# taz.de -- Kundenkontakt in der Apotheke: Heilsame Worte | |
> Die Frau redete auf die Apothekerin ein, um ihren Frust los zu werden. | |
> Die Apothekerin blieb ruhig und bestimmt. Es war ein erster Schritt zur | |
> Heilung. | |
Bild: Mitunter hilfreich und nur vor Ort erhältlich: ein Gespräch mit einer A… | |
Draußen nieselt es, drinnen in der Apotheke staut sich die Warteschlange | |
vor dem Tresen. Eine ältere Frau mit langem, dünnem Flechtzopf und kleinem | |
Hund verzögert den getakteten Fluss von fragenden, zahlenden und wieder | |
gehenden Menschen. Die Frau redet mit der Apothekerin lange über ein | |
Medikament, das nicht mehr hergestellt wird. Die Apothekerin zeigt ihr ein | |
anderes Medikament. | |
„Hoffentlich wird es damit besser“, sagt die Frau mit dem Flechtzopf. Ihr | |
Sprechen über sich wirkt so, als wollte sie damit weitere Fragen bei der | |
Apothekerin über sich intendieren. Was denn besser werden solle. Was denn | |
jetzt schlecht sei. Dann möchte die Frau noch etwas aufgeschrieben | |
bekommen. Sie erscheint wie ein Mensch, der selbstverständlich viel Zeit | |
für sich beansprucht. Die Schlange hinter sich scheint sie nicht | |
wahrzunehmen. | |
„Mich kriegt man nicht klein“, sagt die Frau. Sie verwendet eine Sprache | |
des Kampfes. Die sich gegen einen unbestimmten Gegner richtet. Ein Leben, | |
das auf Verteidigung gebaut zu sein scheint. Die Apothekerin bleibt | |
freundlich, doch hinter ihrem Lächeln wird etwas starr. | |
„Das gibt es ja nicht mehr“, benennt die Kundin immer wieder das eine | |
Medikament, das sie nicht mehr bekommt. Als könnte sie den Verlust darüber | |
noch nicht loslassen. Es ist ja auch hart. Ein Medikament zu finden, was | |
einem hilft, und es dann plötzlich zu verlieren. | |
Doch in der Schlange, in der jeder einzelne Mensch eine Geschichte hat, | |
breitet sich Unruhe aus. Auch bei mir nehme ich in letzter Zeit eine | |
Ungeduld wahr, Menschen wie der Frau zuzuhören, die lamentieren, auf | |
Negativem herumreiten, sich für zu kurz gekommen halten und das von etwas | |
Unbestimmtem herleiten, was ihnen, den Opfern, unrecht tut. Ich spüre den | |
Impuls abzuschalten bei Menschen, die sich selbst als Nabel der Welt | |
betrachten. Dabei ist es die Welt drumherum, die gerade Beachtung braucht, | |
die aus den Fugen hängt. | |
Auch im gesellschaftlichen Umfeld bemerke ich eine Stimmung, dass es viel | |
ist. Der [1][Krieg in der Ukraine], der [2][Krieg im Nahen Osten]. Die | |
Zusammenhänge, die unverständlich werden. Dass es keine Atempausen zwischen | |
den Krisen gibt. Es ist anstrengend, das alles zu verarbeiten. Die eigene | |
Position zu finden. Anderen Positionen zuzuhören, sie auszuhalten, auch | |
wenn man anderer Meinung ist. Die Widerstandskraft schwindet, sich abstruse | |
Vorwürfe anzuhören. | |
Die Frau redet weiter über ihr Medikament, das es nicht mehr gibt. „Das | |
haben wir der Regierung zu verdanken“, sagt sie. „Nein, das ist nicht so“, | |
sagt die Apothekerin ruhig, aber bestimmt. | |
„Das hat sich über Jahrzehnte entwickelt. Das hat nichts mit der Regierung | |
zu tun. Es ist so, dass man sehr vieles nur noch über das Ausland bekommt. | |
In Deutschland wird nur noch sehr wenig hergestellt.“ | |
Die Frau mit dem Flechtzopf stutzt etwas. „Ja, das ist schlimm. Hoffen wir, | |
dass es anders wird“, sagt sie. Ich blicke auf die Apothekerin, die sich | |
trotz allem die Zeit nimmt, auf die Vorwürfe einzugehen. Die die Energie | |
aufbringt, die Sätze aufzunehmen, sich involvieren zu lassen. Ich denke | |
daran, dass Apothekerin ein Heilberuf ist. Dass es vielleicht auch darum | |
geht, beim Herausgeben von Medikamenten mit Sätzen zu helfen. Es heißt, | |
dass es ein [3][Apothekensterben] gibt. Dass viele Apotheken schließen und | |
nicht genügend [4][Nachfolge] gefunden wird. Darüber lamentiert die | |
Apothekerin nicht. | |
„Ich wurschtel mich durch“, sagt die Frau mit dem Zopf: „Ich wurschtel mi… | |
durch.“ Sie nimmt ihren Hund, sie verabschiedet sich, auf einmal unbestimmt | |
heiter gestimmt. | |
„Gut, dass sie etwas gesagt haben“, sage ich später zu der Apothekerin. | |
„Vielleicht entstehen auf diese Weise keine Verschwörungstheorien.“ Die | |
Apothekerin blickt mich kurz an, als wäre sie verdutzt, dass sie von | |
anderen gehört wurde auf ihrer Bühne des Alltags. Sie lächelt, als wäre es | |
gar nichts Besonderes, dem Unfrieden aus der Schlange wirklich zuzuhören. | |
13 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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