und der Dresdener
Bank.
## Schlacht um die Sahnestücke
Die Firmen lieferten sich eine Schlacht um die drei Sahnestücke. »Ich habe
es noch nie erlebt, daß Investoren während eines Wettbewerbs versucht
haben, soviel Druck auf mich, meine Mitarbeiter und selbst auf den
Regierenden Bürgermeister auszuüben«, sagte Nagel damals. Immerhin handelt
es sich um eine erste Adresse. Der Quadratmeterpreis der Grundstücke betrug
etwa 15.000 DM. Allein die Erarbeitung der Wettbewerbsunterlagen kostete
jeweils weit über eine Million. Eine Berliner Firma war nicht unter den
Bewerbern. »Die sind dafür alle zu klein«, sagte Hanno Klein ein wenig
verächtlich, was ihn bei den Berlinern nicht unbedingt beliebt machte. »Wir
hätten gerne an der Friedrichstraße gebaut und wir, sowie fünf, sechs
andere Firmen hätten die wirtschaftliche Potenz gehabt, aber man hat uns
nicht gelassen«, klagt Axel Guttmann, Geschäftsführer der Klingbeil-Gruppe.
Klein favorisierte auch für andere Großbauten — es ging insgesamt um acht
bis neun Milliarden DM — ausländische Investoren. Das betraf das
»Lindenkorso« der französischen Firma Amery, das 40-Millionen- Projekt der
schwedischen Firma Skanska Friedrichstraße/Ecke Oranienburger, ein
»American Business Center« mit amerikanischem Geld unter der Betreuung des
ehemaligen amerikanischen Botschafters in Ungarn, Marc Palmer, das »Haus
Dänemark« am ehemaligen Wintergarten nahe der Friedrichstraße, ein 400
Meter hohes Hochhaus des Architekten Jean Nouvel in Prenzlauer Berg,
ebenfalls von Amery finanziert, ein japanisches Zentrum am S-Bahnhof
Marx-Engels-Platz und ein weiteres japanisches Zentrum auf dem Standort des
Glühlampenwerks Narva. »Unser Büro war wichtig damals, die ausländischen
Firmen hätten sich hier sonst kaum zurechtgefunden. Die Berliner haben ja
einen großen Wettbewerbsvorteil«, sagt ein Mitarbeiter Kleins.
Für Aufsehen in Fachkreisen sorgte Kleins größter Wunschtraum: Die
kanadische Firma Horsham Corporation, ein Unternehmen aus Toronto, das 1,7
Milliarden DM Jahresumsatz vor allem mit Öl und Gold macht, sollte eine
eigene kleine Stadt auf zwei Blöcken am Spreeufer errichten. Zwischen
Spree, Heinrich- Heine-Straße, Köpenicker Straße und Schillingbrücke, auf
einem 34 Hektar großen Areal in bester City- Lage sollten 1.300 Wohnungen,
9.000 Tiefgaragenplätze und fast 700.000 Quadratmeter Büro-, Einzelhandel-
und Hotelfläche entstehen. Horsham wollte 1,8 Milliarden DM investieren.
Das Gelände — darunter alte Fabrikhallen und Häuschen aus dem 18.
Jahrhundert — sollte dazu komplett abgeräumt werden. Dazu sollte Horsham
die meisten Grundstücke zu einem günstigen Preis kaufen — der Marktwert
beträgt um die 6.000 DM pro Quadratmeter. Und Horsham sollte als
öffentlicher Sanierungsträger bestellt werden.
## Deutsche Firmen können so etwas nicht
Während der Kiez aufheulte und vom »Dockland-Verschnitt« sprach, kämpfte
Hanno Klein seit Mitte 1990 mit Klauen und Zähnen für Horsham. »Deutsche
Firmen können sowas nicht, die haben damit keine Erfahrung«, sagte er
damals. Auf Widerstand stieß Klein naturgemäß bei den jetzigen Nutzern des
Geländes. Dort befand sich unter anderem das 20.000 Quadratmeter große
Areal der Firma A.L.E.X.-Bau. Und deren Geschäftsführer André Janka war
nicht gewillt, für Horsham zu weichen. Mehr noch: Er ließ das
Firmengrundstück an der Köpenicker für A.L.E.X.-Bau ins Grundbuch
eintragen, nebst einigen anderen innerstädtischen Parzellen, die die Firma
zu DDR-Zeiten zur Bebauung zeitweilig übertragen bekommen hatte. Und Janka
gab selbst ein Gutachten in Auftrag, was man mit dem Block anfangen könnte.
A.L.E.X.-Bau hieß in der DDR- Zeit VEB Baureparaturen Mitte und war
zuständig für Hausmodernisierungen und kleinere Neubauten im ganzen Bezirk.
Die VEB Baureparaturen hatte mit der Baudirektion zusammengearbeitet, etwa
bei der Rekonstruktion des Nikolaiviertels. Geschäftsführer Janka — ein
Sohn des DDR-Dissidenten Walter Janka — ist ein Mann, der auch im Westen
ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden wäre. »Ich habe den Betrieb mit
Millionenschulden übernommen und in wenigen Jahren saniert«, berichtet er.
Zuvor war Janka Direktor der kommunalen Wohnungsverwaltung Mitte gewesen,
davor Kreissekretär der SED-Kreisleitung Mitte. »Hanno Klein hat damals
getobt über Janka, der sich nicht wegräumen lassen wollte, von wegen alte
Seilschaften und so«, erinnert sich ein Mitarbeiter. Janka hingegen empfand
Klein wohl als rücksichtslos. »Vielleicht hat ihm niemand gesagt, daß auch
Ostler sich nicht freiwillig abräumen lassen«, meinte er.
## Gründerzeit mit »Markanz und Brutalität«
Nagel setzte Klein im April 1991 den Senatsbaudirektor Hans Stimmann vor
die Nase. Das empörte Klein, der Nagel inzwischen ohnehin haßte. »Mir ist
es egal, wer unter mir Senatsbaudirektor wird«, sagte er dazu. Kurz darauf
bekam Klein einen Maulkorb gegenüber der Presse. Nagel hatte es auf die
Palme gebracht, daß Klein im 'Spiegel‘ sagte, Berlin brauche eine
Gründerzeit mit »Markanz und Brutalität« — ein Zitat, dessen Athentizität
Klein übrigens bestritt. Klein begann sich nach einem anderen Arbeitgeber
umzusehen. Er verhandelte mit der Wirtschaftsförderung Berlin — einer
landeseigenen Firma unter Aufsicht des Wirtschaftssenators — und mit
mindestens zwei der Investoren, die er betreute: mit der schwedischen Firma
Skanska und der französischen Firma Amery.
Am 18. April stellten Nagel und die Treuhand die drei ausgewählten
Investorengruppen vor, die das 1,4-Milliarden-Projekt
Friedrichstadt-Passage bauen durften: Der französische Kaufhauskonzern
Galeries Lafayette, Bouygues Immobilien aus Paris und Tishman & Speyer aus
New York. Mit der Baudirektion wollte keiner kooperieren: Der Rohbau wird
nun abgerissen, die Baudirektion mit — vergleichsweise läppischen — 80
Millionen DM abgefunden.
Am 16. Mai erlitt Klein einen herben Rückschlag in einem zweiten
Lieblingsprojekt: Der KOAI-Ausschuß des Senats stellte die Horsham-Planung
erneut zurück. In diesem allmonatlich tagenden Ausschuß bereiteten
verschiedene Senatsverwaltungen und die Treuhand Entscheidungen über
Großprojekte vor, Klein war der Geschäftsführer. Klein soll danach sehr
deprimiert gewesen sein. Man vermutet, er habe in seiner vorpreschenden Art
Horsham Versprechungen gemacht, die er nun nicht mehr würde erfüllen
können.
Fortsetzung folgt morgen
19 Sep 1991
## AUTOREN
eva schweitzer
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