# taz.de -- Grüne Jugend Nachwuchs über die Ampel: „Es läuft so viel schie… | |
> Die Ampel muss radikal umsteuern, finden Svenja Appuhn und Katharina | |
> Stolla. Sie wollen Vorsitzende der Grünen Jugend werden. | |
Bild: Svenja Appuhn, links im Bild, und Katharina Stolla, rechts, kritisieren d… | |
BERLIN taz | Klare Worte scheuen die beiden jungen Frauen nicht. „Die | |
Politik der Bundesregierung braucht eine 180-Grad-Wende“, sagt Svenja | |
Appuhn. „[1][In Zeiten des Rechtsrucks] ist es falsch, Rechten | |
hinterherzulaufen“, sagt Katharina Stolla. „Deshalb ist es falsch, was die | |
Ampel tut.“ Appuhn und Stolla wollen neue Sprecherinnen, also | |
Bundesvorsitzende, der Grünen Jugend werden. Und damit den Jugendverband | |
der Partei führen, die [2][in der Ampelregierung viele Zugeständnisse | |
macht]. Viel zu viele, so sieht das ein großer Teil der Grünen Jugend. | |
Am Wochenende trifft sich der Jugendverband in Leipzig zum Bundeskongress, | |
der Bundesvorstand wird neu gewählt. Die beiden aktuellen Sprecher*innen, | |
Sarah-Lee Heinrich und Timon Dzienus, dürfen nicht noch einmal antreten, | |
die Amtszeit ist auf zwei Jahre begrenzt. Appuhn und Stolla, die beide | |
bereits im Bundesvorstand sitzen, sind bislang die einzigen | |
Kandidat*innen für die Nachfolge. | |
Ein Interview wollen die beiden vor ihrer Wahl nicht geben, zu einem | |
Kennenlerntreffen erklären sie sich bereit. Deshalb sitzen sie am | |
Montagvormittag in einem Café im Berliner Regierungsviertel, nicht weit von | |
der Geschäftsstelle der Grünen entfernt, die eine vor einem Cappuccino, die | |
andere vor einem Croissant. Sie sprechen über soziale Gerechtigkeit und | |
solidarische Migrationspolitik, erst nach etwa 20 Minuten kommt das | |
Gespräch auf Klimaschutz. | |
Wird der Klimaschutz mit ihnen an der Spitze also in den Hintergrund | |
rücken? Stolla schüttelt den Kopf: „Dass wir die anderen Themen betonen, | |
liegt vor allem an der aktuellen politischen Situation.“ Soll heißen: an | |
den Wahlerfolgen der AfD, der aufgeheizten Asyldebatte, dem fehlenden | |
sozialpolitischen Engagement der Ampel. Und Grünen, die bei den jüngsten | |
Landtagswahlen stark verloren haben. | |
## Soziale Frage im Mittelpunkt | |
Einen Kurswechsel der Grünen Jugend, das betonen beide, wollen sie nicht. | |
Im Gegenteil: Heinrich und Dzienus machten das ausgesprochen gut. | |
Insbesondere Heinrich hatte die soziale Frage stets sehr betont, Dzienus | |
zuletzt die Zugeständnisse der Grünen bei der Verschärfung des Asylrechts | |
scharf kritisiert, beide haben ihren Unmut über die Politik der Ampel immer | |
wieder klar formuliert. | |
„Die Grünen müssen lernen, dass immer die soziale Frage zuerst geklärt | |
werden muss, wenn es um Klimapolitik geht“, sagt auch Appuhn. Ohne diese | |
Verbindung würden sich die Grünen die Mehrheit nehmen. Das habe die Debatte | |
um das Heizungsgesetz klar gezeigt. | |
Svenja Appuhn und Katharina Stolla sind beide 25 Jahre alt und im selben | |
Geburtshaus in Frankfurt/Main zur Welt gekommen. Appuhn ist in einem | |
wohlhabenden Frankfurter Vorort aufgewachsen, Stolle in der Stadt. Zum | |
Medizinstudium zog Appuhn, die bis zum Abitur Landesschulsprecherin war, | |
nach Hannover, seit dem ist sie in der Grünen Jugend aktiv. Erst in der | |
vergangenen Woche hat sie das zweite Staatsexamen abgelegt. Statt dem | |
Praktischen Jahr im Krankenhaus soll nun ein Vollzeiteinsatz für die Grüne | |
Jugend kommen. „Es läuft so viel schief, deshalb ist jetzt der Moment, das | |
zu machen, anstatt vom Seitenrand zuzuschauen.“ | |
Katharina Stolla hat nach dem Abitur einen Freiwilligendienst in der | |
Gedenkstätte für Holocaust und Menschenrechte in Belgien gemacht, dann ist | |
sie zum Studium der Meteorologie nach Hamburg gegangen, seit Februar hat | |
sie einen Master. „Ich wollte die physikalische Seite hinter der Klimakrise | |
verstehen“, sagt sie. „Dass wir klimapolitisch nicht vorankommen, liegt | |
aber nicht an fehlendem Wissen, sondern an fehlendem politischen Willen.“ | |
## „Wir haben den Konflikt in der Partei geführt“ | |
Dass die Grünen in der Regierung sind, hat die Arbeit der Grünen Jugend | |
nicht leichter gemacht. „Die Grünen sind in vielen Fragen unsere | |
Verbündeten, können sich aber in der Regierung zu selten durchsetzen.“ | |
Natürlich sehe man auch die Zwänge, räumt Stolla ein. „Aber wir sind ein | |
eigenständiger Jugendverband und haben eigene Positionen.“ Da müsse man | |
manchmal eben auch Konflikte austragen. „Die Grüne Jugend ist eine starke, | |
wahrnehmbare Kritikerin dieser Regierung und das werden wir auch sein“, | |
sagt auch Appuhn. | |
Beide betonen: Die Grüne Jugend, die mit ihren etwa 16.000 Mitgliedern | |
deutlich kleiner als etwa die Jusos oder die Junge Union sind, sei gestärkt | |
aus den vergangenen zwei Jahren hervorgegangen. Ihr Beispiel dafür: die | |
[3][Auseinandersetzung um das Dorf Lützerath] im rheinischen Kohlerevier. | |
Im Zuge eines Kompromisses mit dem Energiekonzern RWE hatten die grünen | |
Wirtschaftsminister*innen Robert Habeck (Bund) und Mona Neubaur (NRW) | |
dem Abriss von Lützerath zugestimmt, die Grüne Jugend hatte mit einem | |
Antrag auf dem Parteitag im vergangenen Jahr versucht, das zu verhindern. | |
Sie unterlag zwar, aber denkbar knapp, mit gerade gut 20 Stimmen – obwohl | |
Bundesvorstand und Regierungsmitglieder den Delegierten eindringlich vor | |
den Folgen des Antrags gewarnt hatten. Die Grüne Jugend hatte dem Unmut der | |
Delegierten mit der Regierungspolitik der Grünen eine Stimme gegeben. | |
„Wir haben den Konflikt in der Partei geführt und waren davor und danach in | |
Lützerath an der Seite unserer Bündnispartner“, sagt Stolla. Das sei der | |
richtige Weg. Derzeit, sagt Appuhn, nage besonders die Migrationspolitik | |
an der Partei. „Viele von uns sind seit 2015 eingetreten, um für eine | |
solidarische Geflüchtetenpolitik einzustehen. Für sie ist der Kurs der | |
Bundesregierung nicht tragbar.“ Die Grünen müssten sich die Frage stellen, | |
wer noch bereit sei, Wahlkampf zu machen, wenn sie das alles mitmachten. | |
Jetzt gehe es für die Grüne Jugend darum, junge Menschen zu mobilisieren | |
und für ihre Interessen auf die Straße zu bringen, um die Bundesregierung | |
von links unter Druck zu setzen. „Wir müssen die jungen Menschen aus ihrem | |
Krisengefühl abholen“, sagt Stolla. „Da ist viel Frust, aber auch Trotz.“ | |
Worauf sich die beiden nicht einlassen: rote Linien für die Grünen zu | |
formulieren oder einen Bruch der Koalition zu fordern. Sie wollen zwar neu | |
an die Spitze, gänzlich politisch unerfahren sind sie nicht. | |
19 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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