| # taz.de -- Türkischer Journalist im Exil: Die Luft wird dünner | |
| > Der Journalist Ragıp Zarakolu lebt im schwedischen Exil. Nun tauchte er | |
| > auf einer in türkischen Regierungsmedien verbreiteten | |
| > Auslieferungsliste auf. | |
| Bild: Eine Aufnahme von Ragip Zarakolu aus dem Jahr 2011 | |
| Istanbul taz | Es ist Jahre her, als ich Ragıp Zarakolu in seinem Belge | |
| Verlag in der Altstadt in Istanbul besuchte. Er lag an der prominenten | |
| Divan-Yolu, allerdings in einem Keller im Hinterhaus, und war schwer zu | |
| finden. Wir sprachen über das Risiko, Bücher über das Thema Armenien zu | |
| publizieren. Ragıp hatte gerade einen dicken Band mit Dokumenten des | |
| deutschen Auswärtigen Amtes während des Ersten Weltkriegs dazu gedruckt, | |
| ein wichtiger Fundus für die Debatte in der Türkei. Er war damals, in den | |
| nuller Jahren, noch vorsichtig optimistisch, was die Meinungs- und | |
| Publikationsfreiheit in der Türkei anging, auch wenn einige seiner Bücher | |
| immer wieder verboten und beschlagnahmt wurden. Doch Ragıp war Einiges | |
| gewohnt. | |
| Der heute 74-jährige Journalist, Buchautor und Verleger wurde bereits in | |
| den 70er Jahren für seine Artikel und seine Kontakte zu Amnesty | |
| International kurzzeitig in den Knast gesperrt, was sich nach dem | |
| Militärputsch 1980 noch einmal wiederholte. Dennoch engagierte er sich | |
| unermüdlich für die Meinungsfreiheit, sowohl im internationalen PEN als | |
| auch im türkischen Verlegerverband und mit der Gründung einer wichtigen | |
| türkischen Menschenrechtsorganisation. | |
| Dass er jetzt seit Jahren in Schweden im Exil lebt und auch noch auf einer | |
| in türkischen Regierungsmedien verbreiteten Liste von Leuten auftaucht, | |
| deren Auslieferung die Erdoğan-Regierung angeblich fordert, hat vor allem | |
| mit seinem Eintreten für die Rechte der kurdischen Minderheit zu tun. Seine | |
| Publikationen zur Kurdenfrage waren unproblematisch, solange Erdoğan noch | |
| versuchte, mit der PKK über Verhandlungen zu einer Einstellung des | |
| bewaffneten Kampfes zu kommen. Als diese aber 2015 scheiterten und die | |
| Auseinandersetzung wieder eskalierte, gerieten Ragıp und sein Verlag | |
| schnell in die Schusslinie. | |
| 2017 wurde der Verlag von der Polizei gestürmt und vorübergehend | |
| geschlossen. Der Vorwand war ein Buch über „Kurden ohne eigenen Staat“. | |
| Ragıp und sein Sohn, der ebenfalls in dem Verlag arbeitet, wurden wegen | |
| Unterstützung einer „Terrororganisation“ angeklagt. Es begann eine | |
| leidvolle Phase zwischen Gerichtsprozessen, U-Haft, kurzfristiger Freiheit | |
| und erneuten Anklagen. In dieser Zeit gelang es Ragıp, sich aus der Türkei | |
| abzusetzen. | |
| ## Zeitweise in seiner Reisefreiheit stark eingeschränkt | |
| [1][Die Türkei ließ ihn auf die Fahndungsliste von Interpol setzen.] | |
| Dennoch gelang es seinem Sohn, den Verlag wieder zum Laufen zu bringen. | |
| Nach der Aufhebung des Ausnahmezustandes, der nach dem Putschversuch 2016 | |
| verhängt worden war, konnte der Belge Verlag auch wieder einige Bücher | |
| publizieren. Ragıp versuchte, den Verlag aus dem Ausland zu unterstützen, | |
| konnte aber auch nicht verhindern, dass der Belge-Verlag vor allem aus | |
| finanziellen Gründen in existienzielle Bedrohung geriet. Auch von Schweden | |
| aus engagierte sich Ragıp Zarakolu weiterhin für Publikationsfreiheit und | |
| bei „Writers in Prison“ des Internationalen PEN. Allerdings war er wegen | |
| des Interpol-Haftbefehls zeitweise in seiner Reisefreiheit stark | |
| eingeschränkt. Eine Auslieferung Ragıp Zarakolus an die Türkei wird aber | |
| hoffentlich, wenn schon nicht von der Regierung, dann aber doch wohl durch | |
| schwedische Gerichte, verhindert werden. | |
| 26 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Wolf Wittenfeld | |
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