# taz.de -- Journalist über drohende Auslieferung: „Natürlich habe ich Angs… | |
> Devrim Akçadaǧ ist deutscher Staatsbürger. Italien hat ihn verhaftet, nun | |
> droht die Auslieferung an die Türkei. Dort würde er kein faires Verfahren | |
> bekommen, sagt er. | |
Bild: Der Journalist kurdischer Herkunft, Akçadaǧ, fordert Unterstützung von… | |
taz: Herr Akçadaǧ, wie sieht Ihr Tag heute noch aus? | |
Devrim Akçadaǧ: Letzte Woche ist meine Akte aus der Türkei gekommen. Das | |
sind insgesamt 18 Seiten, die werde ich übersetzen und an meine Anwälte | |
weiterleiten. | |
Sie sind deutscher Staatsbürger, leben und arbeiten in Berlin und sind am | |
1. August im Urlaub auf Sardinien von italienischen Behörden verhaftet | |
worden. Die Türkei fordert ihre Auslieferung wegen angeblicher | |
PKK-Zugehörigkeit. Was sind die Vorwürfe? | |
Eine belgische TV-Produktionsfirma, für die ich von 2004 bis 2008 | |
gearbeitet habe, hat mich 2005 beauftragt, im Nordirak Interviews zu | |
führen. Unter anderem ging es um PKK-Kämpfer mit ungewöhnlichen | |
Hintergründen, also keine Kurden, dafür Europäer, Menschen aus wohlhabenden | |
Familien oder mit gutem Arbeitsplatz. Danach bin ich wieder zurück nach | |
Brüssel geflogen. Die Interviews wurden verkauft und liefen im kurdischen | |
Fernsehen und beispielsweise bei Reuters, BBC und Al-Dschazeera. | |
Und daraus wurde nun eine Anklage gestrickt? | |
Das war so: Zwei PKK-Kämpfer haben nach ihrer Festnahme 2009 offenbar das | |
Märchen erzählt, ich hätte damals im Nordirak für die PKK die Webseite | |
gehostet und verschlüsselte Kommunikation hergestellt. Das ist völlig | |
absurd. Die beiden haben gesagt, was die türkische Staatsanwaltschaft hören | |
wollte, und dafür erhebliche Strafnachlässe bekommen. Daraufhin hat erst | |
die Türkei ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in der PKK gegen mich | |
eingeleitet, dann auch Deutschland. In Deutschland wurde es aber sofort | |
wieder eingestellt, weil klar war, dass es nichts gegen mich gab. | |
Aber damit war es nicht vorbei? | |
Nein. Die deutschen Behörden haben mich letztes Jahr über meine Anwälte | |
wissen lassen, ich solle besser nicht mehr in die Türkei reisen – aber das | |
mache ich seit 13 Jahren nicht mehr. Leider wurde ich nicht informiert, | |
dass offenbar seit 2021 ein internationaler Haftbefehl gegen mich vorliegt. | |
Sonst wäre ich natürlich nicht nach Italien gereist. Ich kenne ja Fälle, in | |
denen Journalisten, Akademiker oder Oppositionelle in Italien, Spanien oder | |
Griechenland festgenommen wurden. Die Anschuldigungen sind immer die | |
gleichen: Mitgliedschaft in der PKK. Die Türkei [1][missbraucht | |
Interpol-Fahndungen], um Journalisten und Oppositionellen Angst zu machen. | |
Und das hat sie auch erreicht. | |
Inwiefern? | |
Menschen kurdischer Herkunft in Deutschland haben jetzt sehr große Angst, | |
ins Ausland zu reisen. Und ich habe jetzt natürlich große Angst vor einer | |
Auslieferung an die Türkei. Ich würde dort nie ein faires Verfahren | |
bekommen. Meine Festnahme kam völlig überraschend. Ich hätte nie gedacht, | |
dass man auf der Grundlage solcher absurden Vorwürfe einen internationalen | |
Haftbefehl bekommt. Aber nicht nur das, durch die Festnahme ist meine | |
Tochter total traumatisiert. Italien war für uns immer ein schöner | |
Urlaubsort, wir haben hier auch ein-, zweimal den Geburtstag meiner Tochter | |
gefeiert. Aber jetzt will sie nichts mehr von Italien wissen. | |
Ihre Tochter war bei der Verhaftung dabei? | |
Ja, wir waren am 31. Juli zu zweit in den Urlaub geflogen. Bei der Einreise | |
war alles in Ordnung. Am nächsten Morgen kamen drei Beamte von der | |
Sicherheitspolizei ins Hotel und baten mich, zur Polizeistation | |
mitzukommen. Dort hieß es dann nach mehreren Stunden, sie würden mich | |
festnehmen. Meine Tochter wurde in eine Unterkunft für Kinder und | |
Jugendliche gebracht. Sie ist ja erst elf Jahre alt. Mir wurde versprochen, | |
dass meine Frau sofort informiert würde, das wurde aber nicht gemacht. Erst | |
zwei Tage später konnte meine Tochter selbst meine Frau anrufen. | |
Wohin kamen Sie? | |
Ins Hochsicherheitsgefängnis Bancali – ein in ganz Italien berüchtigtes | |
Gefängnis. Ich wurde erstmal in Isolation gesteckt. Nach dem | |
Haftprüfungstermin am 3. August kam ich in eine Abteilung für | |
Terrorismusbekämpfung. Da waren außer mir nur etwa 30, 40 [2][IS-Kämpfer]. | |
Gott sei Dank wussten sie nichts über mich. Mit Kurden spaßen sie nicht. Am | |
4. August kam ich dann glücklicherweise in Hausarrest, wo ich bis heute bin | |
und unglaublich viel Solidarität erfahre. Mich besuchen jeden Tag | |
wildfremde Menschen. Wenn es nach ihnen ginge, würde ich nie ausgeliefert | |
werden. | |
Wie geht es jetzt weiter? | |
Die italienische Staatsanwaltschaft hat 30 Tage Zeit, sich die Akte aus der | |
Türkei anzuschauen, dann muss sie sie ans Gericht weiterleiten. Dann können | |
meine Anwälte einen Gerichtstermin beantragen, und im Oktober könnte es | |
eine Entscheidung geben. | |
Ihr Fall ähnelt dem des [3][mittlerweile verstorbenen Schriftstellers Doğan | |
Akhanli], der 2017 [4][in Spanien festgenommen] wurde. Für ihn setzte sich | |
der damalige Außenminister Sigmar Gabriel ein. Was tut die Bundesregierung | |
in Ihrem Fall? | |
Genaues weiß ich nicht. Die Deutsche Botschaft in Rom ist informiert. Ich | |
habe Kontakte zu Bundestagsabgeordneten, die sich ans Auswärtige Amt | |
gewandt haben. Auch die Professoren am Institut für kurdische Studien an | |
der Freien Universität Berlin, wo ich arbeite, unterstützen mich und haben | |
sich an die deutschen Behörden gewandt. | |
Was wünschen Sie sich denn von der Bundesregierung? | |
Ich erwarte schon, dass sie ihre Bürger schützt und versucht, auf | |
diplomatischem Wege Einfluss auszuüben. Die deutschen Behörden wissen, dass | |
die Vorwürfe falsch sind und dass mich in der Türkei viele Jahre Gefängnis | |
erwarten. In Italien entscheiden nicht nur Gerichte, sondern auch Behörden. | |
Auf Gerichtsentscheidungen kann die Bundesregierung natürlich keinen | |
Einfluss nehmen, aber bei den Behörden kann sie dies sehr wohl versuchen. | |
17 Sep 2023 | |
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[3] /Nachruf-auf-Doan-Akhanl/!5811966 | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=lppk7XonYSM | |
## AUTOREN | |
Johanna Treblin | |
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