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# taz.de -- Faule Klima-Entschädigungen: 100 Milliarden sind zweifelhaft
> Die Industriestaaten stellen viel Geld für „Klimahilfe“ für Entwicklung…
> und Schwellenländer bereit. Dabei sind auch Gelder für Kohlekraftwerke.
Bild: Wohin fließt das Geld? Jedenfalls nicht immer in grüne Projekte
Berlin taz | Als die Bundesregierung Ende September bekannt gab, dass sie
im Jahr 2022 6,39 Milliarden Euro als [1][Klimahilfe für Entwicklungs- und
Schwellenländer bereitstellte], war das Medienecho gering. Die Summe wurde
zwar erwähnt, aber nicht im Kontext der internationalen Klimafinanzierung.
Doch nun verhandeln seit Donnerstag Regierungen, Zivilgesellschaft und
private Akteure auf der Weltklimakonferenz in Dubai – und die Summe tritt
wieder in den Vordergrund. Denn: Ein Thema der COP ist, wer wann wie viel
Klimahilfe an wen zahlt.
Eine der wichtigsten Vereinbarungen zur internationalen Klimafinanzierung
wurde auf den [2][Weltklimakonferenzen 2009 in Kopenhagen] und 2015 in
[3][Paris] beschlossen: Ab 2020 und zunächst bis 2024 sollen danach den
Entwicklungs- und Schwellenländern jährlich 100 Milliarden US-Dollar aus
öffentlichen und privaten Quellen für Klimaschutz und Anpassung an den
Klimawandel zur Verfügung gestellt werden.
Ihr 100-Milliarden-Versprechen haben die Industrieländer allerdings schon
2020 nicht eingehalten. Laut der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellten sie lediglich 83,3
Milliarden Dollar zur Verfügung. 2021 verfehlten sie mit 89,6 Milliarden
Dollar erneut das Ziel. Im Jahr 2022 könnte erstmalig genug Geld
bereitgestellt worden sein. Die Nichtregierungsorganisation Oxfam rechnet
ganz anders: Sie kommt für 2020 nur auf eine Summe von 21 bis 24,5
Milliarden Dollar an effektiver Klimahilfe. Für die darauffolgenden Jahre
gibt es noch keine abschließenden Untersuchungen.
## Der 100-Milliarden-Topf
Deutschland ist als Industrieland Teil jener Geberländer, die den
100-Milliarden-Topf füllen sollen. Zu dem eigenen Beitrag für 2022, den
6,39 Milliarden Euro, schreibt die Bundesregierung, damit lasse sie „ihren
Worten Taten folgen und unterstreicht die Bedeutung, die sie dem weltweiten
Einsatz für den Klimaschutz beimisst“. NGOs wie Oxfam haben aus Zeitgründen
noch nicht auf die Zahlen von 2022 reagiert.
Deshalb kann die Bundesregierung in Dubai mit den 6,39 Milliarden Euro als
Aushängeschild herumlaufen. Das ist strategisch klug, weil die Summe über
dem Zielwert liegt und in den Verhandlungen als Druckmittel genutzt werden
kann. Doch wer hat nun recht mit den Zahlen: die Regierung oder Oxfam?
Zum einen werden Klimahilfen zum Teil als Kredit mit festen oder flexiblen
Zinssätzen vergeben. Das bedeutet, dass die Empfängerstaaten zwar Geld aus
dem Norden erhalten, es aber später mit Zinsen zurückzahlen müssen. Die
gesamte Summe zählt trotzdem zum Budget, das ein Industrieland als
Klimahilfe für Schwellen- und Entwicklungsländer angibt. Technisch ist das
auch richtig, aber für den Empfänger ist ein zinsloser Zuschuss natürlich
deutlich besser als ein Kredit zu Marktkonditionen.
Es ist wie beim Kauf einer Wohnung durch eine Privatperson: Wer sich das
Geld dafür von der Bank leiht, muss es mit Zinsen zurückzahlen. Wer eine
reiche Oma hat, die das Geld dafür ohne Zinsen verleiht, hat am Ende nur
die Schulden in Höhe des geliehenen Geldes. Oxfam hat – im Gegensatz zu den
Geldgebern – die Schulden, die durch die Verzinsung entstehen, von der
geliehenen Summe abgezogen und spricht deshalb von „Nettohilfe“.
Zum anderen haben die Industrieländer einen großen Spielraum bei der
Bilanzierung. Zwar gibt es Regeln, welcher Anteil des Projektvolumens eines
geförderten Projekts als Klimafinanzierung deklariert werden kann. Diese
Regeln beruhen aber auf Selbstauskunft.
## Keine unabhängige Instanz
In Deutschland entscheidet das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) also selbst, welche geförderten
Projekte als Klimafinanzierung gelten und welche nicht. Es gibt keine
unabhängige Instanz, die überprüft, ob ein gefördertes Projekt tatsächlich
als Klimafinanzierung anzuerkennen ist. Das Kriterium, nach dem das BMZ
entscheidet, ist folgendes: Damit ein Projekt auf den deutschen Anteil an
den 100 Milliarden Dollar angerechnet wird, muss es entweder zur
Emissionsminderung oder zur Anpassung an den Klimawandel beitragen.
Es klingt also sinnvoll, dass die klimaresiliente Entwicklung von Gemeinden
in den Regionen Machakos, Makueni und Kitui in Kenia im Jahr 2021 als
Klimaanpassungsmaßnahme bilanziert wurde. Ebenso plausibel klingt es, wenn
die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) den Ausbau von Solaranlagen im
Senegal finanziert und das BMZ das Projekt als emissionsmindernd einstuft.
In der vom BMZ veröffentlichten Liste stehen aber auch Projekte, bei denen
aus der Beschreibung nicht hervorgeht, ob sie dem Kriterium entsprechen.
Die Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (KZW) hat so im Jahr
2021 die Lobbyarbeit des Symposiums der afrikanischen Bischofskonferenzen
unterstützt. Ist das, wie vom BMZ eingestuft, eine Klimaanpassungsmaßnahme?
Dennoch wurden der deutschen Klimafinanzierung 186.000 Euro
gutgeschrieben.
Der Punkt ist: Von außen ist kaum zu erkennen, ob und wenn ja, wie ein
Projekt zur Klimaanpassung oder Emissionsminderung beiträgt. Deshalb
beurteilt Oxfam dies anhand der öffentlich verfügbaren
Projektbeschreibungen und -titel. Keine unabhängige Institution kann alle
Projekte weltweit abklappern und die dortige Arbeit überprüfen. Die
Einschätzung des BMZ geschieht also in einem Vakuum.
## 347,6 Millionen US-Dollar für Kohlekraftwerk
Weil die Regeln lediglich eine Selbstauskunft verlangen, kam es bereits zu
umstrittenen Klimahilfen. So hat Japan dem Entwicklungsland Bangladesch
2016 347,6 Millionen US-Dollar für den Ausbau eines Kohlekraftwerks
geliehen und die Summe anschließend seiner internationalen Klimahilfe
gutgeschrieben.
Japans Argument: Das Kohlekraftwerk Matarbari werde mit (japanischer)
Technologie finanziert, die den Schadstoffausstoß reduziere. Dennoch werde
das Kraftwerk jährlich 6,8 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen, errechnete die
japanische Entwicklungsagentur JICA. 2017, 2018 und 2020 lieh Japan dem
südasiatischen Land weitere Gelder zur Finanzierung des Kohlekraftwerks,
die jeweils der japanischen Klimahilfe gutgeschrieben wurden.
„All diese Projekte können absolut wertvoll sein für die formulierten
Projektziele“, sagt Jan Kowalzig, der die Untersuchung für Oxfam begleitet
hat, in Bezug auf die von Deutschland geförderten Projekte. „Wir stellen
nicht die Sinnhaftigkeit der Projekte infrage, sondern lediglich, dass der
Klimabezug ein geringerer ist, als es die Kodierung und anschließende
Berichterstattung der Bundesregierung nahelegt.“
Da die 6,39 Milliarden Euro Auslegungssache sind, kann man der
Bundesregierung im Grunde nichts vorwerfen. Dennoch legen die stark
unterschiedlichen Berechnungen nahe, dass sie nicht gerade selbstkritisch
bilanziert. In Dubai jedenfalls bleibt die Summe unumstritten – und die
Bundesregierung kann sich damit auf der Klimakonferenz profilieren. Außer
bei denen, die genauer nachrechnen.
1 Dec 2023
## LINKS
[1] /Geld-fuer-Klimaschutz/!5953213
[2] /Klimaverhandlungen-in-Kopenhagen/!5152972
[3] /Pariser-Abkommen/!t5301048
## AUTOREN
Enno Schöningh
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