Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mutmaßlich illegales Firmennetzwerk: Razzia bei der Geflügelmafia
> Staatsanwaltschaft und Hauptzollamt Osnabrück durchsuchten am Mittwoch
> ein Dutzend Firmen. Sie sollen ausländische Arbeitskräfte ausgebeutet
> haben.
Bild: Eine Branche, in der auch bei rechtschaffenen Betrieben schon hart maloch…
Osnabrück taz | Der Ruf der deutschen Landwirtschaft ist ruiniert, seit
Jahren schon. Skandal folgt auf Skandal. Immer wieder im Fokus der Kritik:
die Zustände in der Fleischproduktion, [1][zumal in der Geflügelhaltung].
Meist geht es dabei um Tierleid. Aber manchmal liegt der Fokus auch auf der
Behandlung von Menschen.
So etwa am Mittwoch, in den frühen Morgenstunden. Über 430 Zollbeamte
rückten mit 74 Durchsuchungsbeschlüssen aus, für Ermittlungsverfahren der
Staatsanwaltschaft und des Hauptzollamts Osnabrück. Ihr Ziel: ein Dutzend
Firmen der Geflügelbranche, spezialisiert auf das Fangen und Verladen
schlachtreifer Hähnchen.
So umfangreich war die Einsatzlage, dass eine „Besondere
Aufbauorganisation“ (BAO) dafür gegründet wurde, sagt Oberstaatsanwalt
Alexander Retemeyer der taz. Ihr Name sei „Kentucky“ gewesen, sagt der
Sprecher der Staatsanwaltschaft Osnabrück.
Nach den Razzien in der Region Osnabrück, im Emsland und in der Grafschaft
Bentheim, im Münsterland und in Ostwestfalen spricht das Hauptzollamt von
einem „mutmaßlichen illegalen Firmennetzwerk“. Den Firmen wird vorgeworfen,
so das Hauptzollamt in einer Erklärung, „Arbeitsentgelte vorenthalten und
veruntreut sowie ohne die erforderlichen Erlaubnisse Personal ent- oder
verliehen zu haben“.
## 18 Stunden pro Tag schuften, Fahrzeiten unvergütet
Es bestehe der Verdacht, „dass die Unternehmer ausländische Arbeitnehmer
ohne die erforderlichen Aufenthalts- beziehungsweise Arbeitsgenehmigungen
beschäftigt haben und sie nicht ordnungsgemäß zur Sozialversicherung
angemeldet wurden“. Das Fehlen der notwendigen Genehmigungen sei dabei
durch einen zum Schein abgeschlossenen Werkvertrag mit einer ausländischen
Firma vertuscht worden.
Das Hauptzollamt spricht von Arbeitszeiten von bis zu 18 Stunden pro Tag,
von unvergüteten Fahrzeiten von bis zu drei Stunden pro Weg, von durch die
Arbeitgeber gestellten Sammelunterkünften, die den hauptsächlich russischen
und rumänischen Beschäftigten „oft in einem unzumutbaren Zustand zu hohen
Preisen vermietet werden“.
Sebastian Zöppel, Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft
Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in der Region Osnabrück, kennt solche
prekären Arbeitsverhältnisse auch aus seinem Arbeitsfeld. Die NGG ist für
Arbeitsbereiche zuständig, [2][die auf den Tod der Tiere folgen.] „Wir
haben da mafiöse Strukturen“, sagt er der taz.
„Da werden Abhängigkeiten geschaffen, Menschen eingeschüchtert. Und das
Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit schafft oft keine Abhilfe, denn die
Kapos von vorher sind von den Betrieben teils übernommen worden, sind heute
als Vorgesetzte angestellt, und die Macht- und Unterdrückungsstrukturen
bestehen fort.“
## Gewerkschaft fordert flächendeckende Kontrollen
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamts Osnabrück mache einen
„sehr guten Job“, sagt Zöppel. „Aber sie ist leider viel zu schwach
besetzt, um flächendeckende Kontrollen zu gewährleisten.“ An den Gesetzen
hapere es nicht. „An der Umsetzung allerdings schon.“
Einzelfälle sind solche Arbeitsverhältnisse nicht. „Damit haben wir
tagtäglich zu tun“, sagt Zöppel. Vor Ort wird es dann mitunter auch für die
Gewerkschafter kritisch: „Zum Beispiel bei Tönnies, am Schlachthof
Badbergen. Wir waren da zum Flugblattverteilen. Da kam der Vorarbeiter raus
und hat uns bedroht. Er wollte wohl gegenüber den Beschäftigten seine Macht
demonstrieren.“
In Osnabrück beginnt jetzt die Zeit der Auswertung des sichergestellten
Beweismaterials, darunter Computer und Mobiltelefone. Bis Ergebnisse
vorliegen, kann es dauern: „Es ist nicht abschätzbar, wann das fertig ist“,
sagt Leon-Marvin Freitag, der Sprecher des Hauptzollamts Osnabrück, der
taz. Eine bloße Kontrolle sei der Einsatz nicht gewesen; Freitag spricht
von „strafprozessualen Maßnahmen“. Auch „Vermögensabschöpfer“ des Zo…
waren vor Ort, haben rund 380.000 Euro „zur Schadenswiedergutmachung der
geschädigten Sozialkassen“ gesichert.
Lukas Rittinghaus, Gewerkschaftssekretär der Industriegewerkschaft Bauen
Agrar Umwelt (IG Bau) Westfalen, bestätigt die NGG-Einschätzung: „Da findet
oft perfide Ausnutzung statt.“ Die IG Bau ist für alles zuständig, was dem
Tod des Tiers vorausgeht. Auch Rittinghaus ist oft draußen vor Ort, sucht
Kontakt zu den Beschäftigten. „Da werden wir dann häufig ziemlich rabiat
vom Hof gejagt“, sagt er.
## Menschen- und Tierleid hängen zusammen
Aktionen wie die BAO-Razzia des Hauptzollamts Osnabrück findet Rittinghaus
sinnvoll. Aber er sieht ein Problem: Der Zoll ist primär zur Wahrung von
Staatsinteressen vor Ort, etwa zur Klärung von Steuerfragen, weniger zur
Wahrung der Interessen der Beschäftigten. „Die müssen ihre Rechte gegenüber
dem Arbeitgeber individuell durchsetzen, durch Zivilklagen“, sagt
Rittinghaus. „Und diese Verfahren dauern oft lange, kosten Geld. Das
schreckt natürlich ab. Hinzu kommen Sprachprobleme und die Angst vor
Konsequenzen im Job.“
Wenn der Zoll vor Ort ist, sei das für die Arbeitgeber ein
Abschreckungsfaktor. Aber es gelte, so Rittinghaus, „Strukturen aufzubauen,
die verhindern, dass so etwas überhaupt passiert“. [3][Menschen- und
Tierleid] hängen für ihn zusammen. „Wenn man so unmenschlich mit seinen
Beschäftigten verfährt, habe ich starke Zweifel, dass es den Hähnchen, mit
denen sie umgehen, besser geht.“
13 Oct 2023
## LINKS
[1] /Gefluegelschlachthof-in-Niedersachsen/!5915826
[2] /Rueckgang-der-Fleischproduktion/!5949472
[3] /Mehr-Schutz-fuer-unrentable-Kueken/!5910142
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Arbeitssicherheit
Ausbeutung
Osnabrück
Geflügelwirtschaft
Arbeitsmigration
Geflügel
Fleischproduktion
Geflügelwirtschaft
Landwirtschaft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rückgang der Fleischproduktion: Es wird weniger geschlachtet
In Deutschland ist die Fleischproduktion weiter gesunken. Ein Grund: Immer
weniger Betriebe halten Schweine. Das liegt nicht nur an der Schweinepest.
Geflügelschlachthof in Niedersachsen: Tierquäler müssen Peanuts zahlen
Nach Tierquälerei auf einem Schlachthof wurden Strafbefehle gegen
Mitarbeiter verhängt. „Vier Pfoten“ hätte eine Gerichtsverhandlung
bevorzugt.
Mehr Schutz für unrentable Küken: Schredderstop ist auch keine Lösung
Die Rettung für nicht benötigte Lebewesen – oder ein weiterer deutscher
Alleingang? Seit einem Jahr dürfen männliche Haushuhn-Küken am Leben
bleiben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.