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# taz.de -- Die Wahrheit: Glühender Gestaltenreichtum
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (179): Die aparten
> kleinen Kolibris gibt es in 319 Arten und nur von Alaska bis Feuerland.
Bild: Kolibris flattern in Kolumbien um eine Futterstelle mit Zuckerwasser
Das Bremer Überseemuseum bekam 1963 zwanzig Kolibris. Fortan pflückte ich
für sie täglich eine Handvoll Weidenröschen, die in den Trümmern auf meinem
Schulweg wuchsen und lila Blüten trugen. Sie halfen den Kolibris aber
nicht: Schon bald waren alle tot. Die Pfleger hatten sie nur mit
Zuckerwasser gefüttert. Kolibris brauchen daneben aber auch noch Spinnen
und kleine Insekten, vor allem Fruchtfliegen. Einige Kolibris wurden
ausgestopft und dienten der Forschung. Die Biologie war lange Zeit eine
„Wissenschaft toter Tiere“, wie der Naturforscher W.H. Hudson 1917 schrieb.
Der Pfarrer und Vogelkundler Otto Kleinschmidt veröffentlichte 1949 ein
Buch über Kolibris. Sie standen auch ihm nur ausgestopft zur Verfügung. Er
begann mit der erstaunten Frage eines Kindes beim Anblick eines
präparierten Kolibris: „Sind die glühend?“ – um sodann näher auf deren
„Farbenpracht“ und ihren „Gestaltenreichtum“ einzugehen.
So ist etwa beim Schwertschnabelkolibri die Schnabellänge so lang, dass sie
fast die Körperlänge erreicht. Bei den Schwarzschwanzsylphen ist der
Schwanz 18 Zentimeter lang, der von Bienenelfen dagegen lediglich 1,6
Zentimeter. Die Schmuckelfe ähnelt dem Schmetterling Sesia Titan derart,
dass ein Kolibri-Sammler einmal diesen statt jenen erschoss. Beim
Juan-Fernandez-Kolibri sind wiederum Weibchen und Männchen „so gänzlich
verschieden, dass man sie für verschiedene Arten hielt“.
Der englische Schriftsteller Jon Dunn erwähnt in seiner „Suche nach
Kolibris: ‚Glitzern im Grün‘“ (2022), dass er diese Vögel ebenfalls als
Jugendlicher in einem Museum sah. Ihn motivierten die in allen
Regenbogenfarben schillernden Tiere, später als Kolibri-Forscher durch
Amerika zu reisen. Nur dort gibt es sie – von Alaska bis Feuerland. Man
kennt 319 Kolibri-Arten. Die meisten bevölkern Süd- und Mittelamerika.
## Süßer Saft der Bäume
Dunn begann seine Kolibri-Reise in Alaska, wo Fuchskolibris leben. Ein
Weibchen, das beringt war, flog mit Beginn der Kälte 5.630 Kilometer bis
nach Florida. Wenn die Männchen, die als erste aus dem Süden zurückfliegen,
in Alaska ankommen, ist es noch so kalt, dass sie sich vom süßen Saft der
Bäume ernähren, die ein kleiner Specht, der Saftlecker, mit seinem Schnabel
in die Stämme gebohrt hat.
Sie werden aber auch von Kolibri-Liebhabern in Nord- und Südamerika
gefüttert, indem sie Futterspender aufhängen, etwa für Rubinkehlkolibris,
die Ende des Sommers 3.000 Kilometer von Kanada über den Golf von Mexiko
nach Mittelamerika fliegen. Da die kleinen, gerade einmal 3,5 Gramm
wiegenden Vögel mit dem Wind fliegen, ernähren sie sich über dem Golf von
Luftplankton, vorher fressen sie sich aber auch einen Fettvorrat an.
Dunn meint, die Nektar fressenden Insekten hätten in einer Ko-Evolution mit
den Blüten diese derart verändert, dass sie irgendwann auch für die
Kolibris interessant wurden. Einige Pflanzen entwickelten ihre Blüten dabei
kolibrifreundlicher, denn auch diese Vögel bestäuben sie bei ihrer
Nektarsuche. Sie landen dabei nicht wie die Insekten auf den Blüten,
sondern bleiben vor ihnen in der Luft im „Schwirrflug“ stehen und führen
ihren langen dünnen Schnabel und ihre noch längere Zunge in den Nektar der
Blüte, den sie nicht aufsaugen, sondern mit winzigen Taschen an ihrer
gespaltenen Zungenspitze sammeln, die sie schließlich im Schnabel leeren.
Kolibris sind schnell, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 114
Stundenkilometern. Sie bevorzugen laut Jon Dunn rote und orangene Blüten –
Schwärmerschmetterlinge dagegen, die wie alle Insekten UV-Licht sehen
können, weiße und gelbe. Ihre Flügel bewegen die Kolibris im Schwirrflug
vor- und rückwärts, so dass sie wie Libellen in der Luft stehen und
blitzschnell senkrecht nach oben und sogar rückwärts fliegen können, indem
sie die Flügelflächen zurückklappen. Der Amethystkolibri, der weniger als
zwei Gramm wiegt, macht 80 Flügelschläge in der Sekunde. Der bis zu 22
Zentimeter große Riesenkolibri bringt es „nur“ auf acht bis zehn Schläge …
der Sekunde.
Die metallisch glänzenden Federn der Kolibris gehen nicht auf spezielle
Farbpigmente wie Melanin zurück, sondern auf Lichteffekte, die von der
Feinstruktur des Gefieders hervorgerufen werden. Kolibris gelten als
furchtlos und neugierig. Auf Youtube-Clips sieht man, wie sie in der Hand
gehaltene Blüten anfliegen. Sie streiten sich häufig und verfolgen ihre
Gegner. Sogar Habichte greifen sie an. Obwohl ein Habicht hundertmal größer
ist, muss er dann auch mal klein beigeben.
Gegen die Menschen mit ihren Gewehren, Fallen und Netzen nützt ihnen ihr
Kampfesmut jedoch nichts. Als ihre Federn bei den Frauen in Mode kamen,
brachte das einige Kolibri-Arten an den Rand der Ausrottung, außerdem
wollte jedes Museum so viele wie möglich haben.
## Federn für Marienbilder
Die Zeit der Kolibri-Sammler, -Händler und -Federmacher, die mit
Kolibri-Federn reich wurden, ist definitiv vorbei. Aber es gibt im Handel
immer noch Marienbilder, Wandschmuck und Ähnliches aus Kolibri-Federn.
Wenigstens mehren sich in beiden Amerikas die Schutzzonen, in denen
Kolibris geschützt und gefüttert werden. Zudem hat ein allgemeiner
Sinneswandel zugunsten der lebenden Kolibris stattgefunden.
Auf Kuba beobachtete der Autor und Fotograf Dunn „Bienenelfen“, die
kleinste Kolibri-Art und die kleinsten Vögel überhaupt. „Sie werden fünf
bis sieben Zentimeter groß. Ich sah dort in der Schweinebucht einen
metallisch grün-blau glitzernden ‚Kubasmaragdkolibri‘, der etwa doppelt so
groß ist. Während er Hibiskusblüten anflog, ließ er sich von mir nicht
stören, obwohl ich ihm unverschämt nahe kam. Ich erfuhr, dass es
wahrscheinlich ein Weibchen war, das seine zwei Jungen über hundertmal am
Tag mit einem hochgewürgten Brei aus Insekten und Nektar füttert – und dass
es währenddessen alle Männchen verscheucht.“
Dunn bezeichnet die Kolibris immer wieder als aggressiv – bei den Azteken
wurden gefallene Krieger der Legende nach denn auch als Kolibris
wiedergeboren. In Mexiko-Stadt gelang es Dunn, ein Beryllamazillen-Männchen
zu sehen, aber „wie immer war der Anblick ein kurzes Vergnügen“. Dort
entdeckte er in einer Markthalle dann einen Stand, an dem Kolibri-Kadaver
angeboten wurden. Sie sollten Glück bringen und gut für die Liebe sein.
Schließlich sichtete der englische Kolibri-Sucher in Kolumbien
Santa-Maria-Elfen und erfuhr, dass man in den Museen häufig „in die Jahre
gekommene Körperteile“ eines Kolibris, wie Schweif oder Flügel, „durch
neuere Körperteile eines anderen Vogels“ ersetzt, was die Kolibri-Forscher
selbstverständlich aufs Schärfste verurteilen. In Feuerland bekam Jon Dunn
dann einen Chilekolibri zu Gesicht. Es war der erste und letzte, den er
dort sah.
9 Oct 2023
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Vögel
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