| # taz.de -- Protest und Repression: Deutsche Polizei vorn dabei | |
| > Eine neue Amnesty-Kampagne diagnostiziert weltweit wachsende staatliche | |
| > Gewalt gegen Proteste – auch in Deutschland. | |
| Bild: Konfiszierte Ballons nach einem Protest der Letzten Generation am Flughaf… | |
| Protest nervt. Immer. Vor allem diejenigen, gegen die er sich richtet – und | |
| das sind in aller Regel diejenigen, die Entscheidungen treffen. Wenn bei | |
| der taz-Mitarbeitendenversammlung, der Abteilungsklausur eines | |
| mittelständischen Unternehmens oder der Aktionärsversammlung eines | |
| Großkonzerns irgendjemand, egal ob Minder- oder gar Mehrheit, laut und | |
| deutlich zum Ausdruck bringt, überhaupt nicht einverstanden zu sein, dann | |
| stört das den Ablauf. | |
| Öffentlicher Protest auf der Straße geht in aller Regel an die Adresse von | |
| Regierungen, Behörden, Staatsgewalt. Die nervt das genauso, aber in | |
| funktionierenden Demokratien müssen [1][sie das aushalten], ganz so, wie es | |
| die 1948 verabschiedete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in ihren | |
| Paragrafen 19 und 20 vorsieht. | |
| Es gibt dann Gesetze, die genau das regeln, und Polizeien, deren Aufgabe es | |
| ist, die Sicherheit der Protestierenden zu gewährleisten, etwa indem sie | |
| den Verkehr umleiten. Für die, die an solchen Protesten teilnehmen, fühlt | |
| es sich meist ganz anders an – und das zu Recht, wie gerade ein Bericht der | |
| Menschenrechtsorganisation Amnesty International herausgearbeitet hat. | |
| Unter dem Kampagnentitel „Protect the Protest“ (Schützt den Protest) hat | |
| die Organisation gerade [2][eine Weltkarte] über die Unterdrückung | |
| friedlichen Protests veröffentlicht. Und erstmals taucht in einer solchen | |
| Liste auch harsche Kritik an Deutschland auf wegen unverhältnismäßiger | |
| Polizeigewalt, eigentlich immer rechtswidrigen Polizeikesseln, | |
| Schmerzgriffen an Protestierenden bei Klimablockaden oder des bayerischen | |
| Polizei- und hessischen Versammlungsgesetzes. | |
| ## Einheit von Volk und Führung | |
| Natürlich stehen andere Länder, von Iran über Russland bis Kuba, da noch | |
| ganz anders auf der Liste. Wer ohnehin nicht demokratisch verfasst ist, | |
| lässt auch keinen Protest zu, der offenlegen würde, dass die behauptete | |
| Einheit von Volk und Führung gar nicht stimmt. | |
| Allerdings pflegt auch Amnesty eine seltsame Vorstellung von Protest. | |
| Gleich in der Einführung der Kampagne heißt es: „Protest ist ein | |
| unschätzbarer Weg, den Mächtigen die Wahrheit entgegenzustellen. Historisch | |
| sind Proteste die treibende Kraft hinter einigen der kraftvollsten sozialen | |
| Bewegungen gewesen, sie haben Ungerechtigkeiten und Missbrauch | |
| angeprangert.“ | |
| Das trifft für viele Protestbewegungen zu, von der Schwarzen | |
| Bürgerrechtsbewegung der USA in den 1960er-Jahren bis zu feministischen | |
| Bewegung für das Recht auf Abtreibung in Europa und heute in vielen | |
| lateinamerikanischen Ländern. | |
| ## Linke haben häufiger mit aggressiven Polizisten zu tun | |
| Den Kern der Kampagne aber, dass das Recht auf friedlichen Protest | |
| grundsätzlich schützenswert ist, trifft Amnesty so nur halb. Auch die | |
| Demonstrationen der selbst ernannten Lebensschützer*innen oder der | |
| Schwurbeltrupps und Putinfreund*innen gegen Coronamaßnahmen und | |
| Waffenlieferungen, selbst die menschenverachtenden Pegida-Veranstaltungen | |
| müssen ausgehalten werden – obwohl sie zum Fortschritt nichts beizutragen | |
| haben und nun wahrlich nicht „den Mächtigen die Wahrheit entgegenstellen“. | |
| Der Unterschied ist, und da hat Amnesty wieder recht: Diese Art von | |
| Protesten sind gar nicht bedroht. Obwohl sie so laut brüllen, in einer | |
| Diktatur zu leben und nichts mehr sagen zu dürfen, bekommt es die deutsche | |
| Rechtsaußen- und Verschwörungsszene auf der Straße recht selten mit einer | |
| aggressiven Polizei zu tun. | |
| Wer hingegen für die Aufklärung des Todes von Oury Yalloh im | |
| Polizeigewahrsam oder gegen die Räumung von Lützerath oder des Hambacher | |
| Forsts unterwegs war, macht da ganz andere Erfahrungen. | |
| ## Es gibt kein Recht darauf, Forderungen auch umzusetzen | |
| Protest hat nicht das Recht darauf, seine Ziele durchzusetzen. Das könnte | |
| im Fall der Letzten Generation anders gesehen werden, denn die | |
| Blockierer*innen fordern ja lediglich die Durchsetzung geltenden | |
| Klimaschutzrechts. | |
| Aber grundsätzlich gibt es nur das Recht, Forderungen hinauszuschreien, | |
| aber keines darauf, dass sie auch umgesetzt werden. Das Verhältnis von | |
| Straßenprotest und parlamentarischen Entscheidungsprozessen wird nie ein | |
| unmittelbares sein. | |
| Wenn in einer Gesellschaft jede Woche Tausende sehr wütend, aber friedlich | |
| für oder gegen etwas auf die Straße gehen – ist die Demokratie in diesem | |
| Land dann in Gefahr oder besonders intakt? Bei dieser Frage hilft der | |
| Amnesty-Bericht nicht mehr wirklich viel weiter. | |
| 20 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kritik-an-Polizeieinsatz-in-Leipzig/!5936024 | |
| [2] https://viewer.mapme.com/ca3f817e-c8cb-4fd2-83f2-910f0c7fd3c1 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Pickert | |
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