| # taz.de -- Neuer Luc-Besson-Film „Dogman“ im Kino: Eine glänzende Travest… | |
| > Mit Hilfe von Straßenhunden wird ein Außenseiter zum Robin Hood in Drag. | |
| > Luc Besson knüpft mit „Dogman“ an Erfolge in den Neunzigern an. | |
| Bild: Douglas (Caleb Landry Jones) und einer seiner Helfer | |
| Den sakrosankten Status eines auteur du cinéma français hat Luc Besson in | |
| seiner vier Dekaden umspannenden Karriere wahrscheinlich niemals recht | |
| erreicht. Dafür waren bereits seine Filme „Léon – Der Profi“ und „Das | |
| fünfte Element“, die dem französischen Filmemacher zum internationalen | |
| Durchbruch verhalfen, wahlweise zu action- oder Sci-Fi-lastig. Und damit | |
| Genres zugewandt, die gemeinhin als kunstfeindlich, allemal als | |
| anspruchsfremd gelten. | |
| Dass seine Schöpfungen jener Ära nichtsdestotrotz eine Aura des | |
| Außergewöhnlichen umgaben, dass bei Besson selbst dem Schrillen eine Seele | |
| innewohnte, lässt sich gleichsam nur schwerlich leugnen. Umso bedauerlicher | |
| wirkt vor diesem Hintergrund seine zunehmende Hinwendung zu flachem | |
| Effektkino, etwa mit [1][„Lucy“] und [2][„Valerian“] im vergangenen | |
| Jahrzehnt. Lange Zeit weit abseits dessen, was bei den großen A-Festivals | |
| auch nur die Ahnung einer Chance auf Erfolg gehabt hätte, war die | |
| [3][diesjährige Teilnahme seines neuen Films im Wettbewerb vom Venedig] | |
| eine entsprechend große Überraschung. | |
| Wider Erwarten ist „Dogman“ jetzt ein überaus sehenswertes Werk, zumindest | |
| ein wenig sogar Rückbesinnung auf sein Schaffen in den Neunzigern. Wenn | |
| auch weniger im Thema, obwohl abermals zwei ungleiche Außenseiter im | |
| Zentrum stehen, die im Kampf gegen Widrigkeiten den unwahrscheinlichen Weg | |
| zueinander finden: In einem Verhörraum sitzt Douglas Munrow (Caleb Landry | |
| Jones) der mitten in der Nacht herbeizitierten Psychiaterin Evelyn (Jojo T. | |
| Gibbs) gegenüber. Ihr vertrautes Gespräch wird zum narrativen Rahmen – | |
| bereits das erinnert an Thriller besagten Jahrzehnts. | |
| ## Édith Piafs Abendkleid | |
| Auffallend ist allerdings: Doug trägt dabei ein rotes Abendkleid, dazu | |
| passende Handschuhe. Das Gesicht ist aufwendig geschminkt, angelehnt an die | |
| große französische Chanson-Sängerin Édith Piaf. Schnell stellt sich das | |
| unangenehme Vermutung ein, Luc Besson könnte mit seinem Douglas einen | |
| zweiten „Norman Bates“ schaffen wollen, einen kaltblütigen Killer in | |
| Frauenkleidern nach Art der kanonisch gewordenen „Psycho“-Figur, oder | |
| „Buffalo Bill“ aus „Das Schweigen der Lämmer“, deren soziopathisches | |
| Auftreten ärgerlicherweise mit einer Abweichung von sexuellen oder | |
| Geschlechternormen verquickt wird. | |
| Dem ist aber nicht so, im Gegenteil: Douglas erweist sich als der | |
| unerwartete Sympathieträger dieses Films, als zwar tragischer, aber dennoch | |
| triumphierender Held. Es ist vor allem die Warmherzigkeit, mit der Luc | |
| Besson – sowohl verantwortlich für die Regie als auch das Drehbuch – die | |
| skurrile Geschichte einer Selbstbehauptung ausbreitet, die an den einstigen | |
| Flair seiner Filme erinnert. Ganz so, als wäre „Dogman“ ein Hybrid aus | |
| seinem früheren Stil und dem, womit sich der Filmemacher seither | |
| beschäftigte, ist das Abseitige allerdings – mehr noch als damals – in | |
| klassische Blockbuster-Klischees eingebettet. | |
| So wird in Rückblenden der hollywoodesk-überladene traumatische Hintergrund | |
| von Douglas erzählt. In einem typischen „White Trash“-Haushalt in New | |
| Jersey ist er aufgewachsen, zwischen einem Hundekämpfe ausrichtenden | |
| Säufervater (Clemens Schick) und einem religiös verblendeten Bruder | |
| (Alexander Settineri). Nach einer Auseinandersetzung über den harten | |
| Umgang mit den Tieren wird Douglas als Kind kurzerhand mit in den Zwinger | |
| gesperrt. Die Hunde, man ahnt es, werden nicht nur zu seinen einzigen | |
| Gefährten, sondern auch zu seiner großen Passion, bis in die Gegenwart. | |
| Unter ständiger Begleitung eines reichlich affektgeladenen Scores des | |
| Filmkomponisten Éric Serra, mit dem Besson seit Beginn seiner Karriere | |
| immer wieder zusammenarbeitete, taucht „Dogman“ in die prägenden, meist | |
| nicht weniger leidvollen Stationen in Douglas’ Leben ein. Von der | |
| gewaltvollen Auseinandersetzung mit dem Vater, seit der er von der Hüfte | |
| abwärts gelähmt ist, über die Jugend in einem Waisenhaus und die einzige | |
| Schwärmerei für eine Frau bis hin zu dem Moment, in dem er sich vollends | |
| für ein Leben unter Tieren allein entschied. | |
| ## Die Hunde sind seine Seelenverwandten | |
| Eine heruntergekommene High School hat er in Eigenregie zum | |
| schäbig-schicken Hort für Hunde aller Couleur umfunktioniert, und | |
| selbstredend sind sie alle ein ganz hervorragendes Team. Douglas gehorchen | |
| seine Hunde nicht nur, sie sind ihm quasi zu Seelenverwandten geworden. Man | |
| kocht und backt gemeinsam – macht aber auch gemeinsame Jagd auf Mafia-Bosse | |
| oder bricht in Villen ein. Die enorme Leistung der zahlreichen Filmhunde | |
| außer Acht gelassen, erweist sich Hauptdarsteller Caleb Landry Jones | |
| [4][(„Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“)] dabei als das große | |
| Ereignis von „Dogman“. | |
| Er verleiht einer durchaus schrägen Figur eine solche Anmut, dass niemals | |
| das einnehmend Erhabene an ihr abhandenkommt. Auch Douglas’ zweite | |
| Einkommensquelle, neben spektakulären Einbrüchen, die Auftritte auf kleiner | |
| Cabaret-Bühne als Marlene Dietrich, Marilyn Monroe oder eben Édith Piaf, | |
| stecken zwar voller Theatralik, wirken aber niemals so, als wollte man sich | |
| über diese Figur lustig machen. Die Rolle des Robin Hood in Drag füllt | |
| Landry Jones mit einer solchen Präsenz, dass man sich kaum eine andere | |
| Besetzung vorstellen kann. | |
| Dennoch bietet der Film, bei gehörigen Überspitzungen im Plot und einer | |
| nicht minder grellen Inszenierung, immer wieder Anlass zur Komik. Einmal | |
| dahingestellt, ob Luc Besson dieses Pathos absichtlich herbeiführt oder | |
| nicht: „Dogman“ ist als ungestümer Genremix überaus unterhaltsam. | |
| Wahrscheinlich umso mehr, wenn man den Film selbst als eine große Travestie | |
| genießen kann. Dass Douglas’ Beichte nicht folgenlos bleibt, ist klar. Aber | |
| wie sang schon Edith Piaf? „Non, je ne regrette rien!“ | |
| 11 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Arabella Wintermayr | |
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