# taz.de -- Debatte um Technologieregulierung: Klimaschutz als Vorbild für KI | |
> Ein Weltrat für Künstliche Intelligenz, analog zum IPCC fürs Klima – das | |
> schlägt die EU-Kommissionspräsidentin vor. Die Reaktionen sind gemischt. | |
Bild: OpenAI-Chef Sam Altman auf dem Weg zum US-Senat | |
BERLIN taz | Der Wasserverbrauch steigt. Zum Beispiel bei Microsoft, wie | |
aus dem jüngsten Nachhaltigkeitsbericht des IT-Konzerns hervorgeht. Demnach | |
ist die Wasserentnahme durch das Unternehmen von 2020 auf 2022 [1][um rund | |
35 Prozent gestiegen] – und Expert:innen mutmaßen, dass das auch mit | |
künstlicher Intelligenz (KI) zu tun hat. | |
Denn deren Teilgebiet des maschinellen Lernens, das derzeit Erfolge feiert, | |
benötigt extrem leistungsfähige Rechner, die gekühlt werden müssen. Und, | |
wie bei fast allen Herstellungsprozessen, benötigt auch die Produktion der | |
Hardware Wasser. Laut [2][einem Arbeitspapier von Philipp Hacker], | |
Professor für Recht und Ethik in der Digitalen Gesellschaft an der | |
Europauniversität Viadrina, verbraucht wissenschaftlichen Schätzungen | |
zufolge eine aus 20 bis 50 Fragen bestehende Konversation mit dem | |
Texgenerator ChatGPT etwa einen halben Liter Wasser. „Angesichts der großen | |
Anzahl von Gesprächen, die ChatGPT seit seiner Gründung geführt hat, | |
summiert sich dies zu einer sehr beträchtlichen Menge an Wasser – eine | |
zunehmend knappe Ressource in vielen Teilen der Welt“, schreibt der | |
Wissenschaftler. | |
Dieses Problem wäre eines der zahlreichen, mit denen sich ein Gremium | |
befassen könnte, das jüngst EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen | |
ins Spiel gebracht hat: ein Weltrat für KI. „Wir bräuchten ein ähnliches | |
Gremium wie den IPCC für das Klima und hier brauchen wir zusätzliche | |
Kontakte zu Wissenschaftlern, Unternehmern und Innovatoren“, [3][führte sie | |
ihren Vorschlag aus]. Der Weltklimarat IPCC fasst regelmäßig den aktuellen | |
Forschungsstand zur Entwicklung des Weltklimas zusammen und ist damit zu | |
einer der maßgeblichen Stimmen in Sachen Klimakrise geworden. | |
Die Idee eines KI-Weltrates ist grundsätzlich nicht neu: Auch die „Global | |
Partnership on Artificial Intelligence“, eine im Sommer 2020 auf Initiative | |
von Kanada und Frankreich gegründete internationale Gruppe, wurde bereits | |
mit dem Weltklimarat verglichen. Basis für ihre Arbeit sollten die | |
OECD-Empfehlungen für KI sein. Es gibt diese Gruppe immer noch – doch eine | |
tragende Rolle in der Debatte um den Umgang mit der neuen Technologie | |
spielt sie nicht. Warum eigentlich nicht? | |
## Viele wollen mitregeln | |
„Die Regierungen haben das nicht ernst genommen“, sagt Matthias Spielkamp | |
von der Menschenrechtsorganisation Algorithmwatch, der bis zum vergangenen | |
Jahr Mitglied der Initiative war. Er sieht den Vorschlag der | |
Kommissionspräsidentin daher skeptisch und fordert: „Wir sollten uns lieber | |
darauf fokussieren, den AI Act stark zu machen und durchzusetzen.“ [4][Der | |
AI Act ist die derzeit in Arbeit befindliche Gesetzgebung der EU zu KI]. | |
EU-Kommission, Mitgliedstaaten und EU-Parlament verhandeln aktuell über | |
einen gemeinsamen Gesetzentwurf. Bis zum Jahresende soll er vorliegen. | |
Der AI Act ist bei weitem nicht die einzige Ansatz, der Technologie einen | |
Regelungsrahmen zu geben. [5][Die Mitgliedstaaten des Europarats verhandeln | |
derzeit über eine KI-Konvention], beteiligt sind neben den Mitgliedsstaaten | |
unter anderem Mexiko, Israel, Japan und die USA. | |
Bereits 2021 haben die 193 Unesco-Mitgliedstaaten einen Völkerrechtstext | |
zur ethischen Entwicklung und Nutzung von KI verabschiedet, der aber nicht | |
rechtsverbindlich ist. Und bei ihrem Treffen im Mai haben sich die Staats- | |
und Regierungschefs der G7 auf die Einrichtung eines | |
„Hiroshima-KI-Prozesses“ geeinigt. Dabei sollen Standards für | |
vertrauenswürdige KI entwickelt werden, die im Einklang mit den | |
demokratischen Werten steht. | |
## KI hat ähnliche Risiken und Chancen wie Atomkraft | |
Und das ist nur eine Auswahl der Regulierungsinitiativen. Eine neue | |
Instanz, die auf dem Feld mitmischen soll, bräuchte also als | |
Daseinsberechtigung etwas, das die vorhandenen nicht oder nicht in dem Maße | |
mitbringen: mehr Verbindlichkeit zum Beispiel, mehr Autorität, sinnvollere | |
Regelungsansätze, mehr Akzeptanz in mehr Ländern, schnellere Reaktionen auf | |
technologische oder politische Entwicklungen oder mehr Expertise. | |
Fabian Stephany, der als Ökonom und Datenwissenschaftler unter anderem am | |
Oxford Internet Institute der Universität Oxford forscht, sieht einen | |
solchen Aspekt. Er zieht eine Parallele zur Atomkraft. Deren Regulierung | |
und Einsatz überwacht die Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). „Wie | |
zur Zeit der Schaffung der IAEA im beginnenden Atomzeitalter 1957 haben wir | |
es heute bei KI mit einer revolutionären und potentiell gefährlichen | |
Technologie zu tun, deren friedliche Nutzung allerdings große Chancen für | |
die Menschheit bietet“, sagt Stephany. | |
Er findet daher eine Analogie zur IAEA sinnvoller als eine zum IPCC. Themen | |
wie Datenschutz, nationale Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit zeigten, | |
dass kein Land allein nachhaltige Lösungen zur Entwicklung und Anwendung | |
von KI durchsetzen könne. Uno-Generalsekretär António Guterres hatte sich | |
im Juni ebenfalls für die Einrichtung einer internationalen | |
KI-Regulierungsbehörde ausgesprochen und dabei auf die IAEA als mögliches | |
Vorbild verwiesen. | |
## Dilemma, nicht nur bei KI | |
Auch Matthias Kettemann, Rechtswissenschaftler und Forschungsgruppenleiter | |
am Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) kann der Idee | |
eines KI-Weltrates etwas abgewinnen: „Die Idee ist sinnvoll, weil eine | |
breitere Debatte über die Folgen des Einsatzes von KI – wie auch anderer | |
Hochtechnologien – zielführend ist.“ Ein Weltrat solle aber eher als Beirat | |
aufgestellt sein, denn als Gremium, das bindende Regeln verabschiedet. | |
Skeptischer ist seine HIIG-Kollegin, die Politikwissenschaftlerin und | |
Forschungsdirektorin Jeanette Hofmann: „Ein Weltrat wäre eher ein weiteres | |
Gremium, das sich über mögliche Normen in der Entwicklung und Nutzung von | |
KI Gedanken macht, ohne diese jedoch durchsetzen zu können. Das kann man | |
sinnvoll, aber auch überflüssig finden.“ | |
Das Dilemma, das Hofmann skizziert, ist ein Grundsätzliches und nicht nur | |
eines im Kontext von KI: Die Tech-Unternehmen sind international tätig. | |
Nationale Regelungen bringen also meistens nichts oder nicht viel und auch | |
solche, die Staatengemeinschaften wie die EU vereinbaren, stoßen an | |
Grenzen. Gleichzeitig sind laut Hofmann die bestehenden internationalen | |
Organisationen nicht darauf ausgelegt, Technikentwicklung wirksam | |
grenzüberschreitend zu steuern. | |
## Tech-Größen dürfen mitreden | |
Hinzu kommt: Die Zahl der Akteure, die in Gesetzgebungsprozesse eingebunden | |
werden müssen, ist groß und ihre Interessen sind oft gegensätzlich – gerade | |
im Spannungsfeld zwischen Wirtschaftslobby und zivilgesellschaftlichen | |
Organisationen. Verhandlungen werden also komplexer, die Aufgabe, eine in | |
der Sache sinnvolle Lösung zu finden anspruchsvoller. Das hat etwa die | |
Arbeit an der EU-Datenschutz-Grundverordnung gezeigt, wo Abgeordnete davon | |
sprachen, von Wirtschaftslobbyist:innen „belagert“ zu werden. | |
Und die Macht der Industrie nimmt zu: Laut einer [6][Studie, die der | |
Verband Lobbycontrol im September vorgelegt hat], liegt die Tech-Industrie | |
was Lobbyausgaben in Brüssel angeht mittlerweile vorne – noch vor der Auto- | |
und Finanzbranche. Auf 113 Millionen Euro beliefen sich demnach die | |
Ausgaben im aktuellsten Abrechnungsjahr, das im europäischen | |
Transparenzregister verzeichnet ist. Vor zwei Jahren waren es noch 97 | |
Millionen. Die Top 4: Meta, Google, Apple und Microsoft. | |
In den USA haben im September Beratungen des Senats zur Regulierung von KI | |
begonnen. Die Türen waren für die Öffentlichkeit geschlossen. Doch drin | |
waren nicht nur Senator:innen, sondern auch Größen aus der Tech-Branche – | |
unter anderem Meta-Chef Mark Zuckerberg, Google-Chef Sundar Pichai, | |
Microsoft-Gründer Bill Gates und Multimilliardär Elon Musk, unter anderem | |
Eigentümer der Plattform X, ehemals Twitter. Im Sommer traf Sam Altman, | |
Gründer von OpenAI, das ChatGPT entwickelt hat, die Regierungschefs | |
zahlreicher Länder der Welt und warb für seine Sicht der Dinge auf die | |
Technologie. | |
## Deutschland und Europa mal wieder „träge“ | |
Und in Deutschland? Dirk Freytag, Präsident des Bundesverbandes Digitale | |
Wirtschaft, blickt skeptisch auf von der Leyens Vorschlag: „Jetzt einen | |
Weltrat für künstliche Intelligenz einzusetzen, zäumt das Pferd von hinten | |
auf“, sagt er. KI als disruptive Technologie, also eine mit großem | |
gesellschaftsverändernden Potenzial, müsse „eng begleitet“ werden. Alle | |
fünf bis sieben Jahre Berichte vorzulegen wie beim Weltklimarat, das sei zu | |
„träge“. Die Argumentation passt zu der gängigen Brancheneinschätzung, d… | |
Deutschland und Europa mit ihrer Regulierung von Technologie eher hemmend | |
wirken – und den USA so einen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen. | |
Algorithmwatch-Geschäftsführer Spielkamp hat jedoch auch einen | |
grundsätzlichen Einwand gegen einen KI-Rat, der analog zum Weltklimarat | |
aufgestellt wäre. Denn die Klimakrise kann existenzbedrohende Ausmaße | |
annehmen. Dass KI zu vergleichbaren Bedrohungsszenarien führen kann, | |
i[7][st jedoch vor allem eine Erzählung der Hersteller] – die damit von | |
bereits vorhandenen Problemen der Technologie ablenken wollen. | |
Zum Beispiel die große Menge an fehlerhaften Antworten, die die Chatbots | |
generieren, die fehlende Transparenz bei Trainingsdaten, die zu | |
Diskriminierung führen kann, oder die ungeklärte Haftungsfrage, wenn durch | |
eine KI-Anwendung Schaden entsteht. Spielkamp befürchtet, dass eine | |
Analogie von KI zur Klimakrise die Weltuntergangserzählung der Hersteller | |
stärken würde – und die Bemühungen zur Regulierung der jetzt schon | |
bestehenden Probleme erschweren. | |
26 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://query.prod.cms.rt.microsoft.com/cms/api/am/binary/RW13PLE | |
[2] https://arxiv.org/pdf/2306.00292.pdf | |
[3] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/STATEMENT_23_4424 | |
[4] /EU-Parlament-zur-kuenstlichen-Intelligenz/!5937487 | |
[5] /Europarat-verhandelt-Abkommen/!5941771 | |
[6] /Ausgaben-fuer-EU-Lobbyismus-steigen/!5958975 | |
[7] /Geplante-EU-Regulierung-von-KI/!5937412 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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