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# taz.de -- Abgesagtes Theaterstück: Kulturkampf in Zwickau
> Ein Theaterstück zu Sexualität und Queerness wurde nach rechter Hetze
> kurzfristig abgesagt. Lag es an den Kosten oder doch am politischen
> Druck?
Bild: Aufklärung, wie es sie in der Schule nur selten gibt: Das Theaterstück …
„In der Schule habe ich etwas über Konsens gelernt, über diverse
Genitalien, über Lust, über queeren Sex.“ So beginnt das Stück „LECKEN�…
freien Performancekollektivs „CHICKS*“. Die Performance soll Jugendliche ab
14 [1][aufklären und sexuell weiterbilden]. Dafür sitzen zwei
Performer*innen mit dem Publikum in einem Stuhlkreis. Zuschauende
halten grüne und rote Lichter in den Händen und beantworten damit die
Fragen rund um Körper und Sexualität.
Zwischendurch laufen Popsongs über Oralsex, Menschen erzählen in Videos von
ihren sexuellen Erfahrungen. Und konkret was zum Lernen gibt es auch: Die
Performer*innen demonstrieren, wie man ein Lecktuch verwendet und
führen es an ihren Armen oder am Hals aus.
Das Theaterstück wurde schon an vielen Orten aufgeführt, doch seit es
inmitten einer Welle [2][rechter Hetze] kurzfristig für ein Festival
abgesagt wurde, ist die Zukunft des Stücks fraglich. Eigentlich sollte es
auf dem Theaterfestival „Wildwechsel“ für ostdeutsche Theaterkunst im
September aufgeführt werden. Das Kollektiv war bereits im Frühjahr
offiziell vom Festival eingeladen worden, welches dieses Jahr vom Theater
Plauen-Zwickau ausgerichtet wird – dann zeichnete die Jugendjury die
Inszenierung mit einem Ehrenpreis zum Festivalabschluss aus, obwohl sie gar
nicht gezeigt wurde. Was war passiert?
Wenige Tage vor dem Festivalbeginn wurde dem Kollektiv abgesagt. Die
Begründung des Theaters: Das Stück sei extrem kostenintensiv, es verursache
einen Kostenunterschied von über fünfstelligen Beträgen im Vergleich zu
anderen Produktionen und die Fördermittel seien vom Bund kurzfristig
gestrichen worden. Auch andere Stücke wurden gestrichen, das Programm
reduziert. Doch unklar ist, ob „LECKEN“ wirklich nur aus Kostengründen
ausgeladen wurde, schließlich hatten rechte Kräfte schon länger gegen das
Stück Stimmung gemacht.
## Kontrovers diskutiert und ausverkauft
Von Beginn an wurde das Stück vor Ort kontrovers diskutiert, doch die
Tickets für die drei geplanten Aufführungen waren schnell vergriffen.
Nachdem aber das Festival sein Programm veröffentlicht hatte, tauchten
immer mehr Hasskommentare auf der Facebook-Seite des Theaters und des
Kollektivs auf. Rechtsextreme Gruppen wie die „Freien Sachsen“ und [3][Der
Dritte Weg] riefen öffentlich dazu auf, Zuschauer*innen zu bedrängen und
die Veranstaltung zu stören. Dabei wurden beispielsweise [4][Begriffe wie
„Frühsexualisierung“], „Regenbogenkult“ und „Schmutzdarbietungen“
verwendet.
Ein Zwickauer Stadtrat, zugleich Mitglied der rechtsextremen Freien
Sachsen, stellte in einer Anfrage vom 23. 8. 23, die der taz vorliegt, der
Oberbürgermeisterin Constance Arndt Fragen zur „Verwaltung von
Steuergeldern und zum Jugendschutz“ im Zusammenhang mit dem Auftritt des
queerfeministischen Kollektivs. Die Antwort der Oberbürgermeisterin, die
der taz ebenfalls vorliegt, bezieht sich auf das pluralistische
Kunstverständnis und den Schutzbereich der Kunstfreiheit laut Gesetzgebung,
ohne ins Detail zu gehen. Auf Anfrage der taz betonte die Pressestelle der
Stadt, sämtliche – auch verbale – Aggressionen würde sie entschieden
verurteilen.
## Wegen rechter Hetze ausgeladen?
Hat rechte Hetze zur Ausladung der queerfeministischen Gruppe geführt? Das
Theater Plauen-Zwickau, das das Festival in diesem Jahr veranstaltet hat,
verneint auf Anfrage.
„Das Theater hat sich erst im Frühjahr erfolgreich gegen ein Genderverbot
durch den Zwickauer Stadtrat gewehrt, ist aktiv im Kampf gegen Rechts und
wird sich zukünftig mit einem großen Projekt den Themen Queerness,
Diversität, Empowerment und Antirassismus widmen.“ Rechtsradikale feiern
die Streichung der Inszenierung trotzdem als ihren Erfolg. In der
Telegram-Gruppe der „Freien Sachsen“, die über 150.000 Mitglieder hat,
häufen sich Kommentare wie „Alles zum Schutz unserer Kinder.“ „Wir haben
die Inszenierung von „LECKEN“ in jeder Form von Kommunikation verteidigt
und ihre Wichtigkeit betont“, verteidigt sich indes das Theater
Plauen-Zwickau.
## Selbst unterfinanziert
Man sei selbst von Unterfinanzierung bedroht und bemühe sich seit Jahren,
freie Theatergruppen zu unterstützen. Der Ostbeauftragte Carsten Schneider,
aus dessen Topf die Förderungen kommen, sagt auf Anfrage der taz, dass es
keine inhaltlichen Gründe für die Kürzungen gebe, sondern dass die
notwendigen Mittel „nicht rechtzeitig vor Projektbeginn sichergestellt
werden“ konnten.
Karola Marsch, Mitglied des künstlerischen Leitungsteams der diesjährigen
Festivalausgabe, bedauert die Absage und plädiert dafür, „Strukturen zu
schaffen, die eine langfristige und wiederkehrende Förderung sichern“, um
zukünftig ähnliche Situationen zu verhindern.
## „Nicht ausreichend geschützt“
Für die Künstler*innen von CHICKS* spielt es letztlich keine Rolle, ob
die Streichung aus formalen oder inhaltlichen Gründen im Haus oder aus
Angst geschieht. „Das Ergebnis bleibt dasselbe“, so die Theaterschaffenden.
„Eine angegriffene Gruppe wird nicht ausreichend geschützt. Ein fatales
kulturpolitisches Zeichen.“ Bis heute sind sie in Verhandlungen mit dem
Theater Plauen-Zwickau wegen der Aufarbeitung und den Ausfallhonoraren.
Doch das eigentliche Problem liegt tiefer.
Es [5][finde eine „rechte Diskursverschiebung“ statt], sagen Anna
Eitzeroth, Geschäftsführerin der Internationalen Vereinigung des Theaters
für Kinder und Jugendliche ASSITEJ e. V. und Gabriela Mayungu,
Diversitätsreferentin des Kinder- und Jugendtheaterzentrums KJTZ.
„Geldgeber*innen sollten ihre Förderprogramme so gestalten, dass sie die
gesellschaftspolitische Dimension von geförderten Projekten und Programmen
berücksichtigen“, betonen sie.
CHICKS* ist ein Flinta-Kollektiv, das daran arbeitet, in der Schule
vernachlässigte Fragen zu Sexualität, Queerness und Geschlecht zu
beantworten. Und zwar nicht mit trockenen Schulbüchern, sondern mit
performativem Theater. Sie selbst sagen dazu: „Lecken ist die
Aufklärungsstunde unserer Träume.“
Doch die Absage ist ein Zeichen dafür, dass es um queere Kultur gerade in
Sachsen schlecht bestellt ist. Mit Blick auf die [6][große Zustimmung zur
AfD] dort könnte sich das Problem in Zukunft noch deutlich verschärfen.
19 Oct 2023
## LINKS
[1] https://blogs.taz.de/puzzlen/sexuelle-aufklaerung-was-braucht-es-dafuer/
[2] /Autoren-ueber-rechte-Hetze-im-Netz/!5718449
[3] /Neonazis-vom-Dritten-Weg/!5953734
[4] /Trans--und-Queerfeindlichkeit/!5858179
[5] /Diskurskultur-in-deutschen-Medien/!5749402
[6] /Wahlumfrage-in-Sachsen/!5957474
## AUTOREN
Zain Salam Assaad
## TAGS
Rechtsextremismus
Hetze
Sexualität
Queerfeminismus
Theater
Schwerpunkt LGBTQIA
Polio
Kolumne Unisex
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