# taz.de -- Minderjährige Geflüchtete in Bremen: Zwischengeparkt in der Turnh… | |
> Aktivist*innen und Jugendliche klagen über menschenunwürdige | |
> Bedingungen in einer Unterkunft. Sozialsenatorin Schilling weist die | |
> Vorwürfe zurück. | |
Bild: Bevölkerungsschutz, etwa bei Hochwasser, können die Johanniter. Geflüc… | |
BREMEN taz | Keine Privatsphäre, Bettwanzen, Schimmel im Bad – unter diesen | |
Umständen sollen derzeit rund 35 minderjährige Geflüchtete in einer | |
Turnhalle nahe des Bremer Flughafens leben. Das Bündnis Together we are | |
Bremen hat sich mit dem Slogan „Shut down Turnhalle!“ bereits im Sommer an | |
die Öffentlichkeit gewandt. | |
Der Vorwurf: Seit Anfang des Jahres bringe die Sozialbehörde dort Menschen | |
unter, „obwohl es freie Plätze in der regulären Erstaufnahmeeinrichtung | |
gibt“. Das Kindeswohl sei nicht gewährleistet, die psychische und | |
körperliche Gesundheit der Bewohner*innen gefährdet. [1][Die | |
Johanniter] betreiben die Unterkunft. | |
Die Bedingungen für die jungen Menschen, wie sie das Bündnis beschreibt: | |
Die Halle sei durch dünne Aufstellwände in rund sechs Quadratmeter große | |
Bereiche unterteilt, mit je zwei Doppelstockbetten für vier Menschen. Ruhe | |
gebe es keine. Die Spinde seien zu klein, die Betten teilweise von | |
Parasiten befallen, die in der Nacht stechen. Und die Duschen seien von | |
Schimmel befallen, „der förmlich aus den Fugen quillt, den Boden und die | |
Decke bedeckt“. | |
Dazu komme noch der Druck durch „permanente Überwachung und Kontrolle, die | |
von Securitys und Mitarbeiter*innen der Johanniter ausgeübt wird, auch | |
mit Drohungen und Zwang“. Sozialpädagogische Betreuung gebe es keine, | |
[2][Taschengeld werde unrechtmäßig gekürzt]. Bei den Widersprüchen gegen | |
diese Taschengeld-Kürzungen unterstütze man die Jugendlichen, sagt Gundula | |
Oerter vom Flüchtlingsrat Bremen der taz. | |
## Ein Video aus der Unterkunft zeigt die Bedingungen | |
[3][Ein Video], das am 7. Oktober auf der Webseite von Together we are | |
Bremen veröffentlicht wurde und aus dem Inneren der Halle stammen soll, | |
zeigt die Enge in den Kabinen, die fehlenden Zimmerdecken, die dünnen Wände | |
und eine Sofaecke, umgeben von lose ausgelegten Teppichfliesen. Aufnahmen | |
aus den Sanitäranlagen zeigen einen Anblick, den wohl die meisten | |
Breitensportler*innen aus sanierungsbedürftigen Turnhallen kennen – | |
wenn sie dort einen Abend in der Woche sind und sich aussuchen können, ob | |
sie diese Duschen oder die daheim nutzen. | |
Am 16. Oktober veröffentlichte das Bündnis einen [4][offenen Brief an | |
Sozial-, Jugend- und Integrationssenatorin Claudia Schilling] (SPD). Die | |
Unterzeichner*innen rufen Schilling dazu auf, die Turnhalle zu schließen | |
und einen sicheren Ort für die Jugendlichen zu schaffen. | |
Die Umstände konterkarierten den Passus im neuen [5][Koalitionsvertrag | |
zwischen SPD, Grünen und Der Linke]n: „Unsere Migrationspolitik und unser | |
Umgang mit Geflüchteten sind an humanitären Maßstäben ausgerichtet.“ Im | |
Brief ist neben den genannten Punkten auch von einer „miserablen | |
Lebensmittelversorgung“ die Rede. | |
Das Bündnis wendet sich auch an die Betreiber der Halle: „Die Johanniter | |
bauen den Jugendschutz weiter ab, fördern Gewalt gegen Minderjährige und | |
schlagen Profit aus den Lagern.“ | |
Senatorin Schilling weist die Vorwürfe gegen ihre Behörde und die | |
Johanniter zurück. „Wir haben keinerlei Hinweise auf hygienische Mängel | |
oder sonstige Probleme in der Turnhalle“, schreibt sie der taz. „Ich selbst | |
war erst vor kurzer Zeit vor Ort und habe gesehen, dass die jungen Menschen | |
dort gut versorgt werden.“ Eine Begehung der Einrichtung am 18. Oktober | |
durch das Gesundheitsamt habe zudem keine Beanstandungen ergeben, schreibt | |
Schillings Sprecherin Nina Willborn. | |
Die Sozialbehörde bestätigt, dass in der Halle derzeit 34 junge Männer | |
untergebracht sind; die Kapazität reiche sogar für 40. Die Zahl schwanke | |
jedoch täglich durch Zu- und Abgänge. Die Menschen dort befänden sich in | |
der sogenannten vorläufigen Inobhutnahme. „Da das Land Bremen seine | |
Aufnahmeverpflichtung übererfüllt hat, werden die jungen Menschen binnen | |
weniger Tage nach Vorliegen eines Zuweisungsbescheides anderen Kommunen | |
übergeben“, schreibt Willborn weiter. In der Regel blieben die Jugendlichen | |
zwischen zwei und drei Wochen dort. Es gehe lediglich um jene, bei denen | |
klar ist, dass sie nicht in Bremen bleiben. | |
## Bündnis kritisiert das gesamte System der Inobhutnahme | |
Together we are Bremen kritisiert das gesamte System der vorläufigen | |
Inobhutnahme. Das Bündnis nennt diese Praxis „Jugendhilfe zweiter Klasse“ | |
und fordert von Schilling ein Ende der Umverteilung von Kindern und | |
Jugendlichen unter Zwang. | |
Im Juli gab es den ersten Protest direkt vor der Turnhalle. 150 Menschen | |
sollen dabei gewesen sein. „Minderjährige Geflüchtete werden hier vor der | |
Öffentlichkeit versteckt, damit sie zwangsumverteilt werden können“, sagt | |
ein Aktivist in einem Video von der Aktion. | |
Jetzt gab es erneut Protest: Am Dienstagabend trafen sich rund 70 Menschen | |
vor dem Begegnungszentrum der Johanniter in der Bremer Neustadt. „Die | |
schutzsuchenden Jugendlichen haben traumatische Fluchterfahrungen hinter | |
sich. Sie benötigen Sicherheit, Zur-Ruhe-Kommen und Geborgenheit“, heißt es | |
in der Mitteilung zum Protest. | |
Das bereits veröffentlichte Video wurde in Dauerschleife gezeigt – der | |
Veranstaltungs- und Kunstraum Schwankhalle, der sich direkt gegenüber der | |
Begegnungsstätte befindet, stellte den Aktivist*innen ihre Technik zur | |
Verfügung und erlaubte das Aufhängen ihrer Banner. | |
Eine Aktivistin berichtete, dass man bei Besuchen in der Turnhalle vom | |
Gelände gejagt werde, nicht mit den Jugendlichen reden dürfe. Sie sprach | |
von den Johannitern als eine Organisation, die „zugewandt“ scheine, ein | |
„positives Gefühl des Helfens“ vermittle. „Wir stören heute dieses Imag… | |
Auch Oerter machte in ihrem Redebeitrag den Trägern der Sozialen Arbeit | |
Vorwürfe. Bei der Unterbringung handele es sich um „behördlich angeordneten | |
und von Sozialarbeitenden ausgeführten Rassismus“. | |
24 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Rassismus-beim-Rettungsdienst/!5879278 | |
[2] /Sanktionen-fuer-minderjaehrige-Gefluechtete/!5966087 | |
[3] https://togetherwearebremen.org/first-video-from-inside-the-turnhalle/ | |
[4] https://togetherwearebremen.org/offener-brief-an-die-senatorin-fur-soziales… | |
[5] https://spd-land-bremen.de/Binaries/Binary8460/Koalitionsvertrag-2023-final… | |
## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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