# taz.de -- Kinotipp der Woche: Ständig neuer Krach | |
> Mit scharfen Blick auf absurde Verhältnisse schuf Vĕra Chytilová Filme | |
> voller Satire und Sprengkraft. Die Reihe „Die Sprengmeisterin“ würdigt | |
> ihr Werk. | |
Bild: „Sedmikrásky“ (Tausendschönchen), ČSSR 1966 | |
Ein Lärm, der sich kaum aushalten lässt, ständig neuer Krach, es wird | |
gebohrt, gehämmert, geschrien. Vĕra Chytilovás „Panelstory aneb jak se rod… | |
sídlištĕ“ („Geschichte der Wände oder wie eine Siedlung entsteht“) vo… | |
zelebriert den permanenten Wahnsinn und mit ihm die Leute, die sich durch | |
diese Zustände einen Alltag bahnen. | |
Sie alle dachten, dass sich hier, wo die neuen, modernen Plattenbauten | |
entstehen, ein Dasein in Komfort einstellen würde. Einmal spricht eine | |
junge Mutter gar von sich als „Prinzessin“, die Normwohnung mit den bunten | |
Tapeten gerät zum Prinzessinnenturm. | |
Doch der Ausblick ist trist: grauer Himmel, gelbe Baufahrzeuge, brauner | |
Matsch. „Panelstory“ ist der Auftakt einer [1][Reihe im Zeughauskino], die | |
sich ab November bald einen Monat lang den Werken der tschechischen | |
[2][Filmemacherin Vĕra Chytilová] (1929-2014) widmen wird. Und mit ihr | |
einer Regisseurin, die man aufgrund ihres surreal-anarchischen | |
„Sedmikrásky“ („Tausendschönchen“) zwar zu kennen meint – deren, zu… | |
selten vorgeführte, Filme aber einen Zeitraum von nahezu fünfzig Jahren | |
umspannen. | |
Dabei macht das von Mathias Barkhausen zusammengestellte Programm, das den | |
schönen Titel „Sprengmeisterin – Die eigensinnigen Filme von Vĕra | |
Chytilová“ trägt, gleich zu Beginn einen klugen Zug. Barkhausen nämlich | |
verzichtet auf eine chronologische Abfolge, „Sedmikrásky“ (1966), Klassiker | |
der tschechoslowakischen „Neuen Welle“, erwartet Interessierte und | |
Eingeweihte erst ganz zum Schluss. | |
Hingegen beweisen die ersten drei Tage der Reihe direkt Chytilovás immenses | |
Spektrum: Auf die Sozialsatire „Panelstory“, die einen mit ihrem schnellen | |
Cinéma vérité-Stil und der expressiven Sound-Montage auf sehr unterhaltsame | |
Art um den Verstand bringt, folgt mit dem Dokumentar-Hybrid „O nĕčem jiném… | |
(„Von etwas anderem“) eine ihrer frühesten Arbeiten. | |
„Pasti, pasti, pastičky“ (1998) dann katapultiert in die schrillen, | |
oberflächlichen Neunzigerjahre, wo ein schönlingshafter Werbetexter, der | |
eine Vergewaltigung begangen hat, von seinem Opfer, einer | |
Veterinärmedizinerin, kastriert wird. | |
Allen Filmen gemein ist ein scharfer, auf die gesellschaftlichen | |
Absurditäten und Sexismen gerichteter Blick. Vĕra Chytilová war eine genaue | |
Beobachterin, die ihre Erkenntnisse ungemein frei und innovativ | |
verarbeitete. | |
„O nĕčem jiném“ gibt davon eindrücklich Zeugnis, indem er das Leben zwe… | |
sehr unterschiedlicher Frauen abwechselnd erzählt, zwischen Dokumentarfilm | |
und Fiktion changiert: Hier das Porträt der Turn-Weltmeisterin Eva | |
Bosáková, die Chytilová während hochkonzentrierter und eintöniger | |
Trainingswochen zeigt, da die gelangweilte und zugleich erschöpfte Hausfrau | |
Vĕra, die hinter dem Rücken ihres Mannes eine Affäre eingeht, aber in einen | |
Abgrund stürzt, als dieser ihr Ähnliches gesteht. | |
„O nĕčem jiném“ vermittelt Gewalt, Frust und Gefühle des Eingesperrtsei… | |
unbeschwert und selbstverständlich, er wirkt wie ein Radschlag über einen | |
stets präsenten, doch unsichtbar gemachten Riss. Eine Übung, die Chytilová | |
meisterlich beherrschte – und die nun in ganzer Breite zu sehen ist. | |
1 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihe/sprengmeisterin/ | |
[2] /Nachruf-auf-Vera-Chytilova/!5046559 | |
## AUTOREN | |
Carolin Weidner | |
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