# taz.de -- Schwules Paar in Brandenburg angefeindet: Hass am Gartenzaun | |
> Ein Paar wirft den Bewohner*innen eines Dorfes Homophobie und | |
> Rassismus vor. Für die Bürgermeisterin sind das normale | |
> Nachbarschaftskonflikte. | |
Bild: René Gust (r.) und Osward Gust-Martínez in ihrem Garten, in dem sie sic… | |
NENNHAUSEN taz | René Gust und Osward Gust-Martínez wollten sich den Traum | |
vom Leben auf dem Land erfüllen. Vor rund vier Jahren zog das schwule | |
Ehepaar von Berlin in das beschauliche [1][Nennhausen], ein Dorf mit rund | |
900 Einwohner*innen im brandenburgischen Havelland, rund anderthalb | |
Zugstunden von Berlin entfernt. „Der Speckgürtel Berlins war für uns zu | |
teuer“, erzählt Gust-Martínez der taz. Doch im Westen Brandenburgs wurden | |
sie schließlich fündig. | |
Der gebürtige Venezolaner sitzt mit seinem Ehemann im Garten vor dem | |
kleinen Einfamilienhaus, das die beiden für sich und ihre Hündin gebaut | |
haben, die aufgeregt herumtollt. Die Sonne scheint auf den ordentlich | |
gemähten Rasen, der von Sonnenblumen gesäumt ist, es ist ruhig. Idyllisch, | |
könnte man meinen. | |
Doch der friedliche Eindruck täusche, sagt René Gust. Erst vor wenigen | |
Tagen sei er von einem der Nachbarn angegangen worden. „Der Traktor lief | |
mal wieder ohne Grund, und als ich hin bin, kam der Nachbar auf mich zu, | |
hat mich angerempelt und beleidigt“, sagt Gust. Es sei nicht das erste Mal | |
gewesen: Vom selben Mann seien sie bereits zuvor als „Schwuchtel“ oder | |
„schwule Fotze“ bezeichnet worden. | |
Permanent sieht sich das Paar Provokationen ausgesetzt: Sie zeigen auf den | |
Zaun, der an einigen Stellen zerschnitten ist. Immer wieder würden | |
Fleischreste und Müll in ihren Garten geworfen, hinzu kämen sexualisiertes | |
Pfeifen und eindeutige Gesten. Der häufigste Streitpunkt ist jedoch der in | |
ihren Augen unnötige Traktorlärm und die damit verbundenen Abgase direkt | |
vor ihrem Grundstück. Absicht, glauben sie – um ihnen das Leben zur Hölle | |
zu machen. | |
## Ausgegrenzt, gemobbt und bedroht | |
„Es ist, als ob wir nicht existieren dürfen“, sagt Osward Gust-Martínez. | |
Von Freund*innen seien sie gewarnt worden, nach Brandenburg zu ziehen. | |
„Da wohnen doch nur Nazis, wurde uns gesagt. Doch wir wollten nicht | |
dieselben Vorurteile haben“, sagt der 41-Jährige. Anfangs seien sie auch | |
noch freundlich empfangen worden, doch als sie Händchen haltend durchs Dorf | |
liefen, hätten die Anfeindungen angefangen. Mittlerweile fühlen sie sich | |
von den Dorfbewohner*innen ausgegrenzt, gemobbt und bedroht. | |
Rund ein Dutzend Anzeigen haben die beiden bei der Polizei aufgegeben, | |
besser gemacht hat es das nicht – im Gegenteil. Einer der Nachbarn soll | |
ihnen sogar mit dem Tod gedroht haben, wenn sie nicht mit den Anzeigen | |
aufhören würden. „Die einen drohen, die anderen schweigen und machen | |
nichts“, sagt Gust-Martínez. Für ihn macht das am Ende keinen Unterschied. | |
„Die Menschen hier haben sich zusammengeschlossen, um uns mit ihrem Hass zu | |
vertreiben“, glaubt er. „Nicht alle hier sind böse“, ergänzt Ehemann Re… | |
Gust, es seien vor allem einige wenige Männer. | |
In ihrer Verzweiflung wandte sich das Paar mit einem offenen Brief an die | |
Bürgermeisterin von Nennhausen, in dem sie von „homophoben und xenophoben | |
Beleidigungen von einigen Personen“ berichten. Die Linke-Politikerin sieht | |
in dem Konflikt jedoch nur einen Streit unter Nachbar*innen. „Das hat | |
nichts mit Anfeindungen von zwei schwulen Männern zu tun“, sagt Brigitte | |
Noël der taz. Im Dorf habe es nie Ärger mit gleichgeschlechtlichen Paaren | |
gegeben. Auch aus anderen Gemeinden sei ihr so etwas nicht bekannt. „Ich | |
bin der Überzeugung, das Ganze beruht auf Nachbarschaftsstreitigkeiten.“ | |
Generell seien homophobe Vorfälle natürlich nicht zu akzeptieren, hier | |
ginge es jedoch eher darum, dass sich die beiden Zugezogenen permanent über | |
Lärmbelästigung beschwerten. Traktoren- oder Kettensägengeräusche würden | |
auf dem Dorf aber nun mal dazugehören. „Das ist völlig aus dem Ruder | |
gelaufen“, sagt die langjährige Bürgermeisterin. An diesem Dienstag will | |
sie sich mit René Gust und Osward Gust-Martínez treffen, um die Probleme zu | |
besprechen. Zusätzlich will Brigitte Noël zu einer öffentlichen | |
Gesprächsrunde mit den Dorfbewohner*innen einladen, damit alle Seiten | |
gehört würden. | |
## Rassistische und homophobe Bedrohungen | |
Für Martin Vesely vom [2][Potsdamer Verein Opferperspektive], an dessen | |
Beratungsstelle sich das schwule Paar gewendet hatte, reicht das nicht: | |
„Die Bürgermeisterin muss sich mit der politischen Dimension dieses | |
Konflikts auseinandersetzen“, sagt Vesely zur taz. Schließlich ginge es | |
auch um rassistische und homophobe Bedrohungen. | |
Vesely fordert, dass sich die Bürgermeisterin klar gegen Homophobie | |
positioniert. „Ich hätte mir gewünscht, dass sie sich an die Seite der | |
Betroffenen stellt, statt sich um das Image des Ortes zu sorgen.“ | |
Dabei gehe es weniger darum, einer Seite recht zu geben, als sich für ein | |
buntes Zusammenleben starkzumachen. Schließlich komme es in Brandenburg | |
immer wieder zu homofeindlichen Vorfällen. Mobbing im Wohnumfeld, mit dem | |
die Betroffenen vertrieben werden sollen, sei dabei weit verbreitet. Viele | |
Homosexuelle würden deshalb nach Berlin abwandern. „Es braucht eine | |
ernsthafte Auseinandersetzung mit den Problemen vor Ort“, so Vesely. | |
## Das hat sich „hochgeschaukelt“ | |
Für Jirka Witschak von der [3][Landeskoordinierungsstelle Queeres | |
Brandenburg] gibt es im Fall Nennhausen kein Schwarz oder Weiß. „Es ist | |
erst mal ein Nachbarschaftsstreit, der sich sehr stark hochgeschaukelt | |
hat“, sagt er der taz. | |
Auch er war mit dem Ehepaar Gust-Martínez in Kontakt und hält die | |
Anfeindungen für glaubwürdig. Den gesamten Ort anzuprangern sei jedoch | |
kontraproduktiv. „Dass sich ein ganzes Dorf gegen ein schwules Ehepaar | |
verbündet, glaube ich nicht“, sagt er. Die Gemeinde sehe sich durch die | |
mediale Berichterstattung über den Fall in die rechte Ecke gedrängt und | |
fühle sich dadurch auf den Schlips getreten. Andere seien verunsichert, | |
weil sie davon nichts mitbekommen hätten. „Es ist schwer für beide Seiten, | |
da wieder rauszukommen.“ | |
Statt pauschalen Anschuldigungen empfiehlt der Berater, den Dialog zu | |
suchen. „Wenn man in ein Dorf zieht, ist es wichtig, sich Verbündete zu | |
suchen“, sagt er. Das könnte etwa die freiwillige Feuerwehr sein, die immer | |
diverser werde, der örtliche Fußballverein oder die Kirche. „Am besten | |
hilft Kommunikation.“ | |
Ob die in Nennhausen noch hilft oder es dafür schon zu spät ist, wird sich | |
nach dem Gespräch am Dienstag zeigen. Für das Ehepaar ist jedenfalls klar, | |
dass es sich nicht vertreiben lassen will. „Wir wollen hierbleiben, das ist | |
unser Zuhause“, sagt René Gust. „Diese Menschen sollen nicht entscheiden, | |
wer hier glücklich sein darf und wer nicht“, ergänzt Osward Gust-Martínez. | |
18 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.amt-nennhausen.de/ | |
[2] https://www.opferperspektive.de/verein/ | |
[3] http://www.queeres-brandenburg.info/ | |
## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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