# taz.de -- Kinotipp der Woche: Klang im Detail | |
> Nick Cave bevor er Nick Cave war: Mit Dokus wie „Mutiny in Heaven“ folgt | |
> das Soundwatch Festival der Musikgeschichte bis in die feinsten | |
> Nerd-Ecken. | |
Bild: Berlin-Premiere am 11. November im Lichtblick-Kino: „Mutiny in Heaven�… | |
Es ist ja nicht so, dass Leben und Wirken von Nick Cave im Genre | |
Dokumentarfilm bislang unterbelichtet geblieben wäre. Ganz im Gegenteil, | |
Nick Cave als Goth-Ikone, als Buddy von Kylie Minogue, als Schmerzensmann, | |
all das ist in gleich mehreren Portraits gut dokumentiert. | |
Aber bei einer derart schillernden und faszinierenden Figur kann es | |
lohnenswert sein, immer noch mehr Details herauszuarbeiten. Und so dreht | |
sich die Dokumentation „Mutiny in Heaven: The Birthday Party“ von Ian White | |
nur um die Zeit, bevor Cave unter eigenem Namen zum [1][Indie-Rockstar] | |
schlechthin wurde. | |
Erst war er der Kopf der Boys Next Door, die Ende der Siebziger eine Platte | |
aufnahmen und dann ging es weiter als The Birthday Party, die heute als | |
eine der einflussreichsten Postpunkbands überhaupt gelten. | |
Um wirklich etwas zu erreichen, zogen sie von Australien nach London, | |
[2][dem damaligen Zentrum der Bewegung]. Der extrem schroffe Gitarrensound, | |
Caves außergewöhnliche Live-Darbietungen, bei denen er sich die Seele aus | |
dem Leib schrie und wie unter Elektroschocks auf dem Boden wälzte, | |
verschafften ihnen schnell den Status einer Kultband. | |
„Mutiny in Heaven“ zeigt, dass diese nicht bloß von der Präsenz ihres | |
Sängers zehrte, sondern vor allem auch von Rowland S. Howards einzigartig | |
kaputten Riffs auf seinem Instrument. Es ist schön, dass der Gitarrist, der | |
vor 14 Jahren gestorben ist, in Archivaufnahmen auftaucht und | |
verdientermaßen als ebenso wichtiger Faktor für die Band beschrieben wird, | |
wie Cave. | |
Die Doku zeigt den wilden Ritt der Combo, die immer mehr im Drogensumpf | |
versank, dann nach Berlin zog, wo das Kokain billiger war als in London. | |
Man befreundete sich mit den [3][Einstürzenden Neubauten], war weiterhin | |
kreativ und gleichzeitig kurz vor dem totalen Absturz. Und dann endet die | |
Dokumentation und weist im Abspann darauf hin, was danach kommt. Und das | |
kann man sich dann in all den anderen Filmen über Nick Cave ansehen. | |
Zu sehen ist „Mutiny in Heaven“ bei der siebten Ausgabe von | |
[4][Soundwatch], dem „Music Film Festival Berlin“, das im November im | |
[5][Lichtblick-Kino] sowie im fsk Kino, im Kino Krokodil und in der Panke | |
Gallery läuft. Rein auf das musikalische Spektrum bezogen, hat man sich bei | |
diesem wieder ziemlich breit aufgestellt. Die Grande Dame des folkigen | |
Protestsongs Joan Baez bekommt mit „I Am a Noise“ ein ihr gewidmetes | |
Portrait. | |
Max Roach, der als stilprägender Be-Bop-Drummer nur sehr unzureichend | |
beschrieben wäre, weil er auch ein großer Avantgardist und außergewöhnlich | |
politischer Musiker war, wird mit „The Drum Also Waltzes“ gewürdigt. | |
Parallel zum offiziellen Kinostart läuft auch „Tastenarbeiter“, eine | |
überfällige Liebeserklärung an einen ganz Großen des europäischen Free | |
Jazz, den 85-jährigen und in Berlin lebenden Alexander von Schlippenbach. | |
Wo „Mutiny in Heaven“ bereits belegt, wie man mit Musikdokus immer noch | |
kleinteiliger und nischiger werden kann, beweist „What You Could Not | |
Visualise“, dass das noch gar nichts ist. Wer bitte kennt Rema-Rema, um die | |
sich dieser Film dreht? Die existierten gerade mal ein paar Monate und für | |
mehr als eine EP, die 1980 erschienen ist, hat es nicht gereicht. Die Doku | |
aber legt nahe: Rema-Rema sind trotzdem nicht vergessen. | |
Den Vogel aber bei der Spezialisierung und dem Herausarbeiten von nerdigem | |
Wissen schießt „Crass: The Sound of Free Speech“ von Brandon Spivey ab. Wie | |
der Titel bereits andeutet, geht es hier um die englischen Anarcho-Punks | |
Crass. Im Vordergrund steht aber die genaue Analyse nicht etwa ihres ersten | |
Albums, sondern ihrer Debütsingle „Reality Asylum“. Was belegt: Zumindest | |
im Bereich Punk ist für die Form der Musikdoku an Aufarbeitung noch so | |
einiges vorstellbar. | |
9 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Album-von-Saenger-Nick-Cave/!5734516 | |
[2] /Postpunk-Alben-aus-Berlin/!5837439 | |
[3] /Neues-Album-der-Einstuerzenden-Neubauten/!5685554 | |
[4] https://soundwatch.de/2023/ | |
[5] https://lichtblick-kino.org/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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