| # taz.de -- Arbeitskampf bei der Bahn: Ein anderer Streik ist möglich | |
| > Wieder mal lassen die Bahnangestellten die Kundschaft am Bahnhof stehen. | |
| > Dabei ginge es auch ganz anders. So, dass es den Chefs wirklich wehtut! | |
| Bild: Mütze auf statt ab! Anders streiken wäre doch mal eine Idee | |
| Neulich erreichte ich eine Minute vor Abfahrt den 8-Uhr-Sprinter-ICE | |
| München–Berlin, doch dann fuhr er gar nicht pünktlich ab. Das allein | |
| reichte manchen im Waggon schon für eine Suada gegen die Bahn: „Lokführer | |
| müsste man sein“, „Scheiß-Bahn“, „Nichts funktioniert hier“, „Hah… | |
| lustig“. | |
| Doch es kam noch dicker: Der Schaffner gab per Lautsprecher zur Kenntnis, | |
| dass er nicht wisse, wann der Zug losfahre, weil der Lokführer in einer | |
| anderen Bahn sitze, die wiederum Verspätung habe. Sie können sich ungefähr | |
| vorstellen, was dann in meinem Waggon los war. „Lassen Sie mich raus, ich | |
| nehm die Lufthansa“, „Sauladen“, „Nie wieder!“. | |
| Sich über [1][die Bahn] aufzuregen gehört zum Alltagsgespräch wie übers | |
| Wetter klagen oder die Regierung. Und wenn Bahn-Angestellte streiken, | |
| [2][so wie seit Mittwochabend die Lokführer,] sollte man den Kopf | |
| einziehen, denn die Empörung und Erregung ist so groß, dass gefühlt Tassen | |
| und Teller an einem vorbeizischen und an der Wand zerschellen. | |
| ## Freigetränke und Konversation | |
| Nun stellen Sie sich vor, die Bahn streikt und alle Bahnfahrer*innen | |
| sind glücklich. Es gibt keine Beschwerden über Ausfälle oder Verspätungen | |
| von Zügen, das Bordbistro hat kein eingeschränktes Angebot, die | |
| Wagenreihung ist unverändert und die Kontrolleure kontrollieren nicht die | |
| Fahrausweise, sondern, ob Sie mit dem Service der Bahn zufrieden sind und | |
| eine angenehme Reise haben. Statt mit einem Fahrkartenkontrolliergerät | |
| laufen sie mit einem Tablett kostenloser Getränke durch die Sitzreihen und | |
| informieren Sie über die Streikziele und den großen Abstand zwischen den | |
| Gehältern der Vorstände und den Angestellten an Bord. | |
| Es gibt immer Gründe, nichts Neues auszuprobieren. Aber auch immer Gründe | |
| dafür. Warum also nicht mal die Idee des kundenfreundlichen Streiks? | |
| [3][In Japan und in Australien beispielsweise gab es Busfahrerstreiks, bei | |
| denen die Angestellten zwar die Busse fuhre]n, aber keine Tickets | |
| verkauften. Warum nicht diese Idee übernehmen und anpassen? Die Beschwerde | |
| der Bahnkund*innen ist dem Konzern während so eines Streiks ja | |
| größtenteils wumpe. Der Ruf ist sowieso ramponiert. | |
| Das Druckmittel einer Arbeitsniederlegung ist ja auch nie unmittelbar die | |
| Beschwerde. Das Druckmittel sind die finanziellen Einbußen. Zum | |
| sozialverträglichen Wohlfühlstreik der Bahn braucht es also ein Konzept, | |
| wie man dem Konzern im Rahmen des Streikrechts größten finanziellen Schaden | |
| zufügen kann, ohne dass die Bahnen aufhören zu fahren. | |
| ## Abschied vom Ticketverkauf | |
| Was würde sich rechnen? Eben beispielsweise, wenn die Bahn im | |
| Streikzeitraum keine zusätzlichen Tickets verkaufen kann. Das Bestreiken | |
| des Ticketverkaufs würde bedeuten, dass die Schaffner streiken müssten, | |
| aber auch und vor allem, dass die Homepage, die Apps und die | |
| Ticketautomaten der Bahn für die Dauer des Streiks abgeschaltet werden, | |
| dass also die Leute hinter den Computern streiken. | |
| Zuküftig würde es dann in den Meldungen heißen: Im andauernden Tarifstreit | |
| der Bahn-Angestellten zeichnet sich ein Arbeitskampf ab. Die IT-Abteilung | |
| des Unternehmens hat für kommende Woche bereits angekündigt: „Es wird kein | |
| einziges Ticket mehr verkauft.“ | |
| Das würde auch bedeuten, dass die mächtige Gewerkschaft, Deutscher | |
| Lokführer auf ihre Macht verzichten müsste. Sie nämlich dürften ihre Arbeit | |
| nicht niederlegen. Genauso wenig wie das Zugpersonal und ein Großteil der | |
| Beschäftigten für der Infrastruktur. Es wäre einen Versuch wert, lediglich | |
| den Ticketverkauf zu bestreiken, um zu sehen, ob die millionenschweren | |
| Bahn-Vorstände dann in eine ähnliche Empörung und Erregung geraten wie | |
| sonst nur die kritischen Kunden des Konzerns. Zumindest wäre eines | |
| erreicht: Kunden würden sich nicht mehr „Nie wieder!“, sondern „Gerne | |
| wieder!“ zurufen. | |
| 15 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Deutsche-Bahn/!t5008760 | |
| [2] /Tarifstreit-bei-der-Bahn/!5973120 | |
| [3] https://www.focus.de/finanzen/news/arbeitsmarkt/mit-statt-gegen-die-kunden-… | |
| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
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