| # taz.de -- Gestört durch Radiowellen: Wenn Vögel nicht nach Hause finden | |
| > Zugvögel sehen vermutlich das Magnetfeld der Erde, um sich zu | |
| > orientieren. Radiowellen können diesen Sinn stören. | |
| Bild: Können durch Radiowellen gestört werden: ziehende Kraniche | |
| Wir Menschen sehen, dass die Wiese vor uns grün ist, der Himmel blau, wie | |
| weit der Baum von uns entfernt steht. Manche Tierarten, zum Beispiel | |
| Zugvögel, sehen wahrscheinlich zusätzlich das Magnetfeld der Erde. Das | |
| nutzen sie zur Orientierung auf ihren langen Reisen. | |
| Was wie eine Superkraft klingt, lässt sich jedoch leicht stören. | |
| Forscher*innen an den Universitäten Oldenburg und Oxford haben | |
| nachgewiesen, dass einfache Radiowellen den sechsten Sinn verschiedener | |
| Tiere durcheinanderbringen und sie orientierungslos machen können. | |
| Michael Winklhofer ist Geophysiker und hat die Versuche mitkonzipiert, | |
| deren Ergebnisse kürzlich in einer Studie veröffentlicht wurden. Um zu | |
| zeigen, dass Radiowellen den Orientierungssinn der Tiere stören, müssen | |
| mehrere Annahmen bewiesen werden. Zunächst muss nachgewiesen werden, dass | |
| ihr Orientierungssinn tatsächlich vom [1][Magnetfeld] der Erde abhängt. | |
| Danach mussten die Forscher*innen zeigen, dass der [2][Magnetsinn] | |
| gestört werden kann. Schließlich galt zu klären, welche Frequenz Zugvögel | |
| orientierungslos macht. | |
| Insgesamt haben die Versuche dazu drei Jahre gedauert, sagt Winklhofer, | |
| beginnend 2020. An der Universität Oldenburg gibt es von | |
| elektromagnetischen Schwingungen abgeschirmte Räume. In ihnen wurden winzig | |
| kleine [3][Zugvögel], Mönchsgrasmücken, gesetzt. Sie wiegen gerade einmal | |
| 17 Gramm. In den Frühlings- und Sommermonaten brüten sie in Großbritannien | |
| und Irland und überwintern in wärmeren Regionen in Südeuropa und | |
| Nordafrika. | |
| ## Versuche im Käfig | |
| In Holzhütten der [4][Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg] befinden | |
| sich Käfige aus Aluminium. Um die Rahmen ist Kupferdraht gewickelt. Das | |
| sorgt für ein gleichmäßiges Magnetfeld innerhalb des Käfigs. Zunächst | |
| orientieren sich die Vögel nach Norden. Mithilfe von Spulen innerhalb des | |
| Käfigs wird das Magnetfeld in eine andere Richtung gedreht. „Die Vögel | |
| orientieren sich daran“, sagt Wiklhofer. Das bedeutet, dass sie in eine | |
| bestimmte Richtung hüpfen, zum Beispiel Osten, wenn die Forscher*innen | |
| das Magnetfeld dorthin lenken. | |
| Im zweiten Schritt schalteten die Forscher*innen verschiedene | |
| elektromagnetische Wellen ein. Wellen unter 116 Megahertz machen die Vögel | |
| orientierungslos, sie wissen nicht, wohin, und verteilen sich ziellos im | |
| Käfig. Werden die Signale abgeschaltet, richten sie sich aber sofort wieder | |
| richtig aus und zeigen keine Anzeichen von Schwindel, sagt Winklhofer. | |
| In den für Vögel irritierenden Bereich unter 116 Megahertz schwingen | |
| Radiowellen. Radios funktionieren in etwa so, dass sie auf der gleichen | |
| Höhe Signale hin- und herschicken. Nur in dieser Höhe können sie die | |
| Signale aufnehmen, verarbeiten, das Geplänkel einer Morgenshow in Küchen | |
| spülen. Mobilfunkwellen dagegen liegen bei 700 bis 2600 Megahertz, also | |
| deutlich über dem für die Vögel irritierenden Bereich. | |
| Radiowellen sind trotzdem überall. In Zukunft müsse bei der Auswahl von | |
| Naturschutzgebieten für Zugvögel darauf geachtet werden, dass sich in der | |
| Nähe keine Masten befänden, die Radiowellen aussenden, sagt Michael | |
| Winklhofer. | |
| Andernfalls können sich die Vögel verirren. Drosseln passiert das besonders | |
| oft. Gelbbrauenlaubsänger gehören zur Familie der Drosseln, verbringen die | |
| Sommermonate eigentlich in der sibirischen Taiga, um dann in Südostasien | |
| und Indonesien zu überwintern. | |
| Zwischen 1836 und 1991 entdeckten Ornithologen über tausendmal, dass sich | |
| einzelne Drosseln nach Deutschland verirrt hatten. Das geht aus dem | |
| „Handbuch der Vögel Mitteleuropas“ hervor. Verirrungsgefahr besteht vor | |
| allem bei Zugvögeln, die nachts und alleine unterwegs sind. Gänse betrifft | |
| die Störung nicht so sehr, weil sie in Gruppen fliegen. | |
| Viele Tiere, nicht nur Zugvögel, sind auf ihren Magnetsinn angewiesen. Auch | |
| Fledermäuse, Salamander und Frösche scheinen sich an dem für uns | |
| unsichtbaren Magnetfeld der Erde zu orientieren. Fruchtfliegen dagegen | |
| nicht, hat das gleiche Team der Universität Oldenburg gerade festgestellt. | |
| Dass die Tiere das Magnetfeld der Erde sehen können, hat biologische | |
| Ursachen. Tiere, also auch Menschen, können die Welt durch ihre Sinne | |
| wahrnehmen. Dass wir die Umwelt sehen, riechen, fühlen können, liegt an | |
| Rezeptoren in unseren Zellen. Hören können wir wegen der Haarzellen im | |
| Innenohr. Sehen hängt gleich von zwei Rezeptoren ab, den Stäbchen und den | |
| Zapfen in der Netzhaut. Meissner-Tastkörperchen in unserer Haut sorgen | |
| dafür, dass wir den Unterschied zwischen einem Kissen und einer Steinplatte | |
| erfühlen. | |
| ## Keine Aluhüte nötig | |
| Der magnetsensitive Rezeptor, von dem Forscher*innen vermuten, dass er | |
| Magnetsignale an das Gehirn weiterleiten kann, heißt Cryptochrom 4 – klingt | |
| wieder nach Superhelden. Er wurde erst in den 1990er-Jahren entdeckt. Dass | |
| genau diese Rezeptoren die Ursache sind, ist noch nicht abschließend | |
| bewiesen, aber es ist aktuell die konkreteste Spur. | |
| Bisher gab es verschiedene Hypothesen zu der Frage, welcher Mechanismus für | |
| den Magnetsinn sorgt. Zum Beispiel wurde vermutet, dass Vögel sich durch | |
| Magnetpartikel in ihren Schnäbeln orientieren. | |
| Menschen haben kein Cryptochrom 4 in ihren Netzhäuten, also auch keinen | |
| Magnetsinn. Andere Cryptochrome bei Menschen sind aber vermutlich dafür | |
| zuständig, dass wir eine innere Uhr haben. Die in esoterischen Kreisen | |
| verbreitete Annahme, derart niederintensive Radio- oder Mobilfunkwellen | |
| könnten auch Menschen beeinflussen, sei vermutlich falsch, sagt Winklhofer. | |
| In den Experimenten wurden beispielsweise Radiowellen genutzt, die | |
| tausendmal schwächer sind als die [5][Grenzwerte für Menschen]. Gestört | |
| wurde dabei aber ausschließlich der Magnetsinn von Vögeln. Statt Aluhüten | |
| für Menschen braucht es also eher Naturschutzgebiete für Vögel. | |
| 8 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lisa Bullerdiek | |
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