# taz.de -- Ausstellung von Nadja Abt in Dortmund: Das Drehbuch subversiv umsch… | |
> Nadja Abt nutzt in ihrer Ausstellung „Obession“ in Dortmund Autofiktion | |
> als Strategie. Damit hinterfragt sie Klischees von Kunst und Karriere. | |
Bild: Nadja Abt, „Morning Writings, Midday Paintings“, 2023, 83 Collage, im… | |
„If you can make it there, you’ll make it anywhere“ sang Frank Sinatra | |
einmal über New York. Als die in Berlin lebende Künstlerin Nadja Abt im | |
Frühjahr dieses Jahres für ein dreimonatiges Stipendium dorthin aufbrach, | |
hatte sie wohl das große Los gezogen: Ein eigenes Studio, Geld für | |
Lebensunterhalt oder Reisen und dazu diese unschlagbare Metropole, die noch | |
immer allen weltweit deklarierten Kunst-Hotspots zum Trotz den | |
unangefochtenen Mittelpunkt der internationalen Kunstwelt ausmacht. | |
Genug Zeit, Geld und Input also, um die eigene Karriere weiter in Schwung | |
zu bringen, an dieser großen Erzählung teilzuhaben vom erfolgreichen | |
Künstlerleben in New York, wie sie so viel in den Hollywood-Drehbüchern | |
beschrieben wurde. Das schien nun irgendwie greifbar. | |
Jetzt, im Herbst nach der Rückkehr, blickt die Künstlerin in der | |
Ausstellung „Obsessions“ im Dortmunder Kunstverein zurück und rückt dabei | |
die Erwartungen und Projektionen dieses Lebenstraums – genau wie die | |
zugrundeliegenden typischen Künstlerklischees – in den Vordergrund. Was | |
bedeutet es wirklich, zwischen unzähligen Vernissagen, Talks und Abendessen | |
seinen Platz als junge Künstlerin zu finden? Hatte Sinatra recht? | |
Die kleinformatigen Blätter „Morgens Schreiben, Mittags Malen“, die Abt mit | |
Wasserfarben bemalte und mit Schreibmaschinen-Typo betippte, liefern einen | |
Eindruck. Denn das aktuell präsentierte Ergebnis ihrer Routine, die | |
Erlebnisse an jedem ihrer 83 Tage [1][in New York tagebuchähnlich | |
niederzuschreiben] und dabei teilweise fiktiv zu verändern, führt neben dem | |
Glamour und der Internationalität der Kunstwelt besonders die Struggles um | |
Sichtbarkeit, Zugehörigkeit und Anerkennung unmissverständlich vor Augen: | |
Atelierbesuche wichtiger Kurator:innen bleiben aus, Bewerbungen sind | |
erfolglos. | |
## Erwartungen an Authentizität unterlaufen | |
Doch anders als in der verbreiteten Erzählung des verkannten Genies, das | |
erst Ablehnung und Erfolgslosigkeit glaubwürdig erscheinen lassen, | |
verfallen Abts Offenlegungen nicht in den beweihräuchernden Ton | |
(männlicher) Künstlermythen. Vielmehr knüpft ihre Strategie, die eigene | |
Geschichte auch samt aller Verunsicherungen aus der Ich-Perspektive auf- | |
und umzuschreiben, an eine Tradition [2][feministischer Autofiktion] an. | |
Diese subversive Version der Autobiografie, einem einst den Reichen und | |
Schönen vorbehaltenen Genre, ermöglichte auch Schriftstellerinnen eine | |
eigene Identität auszudrücken und zu formen – und unterlief dabei sämtliche | |
Erwartungen an Authentizität und Repräsentation. | |
Auch Nadja Abt konstruiert sich ein Bild ihres Lebens als Künstlerin. | |
Sowohl als Autorin, die eine Initiation in die New Yorker Kunstszene | |
beschreibt, wie auch als Malerin, die die Stimmungen visuell umsetzt, | |
stellt sie ihre ambivalente Faszination für das Lebensmodell aus. Den | |
Wunsch, trotzt Konkurrenz und Geldsorgen, Teil einer exklusiven Szene zu | |
werden, stilisiert sie dabei als unausgesprochenen Treiber der | |
Kreativwirtschaft – auch außerhalb der Kunstwelt. | |
So setzt Abt auch den verführerischen Verheißungen der Filmbranche von Los | |
Angeles ein Denkmal. Als Kontrapunkt zu den intimen Schriftstücken | |
installiert sie eine Variation des berühmten Hollywood-Signs in der | |
Ausstellung – doch aus der Welthauptstadt des Kinos ist nun das Wort | |
Obsession geworden. | |
Bereits die Vorbereitungen zur Ausstellung im Dortmunder Kunstverein lassen | |
sich als schöner Dopplungseffekt im New-York-Tagebuch nachvollziehen. Und | |
dann schlägt Abt zusätzlich den Bogen zur Ruhrgebietsstadt, wenn sie | |
[3][auf Gouachen] die typischen Leuchtschriftreklamen von Tankstellen und | |
Einzelhändlern ihrer Straßen zeigt. Die sind 2022 entstanden, als sich Abt | |
bei einer Künstlerresidenz in Bochum aufhielt. New York, Bochum – die | |
Städte, sie müssen keine Gegensätze sein. Nur tauchen sie nicht | |
gleichermaßen in den Drehbüchern auf, in deren Geschichten man sich | |
verortet. | |
1 Nov 2023 | |
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[1] /Vivian-Gornick-Eine-Frau-in-New-York/!5705564 | |
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## AUTOREN | |
Robert Schlücker | |
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