# taz.de -- Elektromagnetische Wellen: Ein Leben mit Gehirnwäsche | |
> Heinrich Müller empfängt angeblich Signale, die in sein Hirn eindringen. | |
> Vergebens versucht er, juristisch dagegen vorzugehen. | |
Bild: Sendemasten in Mainhausen-Mainflingen. Stadt und Land sind voller unbekan… | |
BERLIN taz | Heinz Müller kam 1976 als 22-Jähriger nach Westberlin, wo er | |
Film studierte. Zunächst arbeitete er als Tontechniker, dann beschäftigte | |
er sich 13 Jahre lang mit Computern. Anschließend war er im Service tätig | |
und gründete eine Firma, die er wieder auflösen musste. | |
Seit Anfang 2013 fühlt er sich von Funkstrahlen traktiert, die ihn stark in | |
seiner Arbeitsfähigkeit behindern. Gelegentlich besucht Müller ein Café am | |
Heinrichplatz in Kreuzberg, wo er still an der Bar sitzt, vor sich einen | |
Laptop, und eine E-Zigarette raucht. | |
Einmal erzählte er mir, dass er eine umfangreiche Korrespondenz mit | |
verschiedenen rechtsstaatlichen Einrichtungen geführt habe, die seiner | |
Meinung nach dazu verpflichtet seien, die Quelle ausfindig zu machen und | |
abzustellen, wenn Menschen durch Funkstrahlen gequält und körperlich | |
angegriffen werden. Ich bekam dann Kopien seiner umfangreichen | |
Behördenkorrespondenz. | |
In einem Brief an den Verfassungsschutz schrieb Müller am 23. Mai 2013: | |
„Hier finden unter Verwendung von im deutschsprachigen Raum öffentlich | |
nicht bekannter Technologie Feldversuche statt, die mit Recht und Gesetz | |
möglicherweise nicht zu vereinbaren sind und offenbar schon seit Jahren | |
betrieben werden. Es sind, erkennbar an typischen Auffälligkeiten, | |
mindestens zehn mir persönlich bekannte Personen betroffen.“ | |
## Anzeige auf Anzeige | |
Anfang August 2013 teilte Müller dem Bundesverfassungsschutz mit, dass er | |
Anzeige gegen unbekannt erstatten möchte. Darüber informierte er dann auch | |
den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst. Ein | |
Sachbearbeiter des BfV bedankte sich umgehend dafür sowie für „das damit | |
zum Ausdruck gebrachte Vertrauen in das Bundesamt für Verfassungsschutz“. | |
Er riet ihm, sich an die örtliche Staatsanwaltschaft zu wenden, da das BfV | |
keine Exekutivbehörde sei und deswegen auch nicht gegen derartige | |
„Vorkommnisse“ einschreiten dürfe. | |
Am 9. August 2013 stellte Müller Strafanzeige, darin hieß es, es gehe um | |
den „Verdacht auf Betrieb einer Funkanlage zur Durchführung von Versuchen | |
an Menschen und Zwangsrekrutierung von Probanden für diese Versuche“. | |
Juristisch ausgedrückt: um „organisierte Kriminalität in Tateinheit mit | |
Körperverletzung, Nötigung, Geiselnahme, Morddrohungen, versuchtem | |
Totschlag und versuchtem Mord“. | |
Die „Tatmittel seien allerdings “noch nicht hinreichend beweisbar, können | |
aber durch eigene Recherchen und Maßnahmen des passiven Schutzes, wie z. B. | |
durch den Aufenthalt in einem gegen elektromagnetische Felder geschirmten | |
Raum, weiter ermittelt und eingegrenzt werden. Die Auswirkungen des | |
evozierenden Signals sind unter definierbaren Bedingungen deutlich spürbar | |
und auch messbar. Es wurden u. a. plötzlich abfallende Atem- und | |
Pulsfrequenzen, Restless-Legs-Syndrom und Tinnitus beobachtet.“ | |
Am 25. November schickte er der Senatsverwaltung für Inneres eine | |
ausführliche Darstellung darüber, was mittels neuartiger | |
Kommunikationstechnologien in einer „Labor-Installation in Treptow“ eines | |
nicht im Detail bekannten Forschungsprojekts mit ihm und einer Reihe | |
weiterer Personen angestellt wird beziehungsweise werden soll. | |
## „Versuchter Mentizid“ | |
Anfang des Jahres 2014 antwortete ihm die Berliner Staatsanwaltschaft: „Sie | |
schildern in Ihren beiden Anzeigen ausschließlich von Ihnen subjektiv | |
wahrgenommene körperliche Empfindungen und Befindlichkeiten, die sich auch | |
aus Ihrer Sicht weder einer konkreten Person noch einem konkreten Tatmittel | |
zuordnen lassen... Es ist unzulässig, Ermittlungen in der Hoffnung | |
aufzunehmen, dass diese tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer | |
Straftat erbringen könnten, so dass das Verfahren gemäß § 170 Absatz 2 der | |
Strafprozessordnung einzustellen war.“ | |
Dem Senator für Justiz schrieb Müller wenig später: „Ich habe mir einen | |
elektromagnetische Felder abschirmenden Raum gebaut, obwohl ich es für | |
unwürdig hielt, mich in dieser Republik genötigt zu sehen, eine solche | |
Abschirmung anzufertigen, logisch und vernünftig wäre schließlich das | |
Abschalten der Quelle gewesen und ist es immer noch.“ | |
Im April erstattete Heinrich Müller Anzeige gegen das Land Berlin, | |
vertreten durch die Generalstaatsanwaltschaft, wegen „Beihilfe zu | |
vorsätzlicher Körperverletzung mit den Tatmerkmalen seelische Grausamkeit | |
und arglistige Täuschung in Tateinheit mit versuchtem Mord/Totschlag...“ | |
Hinzu kam noch ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Dieser | |
wurde Ende April 2014 vom Landgericht zurückgewiesen, wobei der | |
Antragsteller die Kosten zu tragen hatte: 250 Euro. | |
Heinrich Müller legte dagegen Beschwerde ein. Dazu erklärte er: „Der | |
Verdacht auf Mord bezieht sich auf möglicherweise bereits vollendete | |
Tatbegehungen wie z. B. den Fall des im März 2011 verstorbenen Thomas | |
Baier, Alter Mitte 40. Zugleich steht der Tatvorwurf auch hilfsweise für | |
versuchten Mentizid bzw. bereits herbeigeführten Mentizid.“ | |
## Wortfindungsstörungen | |
Langsam, aber sicher arbeitete er sich durch den Behördendschungel, | |
gleichzeitig vermehrte er seine juristischen und wissenschaftlichen | |
Kenntnisse. | |
Am 25. Mai 2014 informierte er einige Mitglieder des Bundestags, dass der | |
„Kernversuch“ nach seinen gegenwärtigen Erkenntnissen darin bestehe, „die | |
Sprachfähigkeit gewaltsam und heimtückisch zu unterdrücken, eine Probandin | |
umschrieb das als,Wortfindungsstörungen', und den,Denkraum' mit nutzlosen | |
Informationen vorzubelegen, vergleichbar den Effekten, von sehr großem Lärm | |
über einen längeren Zeitraum ausgesetzt zu sein.“ An anderer Stelle des | |
Briefes schrieb Müller: „Die [funk]technische Verbindung zu meiner Person | |
bestand auch im Wahllokal während der Stimmabgabe zur Europawahl.“ | |
Am 18. Juli schrieb er dem Regierenden Bürgermeister einen Brief, in dem es | |
hieß: „Nach meinen Erkenntnissen handelt es sich bei der eingesetzten | |
Technologie um eine Hochfrequenzstrecke, die die Resonanzfrequenzen des | |
menschlichen Schädels als Träger für u. a. aufmodulierte, wahrscheinlich | |
aus einem bearbeitetem EEG-Signal bestehende Informationen verwendet.“ | |
## Hörstücke für den Staatsanwalt | |
Man merkte, dass Müller versuchte, das „Phänomen“ von verschiedenen Seiten | |
zu beschreiben. Seinen Schriftsätzen legte er gelegentlich „Hörstücke“ b… | |
Beim Verbalisieren der übertragenen Informationen gehe es nicht um etwas, | |
was er höre, erklärte er mir in einem längeren Gespräch. „Das, was ankomm… | |
ist eher eine Bewegung der Sprachmuskulatur. Es werden eigentlich Bilder | |
übertragen. Es kommt als Evozierung eines Signals im prämotorischen Kortex | |
an. Auch der Herzrythmus und die Atmung sind beeinflussbar. Ich entspanne | |
mich und lasse es einfach raus – spreche es laut aus – auf Band.“ | |
Bei den Signalen, so vermutete er, handelt es sich um | |
Schädelresonanzfequenzen zwischen 250 und 500 Megahertz. Damit könne man | |
einen Menschen auch umbringen, entscheidend seien die Frequenzen um 400 | |
Megahertz. Um Genaueres darüber zu erfahren, wandte sich Müller an die | |
Bundesanstalt für Strahlenschutz und an die Netzagentur. Diese schickten | |
einen Mitarbeiter mit einem Emissionsmessgerät zu ihm nach Treptow, der | |
aber kein Gerät für Funkstrahlen unter 800 Megahertz dabeihatte. „An 400 | |
Megahertz, da lassen die Dienste niemanden ran“, sagte er und | |
verabschiedete sich. | |
Die Infrastruktur besteht laut Müller aus sogenannten | |
„Tetra-Basisstationen“, die unter anderen von der Bundesbahn und dem | |
Katastrophenschutz genutzt werden. Sie senden auf Wellenlängen bis zu 395 | |
Megahertz. Da drüber ist offiziell nichts vergeben. Die digitalisierte | |
Version davon nennt sich BOS – Abkürzung für „Behörde, Ordnung, | |
Sicherheit“, man spricht vom „BOS-Funk“. | |
„Ich bin ein BOS-Kopp“, sagt Müller von sich. Der Zentralrechner dafür | |
steht in Berlin, er wird von den Nachrichtendiensten verwaltet. Die | |
Frequenz, die Müller erreicht, wird gepulst, um den Gehirntakt zu | |
beeinflussen, der zwischen 4 Hertz (Tiefschlaf) und 40 Hertz (bei | |
gedanklicher Erregung) liegt. Durch das Pulsen der Sendefrequenz lässt sich | |
der Gehirntakt runter- oder hochziehen. | |
## Wie ein Theaterstück | |
Erst in diesem Jahr sei ihm klar geworden, sagt Müller, dass diese Pulsung | |
auch heißt: Information – keine Information. Das Gehirn gerät dadurch in | |
einen Empfangsmodus. | |
„Es war erst eine einzelne Person, dessen Signale ich empfing, und dann | |
mehrere. Wie ein Theaterstück. Auf dem Band empfange ich die ein bisschen | |
wie in Trance – und ich rede mit denen, frage sie was. Sie sagen ja selbst, | |
dass sie mich als Sprachrohr benutzen wollen. Eine Rolle in dieser | |
Kommunikation ist eine Ich-Rolle, die ich dann auch annehme, weil ich | |
denke, dass ich das bin. Es passiert immer öfter, dass man was sagt und | |
dann macht, und dass man das gar nicht ist, der das gesagt hat, sondern | |
eine übermittelte Rolle. Man ist in dem Moment Schauspieler. Am Anfang war | |
das ja alles noch interessant, aber dann – durch Studieren im Internet und | |
zufällige Lektüren – ist mir schlagartig klar geworden, dass ich ein | |
Versuchskaninchen bin, um neue Kommunikationstechnologien zu testen und | |
Anwendungen zu erproben. Da, wo ich wohne, das ist ein ideales Testgebiet | |
dafür: 2004 nahm dort in Treptow das Gemeinsame Terror-Abwehrzentrum (GTAZ) | |
seine Arbeit auf – mit dem Ziel, laut Wikipedia, ‚die operative Arbeit zur | |
internationalen Terrorismusbekämpfung zu verbessern‘.“ | |
Ich erzählte ihm: Der nationalsozialistische Staatsrechtler Carl Schmitt | |
fühlte sich bereits Anfang der achtziger Jahre in der von den Alliierten | |
beherrschten BRD von Stimmen verfolgt, die ihn über Funkwellen erreichten. | |
Laut FAZ sah er sich deswegen veranlasst, „seinen berühmten Satz der | |
Souveränität umzuschreiben:,Nach dem Ersten Weltkrieg habe ich gesagt: | |
Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Nach dem Zweiten | |
Weltkrieg, angesichts meines Todes, sage ich jetzt: Souverän ist, wer über | |
die Wellen des Raumes verfügt.' Wer mithilfe von elektromagnetischen Wellen | |
in jeden Raum eindringen und deren Bewohner beeinflussen kann, hat die | |
wahre Macht und Souveränität. Das elektromagnetische Medium bringt eine | |
neue Souveränität hervor.“ | |
8 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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