| # taz.de -- Urteil gegen Bremer Standesämter: Gleiches Recht für Schwarze Kin… | |
| > Schwarze Mütter gewinnen vor dem Oberlandesgericht Bremen. Seit Jahren | |
| > kämpften sie für Geburtsurkunden für ihre Kinder. | |
| Bild: Schon vor zwei Jahren demonstrierten Mütter für Geburtsurkunden vor dem… | |
| Bremen taz | [1][Seit mehr als drei Jahren] kämpfen in Bremen Schwarze | |
| Mütter mit nicht-deutschem Pass um korrekte Geburtsurkunden für ihre | |
| Kinder. Ohne vollständige Geburtsurkunde können sie das Kind nicht | |
| krankenversichern und bekommen weder Kindergeld noch Kitaplätze. | |
| Diesen Zustand hat das Bremer Oberlandesgericht (OLG) mit einem Urteil vom | |
| 24. März für unrecht erklärt: Um die Identität der Eltern festzustellen, | |
| reiche es aus, wenn diese einen Pass vorlegen könnten. Das gelte auch für | |
| „Pässe aus Staaten mit einem unsicheren Urkundenwesen“. Die Standesämter | |
| haben zugesagt, den Beschluss sofort umzusetzen. | |
| Die bisherige Praxis der Standesämter kritisiert Holger Dieckmann vom | |
| [2][Bremer Flüchtlingsrat] scharf. Er spricht von „schikanösen | |
| Überprüfungen und pauschalen Unterstellungen“. Die Standesämter gingen | |
| einfach davon aus, dass die Frauen falsche Pässe und Urkunden vorlegten. | |
| Ohne konkreten Anhaltspunkt forderten die Standesämter die Frauen auf, ihre | |
| Identität und insbesondere ihren Familienstand in ihren Herkunftsstaaten | |
| beglaubigen zu lassen – auf eigene Kosten, für bis zu 650 Euro pro Urkunde. | |
| Die Standesämter unterstellten den Müttern zudem, in ihren Heimatländern | |
| verheiratet zu sein. Nach deutschem Gesetz ist derjenige der Vater, der zum | |
| Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet war. Ist sie ledig, | |
| erklären die Eltern gemeinsam in einem relativ einfach Prozess, wer der | |
| Vater ist. Doch diese Vaterschaftsanerkennungen zweifelte das Standesamt | |
| ohne konkreten Anlass an. | |
| ## Auch nicht-deutsche Pässe reichen aus | |
| Solange die Väter, die einen deutschen Pass oder eine | |
| Niederlassungserlaubnis haben, nicht in die Geburtsurkunden eingetragen | |
| werden, kann aber die deutsche Staatsbürgerschaft des Kindes nicht | |
| festgestellt werden. Aus dieser würde sich ein Aufenthaltstitel für die | |
| Mütter ergeben. | |
| „Das Standesamt verlangt von den Frauen das Unmögliche, nämlich zu | |
| beweisen, dass sie nicht verheiratet sind,“ kritisiert die Anwältin Swantje | |
| Meyer-Mews. „Doch den Beweis einer Negativtatsache kann man nicht | |
| erbringen“, sagt sie. Selbst wenn die Frauen sogenannte | |
| Ledigkeitsbescheinigungen einholten, erkenne das Standesamt diese nicht an. | |
| Teilweise hätten die Mütter mehrere Kinder, von denen keines eine korrekte | |
| Geburtsurkunde hat. Die Bremer Praxis habe sich unter den Frauen | |
| herumgesprochen. „Von einer Mutter weiß ich, dass sie zur Geburt ihres | |
| zweiten Kindes nach Niedersachsen gefahren ist, um dieser Schikane zu | |
| entgehen,“ sagt die Anwältin. | |
| Meyer-Mews vertritt seit zweieinhalb Jahren insgesamt 90 Frauen, | |
| hauptsächlich mit ghanaischem und nigerianischem Pass, im Rechtsstreit | |
| gegen die Behörden. Die Frauen haben sich im Bündnis [3][„Together We Are | |
| Bremen“] organisiert. Laut Flüchtlingsrat handelt es sich mindestens um 100 | |
| Frauen. In regelmäßigen Abständen protestierten bis zu fünfzig Menschen vor | |
| dem Standesamt und dem Amtssitz des Innensenators Ulrich Mäurer (SPD). | |
| Dieser hatte sich auch von einem Urteil des Amtsgericht im September nicht | |
| beirren lassen, demzufolge auch die Pässe von nicht-deutschen Eltern beim | |
| Ausstellen von Geburtsurkunden anzuerkennen seien. Der Senator legte | |
| zusammen mit dem Standesamt Beschwerde ein. Ihr Argument, das jetzt | |
| zurückgewiesen wurde: Das Beurkundungswesen im Herkunftsland der Eltern sei | |
| unzureichend. | |
| Der Beschluss des Oberlandesgerichts hat nun bekräftigt: Die | |
| Identitätsprüfung der Eltern mit einem Pass oder einem anderen | |
| Ausweisdokument reicht aus. Ohne begründeten Verdacht sei die umfassende | |
| Identitätsprüfung rechtswidrig. | |
| Auf taz-Anfrage begrüßte eine Sprecherin des Innensenators die Niederlage | |
| vor dem Oberlandesgericht. Der Beschluss „sorge für mehr Klarheit im | |
| Handeln“. Dass es um Klarheit gegangen sei, bezweifelt die Anwältin | |
| Meyer-Mews. „Wenn sie unsicher in Bezug auf die Rechtslage waren, hätten | |
| sie eine Zweifelsvorlage vor Gericht einreichen können“, sagt sie. | |
| Stattdessen habe die Behörde die zweite Instanz angerufen. Immerhin habe | |
| sich nach dem erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts im September die | |
| Situation in einer Hinsicht verbessert: Es gebe deutlich weniger Fälle, bei | |
| denen die Väter in den Geburtsurkunden fehlen. | |
| Mustafa Öztürk, innenpolitischer Sprecher der Grünenfraktion, begrüßt die | |
| Entscheidung des Oberlandesgerichtes. Er hofft, dass Kinder afrikanischer | |
| Mütter nun schneller eine ordentliche Geburtsurkunde bekommen. Es etwas | |
| deutlicher wird Sofia Leonidakis von der Linksfraktion. Sie bedauert, „dass | |
| dies auf dem politischen Wege nicht möglich war“. Die Linke gehe davon aus, | |
| dass die Rechtsprechung jetzt Einzug in die Verwaltungspraxis findet. | |
| Der Flüchtlingsrat vergleicht das Vorgehen des Standesamtes mit | |
| [4][verdachtsunabhängigen Personenkontrollen von Schwarzen Menschen] auf | |
| der Straße: „Mir sind Fälle bekannt, bei denen die Frauen schon | |
| aufgefordert wurden, die Echtheit ihrer Urkunden überprüfen zu lassen, | |
| bevor diese dem Standesamt überhaupt vorlagen,“ sagt Holger Dieckmann. „So | |
| ein Generalverdacht gegen Menschen mit nichtdeutschem Pass ist Racial | |
| Profiling – [5][und das ist ihnen nicht bewusst].“ | |
| ## Behörde muss alte Akten prüfen | |
| Die Standesämter versichern indessen, dass es um „Zweifel an Urkunden und | |
| nicht an Personen bestimmter Hautfarben“ gehe. Auf die Frage nach den | |
| Verdachtsmomenten, auf deren Grundlage die Standesämter den Frauen die | |
| Urkunden bisher verweigerten, gibt die Pressestelle des Innensenators keine | |
| Auskunft und verweist dabei auf den Datenschutz. | |
| Die bereits ausgestellten Urkunden darf das Standesamt nicht einfach | |
| korrigieren, denn jede Änderung solcher Dokumente muss einzeln gerichtlich | |
| beschlossen werden. Da nun klar ist, dass die bisherige behördliche Praxis | |
| nicht rechtens war, müsste das Standesamt oder dessen Aufsicht | |
| selbstständig und systematisch die alten Akten überprüfen. Die Frage, ob | |
| das geschieht, hat die Behörde binnen einer Woche nicht beantwortet. | |
| Auch die betroffenen Mütter können die Änderungen beantragen. „Das geht | |
| zwar auch ohne anwaltliche Hilfe, ist aber nicht gerade niedrigschwellig,“ | |
| stellt die Anwältin Meyer-Mews fest. „Ich vermute, es sind noch Hunderte | |
| Fälle in der Schwebe.“ | |
| 11 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!5745177/ | |
| [2] https://www.fluechtlingsrat-bremen.de/ | |
| [3] https://togetherwearebremen.org/ | |
| [4] /Neues-Gesetz-fuer-die-Bundespolizei/!5930541 | |
| [5] /Fachtag-der-Bremer-Sozialbehoerde/!5922094 | |
| ## AUTOREN | |
| Clara Henning | |
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