| # taz.de -- Jüdische Kulturtage in Hamburg: Kultur trotzt dem Krieg | |
| > Zum ersten Mal präsentieren die Jüdischen Kulturtage Hamburg Musik, | |
| > Literatur und Kunst. Aber es geht auch um Stadtgeschichte und | |
| > Erinnerungspolitik. | |
| Bild: Was politisch koscher ist und was nicht, lernt man in Shlomit Tripps Anti… | |
| Hamburg taz | Es ist das erste Mal. Noch bis 10. Dezember 2023 finden die | |
| [1][Jüdischen Kulturtage] statt. Das Festival, von der Jüdischen Gemeinde | |
| der Hansestadt initiiert und maßgeblich von der Hermann-Reemtsma-Stiftung | |
| sowie der Kulturbehörde gefördert, bietet ein üppiges Programm. „Jüdische | |
| Kultur ist so vielfältig wie die Menschen, die sie ausüben“, sagt Stefanie | |
| Szczupak vom Vorstand der Gemeinde. | |
| Die Menora ist das Signet des Kulturfestivals. Der siebenarmige Leuchter | |
| erhellt die programmliche Fülle aus Musik, Literatur, Erinnerungskultur, | |
| Religion, darstellenden und bildenden Künsten sowie (Stadt-)Geschichte. | |
| Kuratorin Elisabeth Friedler betont, dass die Erinnerungskultur eben einer | |
| der Aspekte des Programms sei. Dazu gehört auch die Gedenkveranstaltung | |
| „‚Nie wieder‘ ist jetzt“ am 9. November, dem Jahrestag der Novemberpogr… | |
| von 1938, auf dem Joseph-Carlebach-Platz. | |
| „Gerade im November können kulturelle Funken leuchtende Akzente setzen“, | |
| sagt Friedler. Nach einem Dreivierteljahr intensiver Vorbereitungen, einem | |
| wahren Kraftakt für die 2.500 Mitglieder starke Gemeinde, berichtet sie | |
| beglückt von den zahlreichen Kooperationen. Erst sie ermöglichen die 46 | |
| Veranstaltungen mit Künstler:innen aus der Region und aus aller Welt. | |
| „Viele Veranstaltungen sind dialogisch konzipiert, um Neugier zu wecken und | |
| Horizonte zu erweitern“, sagt Friedler. Es gibt kostenfreie Events oder | |
| niedrige Eintrittspreise. | |
| Carolin Vogel von der Hermann-Reemtsma-Stiftung berichtet, dass das neue | |
| Kulturfestival aus der Mitte der Jüdischen Gemeinde kommt: „Wir haben die | |
| Gemeinde mehrfach unterstützt, haben uns an der Sanierung der ehemaligen | |
| Talmud-Tora-Schule und der Synagoge Hohe Weide beteiligt, an der | |
| [2][Restaurierung und Erforschung des Jüdischen Friedhofs Altona]“, sagt | |
| Vogel. „Doch jetzt geht es nicht um den baulichen Bereich, sondern darum, | |
| die vielfältige jüdische Kultur besser kennenzulernen und die Orte, an | |
| denen sich jüdisches Leben ereignet.“ | |
| ## Berührende Kinderbilder | |
| Und so gibt es Führungen durch die Synagoge an der Hohen Weide, ins | |
| ehemalige Israelitische Krankenhaus sowie über die Jüdischen Friedhöfe in | |
| Ohlsdorf und Altona, aber auch ein Wein-Tasting zur Frage, was eigentlich | |
| „koscher“ ist, in der Talmud-Tora-Schule im Grindelviertel. Das | |
| musikalische Programm reicht vom Jazz, einem Liederabend mit Werken | |
| jüdischer Komponist:innen bis zu Jewish Folk und einem | |
| Klezmer-Workshop. | |
| Besonders berührend ist die [3][Ausstellung „Durch Kinderaugen gesehen]: | |
| Schulhefte und Zeichnungen jüdischer Schülerinnen und Schüler vor 1945“ in | |
| der Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule in der | |
| Karolinenstraße. Die Inszenierung „Zuhause bei Ida Dehmel“ mit Barbara | |
| Nüsse und Günter Schaupp ist in der Intimität des Dehmel-Hauses bestimmt | |
| ein außergewöhnlicher Genuss. „Unverschämt jüdisch“ heißt ein Abend mi… | |
| Schriftstellerin Barbara Honigmann, die auf Initiative des | |
| Literaturzentrums im Literaturhaus liest: „Judentum lebt immer in der | |
| Gegenwart, denn wenn es keine textbezogene Gegenwart hat, ist es bei aller | |
| Anstrengung um Kultur und Ritus und koschere Küche und einer wie auch immer | |
| gearteten Kultur nur ein jüdisches Museum.“ | |
| Eröffnet wurden die Jüdischen Kulturtage Hamburg am 2. November in der | |
| Talmud-Tora-Schule vor rund hundert geladenen Gästen – mit Worten voller | |
| Trauer von Philipp Stricharz, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde: „Es | |
| fällt schwer, sich an jüdischer Kultur zu erfreuen – denn wir sind in | |
| Gedanken bei den Opfern der Terroristen.“ Alle Anwesenden erhoben sich zu | |
| einer Gedenkminute. Der Nahe Osten war ganz nah. | |
| „Judentum ist etwas Schönes. Die jüdische Kultur ist begeisternswert“, fu… | |
| Stricharz fort: „Wir wollen über das Judentum sprechen, nicht über den | |
| Antisemitismus!“ Und er ist sicher: „Wir haben die Stadt im Rücken.“ | |
| Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sagte wie zur Bestätigung: „Auch im | |
| Schatten von Terror und Leid ist es wichtig, jüdisches Leben für alle in | |
| der Stadt erlebbar zu machen.“ | |
| Die Jüdischen Kulturtage kommen, so scheint es, zur rechten Zeit. „Ohne | |
| Judentum wäre Hamburg nicht Hamburg“, sagt Mark Dainow, Vizepräsident des | |
| Zentralrats der Juden in Deutschland: „Die Jüdischen Kulturtage Hamburg | |
| sind notwendig, da alter Antisemitismus in neuem Gewand auf deutschen | |
| Straßen wieder präsent ist.“ | |
| ## Sicherheitskonzept nachjustiert | |
| Ist nach den Massakern der Hamas vom 7. Oktober alles anders? Kuratorin | |
| Elisabeth Friedler hat im Vorfeld die beteiligten israelischen | |
| Künstler:innen gefragt, ob sie dabei seien. „Allen sagten ja.“ Das | |
| Sicherheitskonzept sei allerdings nachjustiert worden: „Es geht um Kunst | |
| und Kultur. Angesichts politischer Katastrophen einzuknicken, wäre ein | |
| falsches Zeichen.“ | |
| In Berlin haben Jüdische Kulturtage längst Tradition. Dort gibt es sie seit | |
| 1987. In München gibt es sie seit 1992. Nun finden sie also erstmals in | |
| Hamburg statt, getreu der jüdischen Weisheit: „Je später das Fest beginnt, | |
| desto länger dauert’s.“ Dass zahlreiche Veranstaltungen des neuen Hamburger | |
| Festivals bereits ausverkauft sind, belegt das hohe Interesse in der Stadt. | |
| Zum Auftakt war am 4. November in der Kleinen Elbphilharmonie das | |
| mitreißende Stummfilm-Konzert „Jüdisches Glück“ mit Günter A. Buchwald | |
| (Violine und Klavier) und Helmut Eisel (Klarinette) zu erleben. Die 1925 | |
| gedrehte Komödie aus der Sowjetunion basiert auf Scholem Alejchems Roman | |
| „Menachem Mendel“. | |
| Gedreht an Originalschauplätzen im heute ukrainischen Berdytschiw, Odessa | |
| und Letytschiw, erzählt der Film vom armen Menachem. Der Geschäftemacher | |
| versucht sein Glück als Versicherungsagent, fliegender Händler und | |
| Heiratsvermittler. Immer wieder scheitert er, und so sehen wir einen Schelm | |
| und Pechvogel, dem einfach nichts gelingt. | |
| Die Burleske mit Darsteller:innen des Jüdischen Theaters Moskau macht | |
| lachen und weinen zugleich. Ethnografisch genau zeigt sie einstige | |
| Schauplätze der zerstörten jüdisch-ukrainischen „Schtetl“-Kultur. Sie | |
| bezeugt aber auch Menachems Unverdrossenheit und Energie, allen | |
| Widrigkeiten zu trotzen. | |
| Zur unbarmherzigen Geschichte abseits der Leinwand gehört, dass | |
| Drehbuchautor Isaak Babel und Hauptdarsteller Solomon Michoels zu Opfern | |
| der Stalin’schen Säuberungen wurden. Das Jahrhundert der Extreme ist also | |
| nicht tot, es ist nicht einmal vergangen. | |
| 8 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://juedischekulturtage.hamburg/ | |
| [2] /Juedischer-Friedhof-Altona-soll-Weltkulturerbe-werden/!5373268 | |
| [3] https://juedischekulturtage.hamburg/veranstaltungen/ausstellung/ | |
| ## AUTOREN | |
| Frauke Hamann | |
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