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# taz.de -- Ausgehen in Japan: Auf Safari im Technoclub
> Unsere Autorin konnte nicht verstehen, warum junge Menschen in Japan
> keine Clubempfehlungen geben können. Nach einem Tanzabend wurde es ihr
> klar.
Bild: Straßenszene im nächtlichen Tokio
„Attention“, steht in roter Schrift auf dem Schild. „You are not allow to
try to Pick up talk who are using This table.“ Auf Japanisch wird es
verständlicher: „Es ist verboten, an diesem Tisch zu flirten oder Frauen
anzubaggern.“
Der besagte Tisch steht, etwas erhöht, neben dem Dancefloor. Um dorthin zu
gelangen, muss man seitlich an einer Metallabsperrung vorbei. Die meisten
jungen Männer aber interessiert weder die räumliche Trennung noch das
Warnschild.
„Komm da runter und tanz mit uns!“, rufen sie den Mädchen über die laute
Musik hinweg zu. Weist man sie wortlos auf das Schild hin, zucken manche
mit den Schultern und ziehen unverrichteter Dinge ab. Andere aber kommen
hartnäckig immer wieder.
## Wenn Tanzengehen nicht „tanzen gehen“ bedeutet
Dass beim Tanzengehen in Japan der Fokus nicht unbedingt auf „Tanzen“
liegt, erfuhr ich recht früh. Selbst Angebote für lateinamerikanische Tänze
sind in Großstädten wie Tokio überschaubar. In verschiedenen Clubs, [1][die
Bachata-Musik spielen (lateinamerikanischer Musikstil)], wird eher
getrunken und geflirtet, statt das Tanzbein geschwungen. Meine Begeisterung
fürs Bachatatanzen in Japan hielt sich entsprechend in Grenzen. Doch auf
Technopartys war ich neugierig.
Als ich aber in der Stadt Naha auf der Insel Okinawa junge Japaner:innen
nach guten Technoclubs frage, kommen nur unspezifische Antworten zurück.
Irritiert und verwundert fragen sie zurück, was man an solchen Clubs denn
bitte so toll finde. Auch mein japanischer Mitbewohner in Yokohama riet mir
davon ab: „Ich kenne keine“, sagte er zu mir. „Ich glaube, dass die meist…
jungen Japaner nicht in Clubs feiern gehen.“ Irgendwann will ich es dann
einfach selber sehen: Was hat es auf sich mit der japanischen Clubkultur?
Warum hat die so einen schlechten Ruf?
Und so lande ich in Naha in einem Club, den ich eigentlich für einen
Technoschuppen hielt. Tatsächlich spielen sie dort aber vor allem
[2][Mainstreampop aus den 2010ern]. Die Tanzfläche ist groß, vorne stehen
zwei DJ-Pulte, an den Seiten gibt es Sitzgelegenheiten. Auf den
Bildschirmen über der Bar laufen Musikvideos und Fußballspiele.
## Freier Eintritt und Getränkegutscheine für Frauen
Für Frauen ist der Eintritt frei, zusätzlich bekomme ich drei
Getränkegutscheine in die Hand gedrückt. Trotzdem sind 95 Prozent der
Clubgäste männlich, die wenigen Frauen stehen in Zweier- und Dreiergruppen
in „Women Only“-Bereichen. Ein Drittel des Clubs ist speziell für Frauen
reserviert, es gibt diverse Safe Spaces, zu denen Männer grundsätzlich
keinen Zutritt haben. Versucht es trotzdem einer, ist sofort die Security
da. Es sei denn, die Männer zahlen einen Aufpreis: Entsprechend sitzen auf
den VIP-Plätzen im Frauenbereich einzelne Männer in Anzügen, links und
rechts halten sie junge Frauen im Arm. Alle paar Minuten läutet jemand aus
diesen Gruppen an den VIP-Tischen mit einer Glocke und lässt Alkohol mit
Wunderkerzen servieren.
Vereinzelt finden sich Frauen auch in Männergruppen wieder. Allerdings sind
die meisten von ihnen leicht bekleidete Tänzerinnen, die offenbar zum Club
gehören und hauptsächlich zwischen den Tischen herumhuschen, um den
einzelnen Gruppen Getränke zu bringen. Einer von ihnen wird beim Servieren
der Hintern befummelt. Sie lacht nur darüber.
## Muskelmänner und Dollarscheine in der Unterwäsche
[3][Gegen halb zwei ist die Tanzfläche komplett voll]. Muskulöse Männer
springen grölend auf und ab, die meisten von ihnen sind keine Japaner. Vor
ihnen stehen die Tänzerinnen auf Podesten, in ihren BHs und Slips stecken
Dollarscheine. Inmitten der tanzenden Masse sehe ich, wie einige Männer
zwei junge Frauen ansprechen. Einer von ihnen legt einer der Frauen kurz
darauf den Arm um die Schulter. Als ich sie später auf der Toilette treffe,
frage ich sie, ob alles okay sei. „Ja, wieso?“, fragt sie erstaunt zurück.
Ihr ginge es super.
Zurück am Flirten-Verboten-Tisch fühle ich mich mit Blick auf die Szenerie
ein bisschen wie auf einer Safaritour. So, als würde ich aus der Sicherheit
eines Jeeps heraus die Tierwelt beobachten.
3 Dec 2023
## LINKS
[1] /Spanische-Saengerin-Rosalia/!5843920
[2] /Japanische-Popmusik-aus-den-1980ern/!5775750
[3] /Manieren-in-der-Oeffentlichkeit/!5872445
## AUTOREN
Shoko Bethke
## TAGS
Kolumne Stadtgespräch
Techno
Clubkultur
Tanzen
Japan
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Security
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Musik
Hinter den Kirschblüten
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