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# taz.de -- Mahnmal für Bremer Folter-Opfer: Ein ungemütliches Kunstwerk
> Bremen will 18 Jahre nach dem Tod von Laye-Alama Condé an die Opfer
> polizeilicher Brechmittel-Einsätze erinnern. Das Mahnmal gestaltet Usha
> Seejarim.
Bild: Im stehenden „C“ ist Platz zum Sitzen. Gemütlich werden soll das abe…
BREMEN taz | Usha Seejarim wird das Bremer Mahnmal für die Opfer der
Brechmittelfolter gestalten. Mit dem Entwurf „Death by Drowning“, also „T…
durch Ertrinken“, hat die südafrikanische Bildhauerin die anonyme, mit
rassismus- und antisemitismuserfahrenen Personen der Stadtgesellschaft
besetzte Findungskommission überzeugt.
Das Werk soll aus riesigen Stahlbuchstaben bestehen, die teils im Boden zu
versinken scheinen und das Wort „FORCE“ bilden. Das Votum war einstimmig.
Daraufhin hat der Ortsbeirat Bremen Mitte, also das Stadtteilparlament, am
Dienstagabend seine Standortentscheidung bekräftigt: Gegen die zwei Stimmen
der CDU beschloss er, das Denkmal direkt am Gerhard-Marcks-Haus zu
errichten, in unmittelbarer Nähe zu Wall-Anlagen, Kunsthalle und
Stadttheater: zentraler geht kaum.
Im Sommer hatte eine Fachjury Seejarim und fünf weitere Künstler*innen
aufgefordert, ihre Konzepte zu präzisieren, die sie [1][bei einem
Wettbewerb zum Thema eingereicht hatten, um ihr Interesse zu bekunden.] Der
Background der jetzigen Jury war wichtig, weil es sich nicht allein um ein
Denkmal für eine Person handelt, sondern an eine rassistische Praxis
erinnert.
So wie die Hamburger hatte auch die Bremer Polizei die Tortur der
Brechmittelvergabe ausschließlich bei People of Color angewendet. Dieses
schmerzhafte, gefährliche und entwürdigende Verfahren war 1991 unter
Justizsenator Henning Scherf (SPD) zur Beweismittelsicherung eingeführt
worden. Es zielte auf Straßen-Dealer. Erst 2017 [2][fand er dafür Worte des
Bedauerns.]
## Im Gewahrsam ertrunken
Erstmals hatte dieses Verfahren in Hamburg den Tod eines Menschen
verursacht: Achidi John starb im Dezember 2001 an den Folgen der
Brechmittelfolter in Verbindung mit einem Herzfehler und Kokainkonsum. In
Bremen wurde die Praxis 2005 in unmittelbarer Reaktion auf den Tod von Laye
Alama Condé im Polizeigewahrsam gestoppt. Er starb an Sauerstoffmangel,
ertrunken am ihm mit dem Brechmittel per Schlauch eingetrichterten Wasser.
Er wurde nur 35 Jahre alt.
Gänzlich eingestellt wurde die Praxis erst, nachdem der Europäische
Gerichtshof für [3][Menschenrechte 2006 klargemacht hatte], dass es sich
von Anfang an und in jedem Fall um Folter gehandelt hatte. Folter ist laut
Menschenrechtskonvention [4][verboten].
Usha Seejarim, 1974 in der kleinen Stadt Bethal in der Provinz Mpumalanga
geboren, gehört in Südafrika zu den bekanntesten Künstler*innen der
Gegenwart. Weltweit wahrgenommen wurde eines ihrer Werke vor zehn Jahren –
jedoch meist ohne Namensnennung: Sie hatte für die Trauerfeier von Nelson
Mandela das überlebensgroße Porträt des Freiheitskämpfers mit Techniken
traditioneller Perlenkunst als Mosaik aus Samenkörnern geschaffen.
Als erste afrikanische Künstlerin überhaupt war Seejarim 2022 beim „Burning
Man“-Skulpturenfestival in Nevada zu Gast. Ihre erste Einzelausstellung in
Europa hatte sie 2020 im [5][Kunstinstituut Melly], Rotterdam, einem der
wichtigen Häuser für Gegenwartskunst. Einen prestigeträchtigen Auftrag hat
sie von der belgischen Stadt Gent: Dort gestaltet sie ein Mandela-Denkmal.
Die Mahnmal-Entscheidung ist bemerkenswert angesichts der [6][steten
Weigerung Hamburgs, dieses Unrecht aufzuarbeiten]. Sie ist Ergebnis eines
zivilgesellschaftlichen Engagements. Das hatte fast unmittelbar nach Condés
Tod 2005 seinen Anfang genommen und auch die juristische Aufklärung
vorangetrieben.
Bremen brauche einen solchen Ort auch als Gegenbewegung zum gegenwärtigen
Rechtsruck, stellte Gundula Oerter von der Gedenkinitiative klar. Der mache
es umso wichtiger, „menschenrechtsfeindliche Angriffe heute und in der
Zukunft anzuklagen“. Zugleich wies sie darauf hin, dass Bremen weder
symbolisch noch materiell für „Entschädigung der schätzungsweise Hunderten
von Betroffenen der Brechmittelvergabe“ gesorgt habe.
Seejarim konzipiert das Mahnmal nicht als Stille gebietendes Monument.
Ähnlich wie ihr Denkmal in Gent soll es ein begehbarer Ort werden, der zum
Umgang auffordert und sogar ein wenig Aufenthaltsqualität hat.
Teils liegend, teils stehend, machen die Stahlbuchstaben die vielfältigen
Facetten des englischen Worts „FORCE“ plastisch, das Stärke, auch Macht und
beispielsweise jene staatliche Gewalt bezeichnen kann, in deren Schutz man
sich doch eigentlich begeben können möchte. Als Verb gelesen bedeutet es
„zwingen“. Das C, aufrecht und rund zwei Meter hoch, lädt zum Sitzen ein.
In ihm finden gut zwei Personen Platz.
Wohlfühlen sollen sie sich indes nicht, das ist ein klarer Unterschied zum
Mandela-Denkmal, das [7][auch ein bisschen ein Kinderspielplatz sein wird].
„Ich möchte, dass die metallische Oberfläche im Winter kalt und im Sommer
heiß ist“, so die Künstlerin.
Während sie sonst oft neodadaistisch die Form von Haushaltsgegenständen wie
Bügeleisen nutzt, beschränkt sie sich hier darauf, auf die Form und das
Material eines herkömmlichen Behandlungsstuhls zart anzuspielen: Einer
Liege, an die gefesselt Condé sein Martyrium erlitt. Und viele andere noch.
10 Nov 2023
## LINKS
[1] /Erinnerung-an-Bremer-Brechmittel-Opfer/!5903930
[2] /Fehler-eingestanden/!5368709
[3] /!405426
[4] https://fra.europa.eu/de/eu-charter/article/4-verbot-der-folter-und-unmensc…
[5] https://www.kunstinstituutmelly.nl/en/
[6] /Tod-nach-Brechmittelgabe/!5818751
[7] https://www.nieuwsblad.be/cnt/dmf20181120_03966715
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Mahnmal
Bremen
Brechmittel
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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